
„Das Mittelfeld ist der Ort, an dem das Spiel gewonnen und verloren wird“, sagte Trainer José Mourinho einst – eine Aussage, die den Anhängern des 1. FC Nürnberg derzeit regelrecht Sorge bereiten dürfte. Denn: Wenige Tage vor dem Saisonauftakt gegen die SV Elversberg hat der Club insbesondere im Zentrum, aber auch auf anderen Positionen noch einige Baustellen zu schließen. Die Kaderplanung ist bei Weitem nicht abgeschlossen.
Sportvorstand begründet dies mit den „finanziellen Möglichkeiten“ des fränkischen Traditionsvereins verglichen mit anderen Zweitligisten, deren Kader schon weitestgehend steht. Aber: Bereits in der vergangenen Saison schlug der Club insbesondere im August auf dem Transfermarkt zu und verpflichtete mit Julian Justvan, Mahir Emreli, Oliver Villadsen und Berkay Yilmaz einige Stammspieler und Leistungsträger später in der Transferperiode. „Natürlich wäre es schön, wenn wir im August wieder fünf Transfers tätigen und wieder viele davon einschlagen“, konstatierte Chatzialexiou gegenüber der Bild.
Die Formation
Auf welchen Positionen wie viele Spieler und welche Spielertypen gebraucht werden, ist maßgeblich abhängig von der Formation, in welcher das Team grundsätzlich aufläuft. Seit dem siebten Spieltag der Vorsaison schickt Cheftrainer Miroslav Klose seine Mannen überwiegend in einer 3-4-1-2-Systematik aufs Feld.
Daran wird sich wohl auch in der kommenden Spielzeit nichts ändern, das legen auch die Eindrücke aus der – eher enttäuschenden – Vorbereitung nahe. Zwar besiegte der Club die beiden niederklassigen Testspielgegner aus Hersbruck (13:0) und Schwäbisch Hall (7:2), sowohl gegen Drittliga-Aufsteiger Schweinfurt (1:2), Zweitliga-Aufsteiger Bielefeld (1:2) und Bundesligist Gladbach (0:2) setzte es Niederlagen. Ja, nur Testspiel-Niederlagen, deren Aussagekraft freilich begrenzt ist, aber trotzdem Niederlagen, die auch zeigten, auf welchen Positionen der Club (womöglich) Probleme bekommen könnte.
Tor
Zwischen den Pfosten ist die Situation eindeutig: Jan Reichert bleibt die Nummer eins, seine Vertreter sind Routinier Christian Mathenia und Neuzugang Robin Lisewski. Michal Kukucka gehört aktuell noch dem Torwartquartett an, soll aber ebenso wie Nicolas Ortegel (BFC Dynamo) verliehen werden.
Dreierkette
Robin Knoche, Fabio Gruber, Luka Lochoshvili, Ondrej Karafiat, Kristian Mandic und Ivan Marquez: Für die drei Abwehrpositionen sind aktuell sechs gelernte Innenverteidiger im Kader, wobei letzterer den Verein wohl noch verlassen wird: Der Andalusier ist für Gespräche mit anderen Teams freigestellt und liebäugelt mit einer Rückkehr in die Eredivisie.
Zusätzlich zu den fünf dann verbleibenden Verteidigern stehen mit dem ebenfalls womöglich noch wechselnden Florian Flick sowie den Youngsters Winners Osawe, Eryk Grzywacz und Eric Porstner theoretisch vier positionsfremde Spieler als Back-Up zur Verfügung, welche in ihrer Karriere aber schon als Innenverteidiger gespielt haben. Somit stehen vier erfahrene Kräfte sowie einige Talente und Aushilfskräfte für die Dreierkette zur Verfügung, die damit nicht zu den Problemzonen des 1. FC Nürnberg zählt.
Schienen
Deutlich kritischer ist die Situation unter den Flügelverteidigern: Nach dem Abgang von Oliver Villadsen stehen Chefcoach Klose für die rechte Schiene mit Tim Janisch und Justin von der Hitz zwei zweifelsohne talentierte, aber eben noch sehr junge und unerfahrene Kräfte zur Verfügung. Auf der linken Seite ist der Club mit Berkay Yilmaz, Routinier Danilo Soares und Talent Eric Porstner eigentlich gut aufgestellt, doch Yilmaz könnte möglicherweise ins Mittelfeld zwangsversetzt werden.
Deshalb fahndet der 1. FC Nürnberg derzeit intensiv nach flexibel einsetzbaren Außenverteidigern – und ist womöglich in Augsburg fündig geworden. Henri Kodoussou könnte Medienberichten per Leihe nach Nürnberg wechseln: Der 25-Jährige spielt präferiert auf der rechten Abwehrseite, kann aber auch auf der linken Schiene oder sogar als Halbverteidiger in der Dreierkette zum Einsatz kommen – damit würde er direkt mehrere Problempositionen abdecken. Fraglich bleibt allerdings, ob sich ein Bundesliga-Verteidiger im gehobenen Talent-Alter von 25 Jahren tatsächlich für eine unklare Rolle als Defensiv-Allrounder bei einem Zweitligisten überzeugen lässt.
Zentrum
Akuter Handlungsbedarf besteht im Zentrum, dem Herz der Mannschaft: Abgesehen davon, dass noch kein Ersatz für Jens Castrop verpflichtet wurde, verschärfen auch die noch immer schwelenden Abgangsgerüchte um Caspar Jander die Lage. Neuzugang Tom Baack offenbarte in der Vorbereitung noch einige Anpassungsprobleme an die gewünschte Spielweise unter Miroslav Klose, immer wieder leistete sich der Neuzugang aus der 3. Liga Abspielfehler und Ballverluste.
In der Pole-Position für das Zentrum sind zunächst Rafael Lubach auf der Sechs und Berkay Yilmaz auf der 8 – letzterer konnte auf ungewohnter Position gegen Gladbach zwar überzeugen, Chatzialexiou stellte aber klar: „Wir wollen schon jemanden fürs Mittelfeld holen, um Berkay dann auch wieder auf die Position des linken Außenverteidigers zu stellen. Das ist unsere Zielsetzung.“
Mit Flick, Osawe, Baack, Grzywacz, Jander, Lubach und Yilmaz ist die Position zwar quantitativ gut besetzt, als realistische Startelf-Kandidaten taten sich zuletzt aber nur die letzteren drei Akteure hervor – darunter ein Abgangskandidat und ein Linksverteidiger. Abhängig von Janders Zukunft braucht der Club noch einen idealerweise defensiv- und spielstarken Sechser und / oder einen Box-to-Box-Achter, der die nötige Dynamik und Ballsicherheit mitbringt, um das Leder auch mal ein paar Meter durchs Mittelfeld zu schleppen.
Auf der Zehn weiß Cheftrainer Klose zwar mit Julian Justvan einen der besten offensiven Mittelfeldspieler der 2. Bundesliga in seinen Reihen, ein adäquater Ersatz findet sich aber nicht im Kader. Rafael Lubach könnte in die Rolle schlüpfen, wird aber wohl im Zentrum gebraucht. Ayoub Chaikhoun bringt zwar enormes Potenzial, eine feine Technik und reichlich Spielwitz mit, spielt aber seine erste Saison im Herrenfußball und ist ebenso wie Simon Joachims aus dem eigenen Nachwuchs nicht als Soforthilfe geplant.
Angriff
Der Nürnberger Sturm ist eine Wundertüte – das war er bereits vergangenes Jahr. Semir Telalovic, Neuzugang vom SSV Ulm, ist der einzige Stürmer im aktuellen Kader, der schon im deutschen Profifußball gespielt hat. Er wird mutmaßlich mit Mickael Biron, der aus der zweithöchsten Spielklasse Belgiens an den Valznerweiher wechselte, um den Platz im Doppelsturm neben Artem Stepanov konkurrieren.
Telalovic gilt als kompletter Stürmertyp, während Biron – der in Belgien für seine starken Leistungsschwankungen bekannt war – dank seines Tempos insbesondere die Tiefe gut attackieren kann. Stepanov, ebenfalls ein Neuzugang und Neuling im Erwachsenenfußball, fungiert indes eher als Wand- und Zielspieler. In der Vorbereitung konnte er als treffsicherste Nürnberger mit sieben Toren auf sich aufmerksam machen – sechs Treffer davon erzielte er aber gegen Amateurklubs. Talente wie Tino Kusanovic, Piet Scobel, Noah Maboulou und Levin Chiumento bringen reichlich Potenzial mit, dürften aber keine Soforthilfen sein.
Fazit
Sowohl hinsichtlich der Quantität an Spielern im Kader als auch hinsichtlich der Anzahl spannender Talente ist der 1. FC Nürnberg zwar gut aufgestellt und könnte eine ordentliche erste Elf auf den Rasen bringen, im Hinblick auf die Kadertiefe und möglichen Ersatz für die Stammspieler fehlen aber nahezu in allen Mannschaftsteilen abgesehen von der Dreierkette und dem Tor Akteure mit Startelf-Potenzial. Teil der Überlegung ist aber zugleich, den vielen hungrigen Youngsters nicht allzu viele Routiniers vor die Nase zu setzen. Wie Joti Chatzialexiou diese Lücken füllt und an welchen Spielern der Club baggert, lesen Sie in unserem Transfer-Ticker.