Nürnberg - Sind die eigenen vier Wände nicht der Ort, an dem man sich am sichersten fühlen kann? Leider nicht, wenn man Sarah Wolff heißt und Protagonistin in einem Thriller von Sebastian Fitzek ist.

„Schuster, bleib bei deinen Leisten“, besagt ein altes Sprichwort. Sebastian Fitzek, Deutschlands erfolgreichster Thrillerautor, hat sich nicht daran gehalten. Seit einigen Jahren schreibt er auch in anderen Genres. Die Bücher sind auf den Covern explizit als „Kein Thriller“ gekennzeichnet.

Auch 2025 kam bereits ein neues Buch von Sebastian Fitzek in die Regale der Buchhandlungen. Obwohl der Titel „Horror-Date“ etwas anderes vermuten lässt, war dieser eben „kein Thriller“, sondern ein Roman, eine slapstickhafte Komödie, in der sich eine Katastrophe an die andere reihte.

Aber auch wenn seine Romane durchaus erfolgreich sind, die Fitzek-Fangemeinde hat sich sicher wieder auf einen Thriller gefreut. Und jetzt ist es endlich so weit. Wobei „endlich“ etwas übertrieben ist, schließlich kam „Das Kalendermädchen“, Fitzeks letzter Thriller, erst vor ziemlich genau einem Jahr heraus.

Der neue Fitzek-Thriller: „Der Nachbar“

Doch widmen wir uns dem neuen Thriller von Sebastian Fitzek. Wie schon in „Horror-Date“ hagelt es auch hier Katastrophen, doch in „Der Nachbar“ ist nichts daran witzig.

Sarah Wolff hat einiges hinter sich. Als sie vier Jahre alt war, starb ihr Bruder. Bis heute gibt sie sich die Schuld an diesem tragischen Todesfall. Jahre später musste sie schockiert feststellen, dass ihr Mann und Vater ihrer Tochter Ruby ein Serientäter ist, der Babys in Kinderwägen mit Säure überschüttete.

Elf Jahre nach seiner Festnahme lebt Sarah mit ihrer Tochter am Rand von Berlin. Die Entlassung ihres Exmannes aus dem Gefängnis steht kurz bevor, und Sarah hofft, dass er sich hier nicht finden wird.

Doch dann häufen sich seltsame Ereignisse. Irgendjemand scheint hinter Sarah aufzuräumen, ihre Einkäufe zu erledigen. Und als Sarah eines Nachts einen Einbrecher überrascht, der sich beim Sturz die Treppe hinunter den Schädel bricht, passiert das Unglaubliche. Denn als die Polizei schließlich am Tatort auftaucht, ist der Tote plötzlich verschwunden. Und mit ihm sämtliche Spuren, die auf einen Einbruch oder einen Todesfall hindeuten.

Sarah fürchtet langsam, den Verstand zu verlieren. Auch die Polizei hält die Frau mit ihren haltlosen Behauptungen nicht für glaubwürdig. Doch passiert das alles wirklich nur in ihrem Kopf? Oder pfuscht ein Unbekannter in ihrem Leben herum?

„Der Nachbar“

von Sebastian Fitzek

Was kann ein Mensch ertragen oder wie realistisch muss ein Thriller sein?

Vorneweg: An keinem Moment der Lektüre hat man das Gefühl, dieses Buch weglegen zu wollen. Ein Lesezeichen brauchen Sie nicht bereitzulegen, zudem ist „Der Nachbar“ mit rund 360 Seiten im Umfang verhältnismäßig überschaubar. Das tut dem Inhalt keinen Abbruch, Fitzek liefert uns einmal mehr einen spannenden Thriller mit mehr Twists und Wendungen, als man zählen kann.

Wenn man etwas an „Der Nachbar“ bemängeln möchte, kann man sich die Frage stellen, wie realistisch ein Thriller sein muss. Damit ist nicht die ungeheure Handlung gemeint. Die darf gerne völlig aus dem Ruder laufen, das gehört wohl zum Genre dazu.

Doch die Spannung, der Thrill, schon fast der Horror, der uns als Thrillerfans den erwünschten Schauer über den Rücken jagt, ist noch nahbarer, wenn man sich mit der Hauptfigur identifizieren kann. Und hier wird es bei Sarah Wolff, der Protagonistin in „Der Nachbar“, etwas unrealistisch.

ACHTUNG, SPOILER!

Wie viel kann einem einzelnen Menschen passieren? Es ließe sich darüber streiten, wie notwendig die Spoilerwarnung an dieser Stelle ist, denn von den meisten Traumata, die Sara Wolff erleben musste, erfahren wir bereits sehr früh im Buch.

Dass Sarah Wolff in ihrer Schulzeit gemobbt wurde, auch von ihren Lehrern, können wohl die meisten nachvollziehen. Dass sie ein weiteres, schlimmes Trauma erlebt hat, ist schon fast Bedingung für einen Psychothriller. Irgendetwas aus der Vergangenheit muss die Hauptfigur ja schließlich heimsuchen.

Ihr kleiner Bruder stirbt in ihrer Anwesenheit, als sie selbst noch ein kleines Kind ist. In der Schule wird sie aufs Schlimmste von ihrem Lehrer gemobbt. Ihr bester Freund in der Schulzeit begeht Suizid. Schon in ihrer Jugend stirbt ihre Mutter an einem Krankenhausvirus. Dank viel Therapie schafft sie es dennoch, Jura zu studieren und eine erfolgreiche Anwältin mit Kind und Mann zu werden. Doch das nächste Trauma wartet schon, denn dieser Ehemann entpuppt sich als Psychopath und Serientäter.

Da häufen sich dann die Traumata doch etwas. Und das alles ist ja nur Vorgeplänkel, denn die furchtbaren Ereignisse, die Sarah Wolff in der Haupthandlung dieses Thrillers erwarten, liegen zu diesem Zeitpunkt ja noch vor ihr.

SPOILER ENDE

Da kann man sich natürlich fragen, wie viel man sich als Leserin oder Leser noch mit dieser Vorgeschichte identifizieren kann. Doch, wie bereits erwähnt, ist das Jammern auf hohem Niveau. Nicht nur Fitzek-Fans werden ihre wahre Freude an „Der Nachbar“ haben.

Sebastian Fitzek oder Arno Strobel?

Wer sich übrigens bei der Ausgangssituation dieses Thrillers an Arno Strobels kürzlich erschienenen Titel „Welcome Home“ erinnert fühlt, der oder dem sei gesagt: Wir auch. Eine kleine Familie, die in ein neues Haus zieht, in dem sie sich plötzlich nicht mehr in den eigenen vier Wänden sicher fühlt, weil irgendjemand anderes im Haus ein- und auszugehen scheint - diese Beschreibung würde auf beide Thriller passen.

Da hören allerdings die Gemeinsamkeiten auf. Beide Thriller spielen eingangs mit der Furcht, die Sicherheit des eigenen Heims zu verlieren, entwickeln sich aber von da aus in völlig unterschiedliche Richtungen. Was die beiden aber noch gemeinsam haben, ist unsere Leseempfehlung für alle Thrillerfans – erhältlich unter anderem bei Amazon .