
Das Buch als Medium wurde in der Vergangenheit schon so oft als tot erklärt, man kann gar nicht mehr mitzählen. Egal, ob Filme oder Serien, Kino oder Fernseher, noch früher das Radio oder zuletzt E-Book-Reader: Neue Formen der Unterhaltung werden immer wieder zum krassen Konkurrenzmedium hochstilisiert, das dem klassischen Buch jetzt endgültig den Kragen kosten wird. Was diese Schreckensszenarien gemeinsam haben? Am Ende gab es jedes Mal immer noch Bücher.
Besonders ein sehr junges Medium hat mal wieder unter Beweis gestellt, dass der Charme von Büchern auch auf die junge Generation ihre Wirkung hat. Die Social-Media-Plattform TikTok wird überwiegend von Menschen genutzt, die jünger sind als 25. Und genau hier hat sich eine Art riesiger Buch-Club Community geformt, besser bekannt als BookTok.
BookTok: Die Verbindung von Literatur zu junger Leserschaft
Auch wenn andere Plattformen wie Reddit viel Kritik für BookTok übrighaben, scheinen sich alle in einer Sache einig zu sein. Menschen zum Lesen zu bringen, ist eigentlich immer gut. Lesen bildet, es ist förderlich für die kognitive Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen, fördert die Sprache, das Gedächtnis, erweitert den Wortschatz, trägt zur Konzentrationsfähigkeit bei und hilft bei der Stressreduktion.
Auch die Verlagswelt freut sich. Der Verlag Bastei Lübbe beispielsweise konnte laut der Frankfurter Allgemeinen trotz des schrumpfenden Buchmarktes Gewinne steigern. Neue Verlagsmarken wie Lyx oder Pola richten sich direkt an junge Erwachsene. Diese sind direkt verknüpft mit sozialen Medien wie Instagram oder eben TikTok, bringen die Bücher direkt dahin, wo die potenziellen Leserinnen und Leser gerade ohnehin sind. Es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl. Laut Soheil Dastyari, der Vorstandsvorsitzenden von Bastei Lübbe, gebe es auf den großen Buchmessen in Frankfurt und Leipzig mittlerweile eine emotionale, mitreißende Atmosphäre wie bei Popkonzerten. Andere Verlage zögen mittlerweile mit ähnlichen Konzepten nach.
Aber was ist dann das Problem mit BookTok?
Angefangen hat alles relativ harmlos. Literaturbegeisterte, ein paar Autorinnen, Autoren sowie Cosplayerinnen und Cosplayer teilten ihre Lieblingsbücher und tauschten Buchtipps aus. Mittlerweile sind die Genres Young Adult, Romantasy und Dark-Romance vorherrschend, was an sich auch noch kein Problem ist.
Gerade dieses Dark-Romance Genre ist es aber, das für Kritik sorgt. Natürlich gilt das nicht für alle Bücher dieser Art, doch viele enthalten nicht-jugendfreie Inhalte. Anders als bei Filmen und Serien ist der Zugang zu solchen Büchern viel einfacher. Zwar gibt es Alters-Empfehlungen der Verlage, doch diese sind eben eher Empfehlungen als eine richtige Altersbeschränkung. Scrollt man das erste Mal über BookTok, fällt auf, wie viele Bücher als „spicy“ bewertet werden, beziehungsweise, wie dieser Spice von den Leserinnen und Lesern eingefordert wird. Gemeint sind erotische Szenen, die unterschiedlich explizit ausfallen können.
Hier lässt sich natürlich argumentieren, dass gerade bei minderjährigen Leserinnen und Lesern die Erziehungsberechtigten in der Verantwortung sind. Deren Aufgabe ist es, sich mit den Inhalten, mit denen sich ihre Kinder beschäftigen, auseinanderzusetzen.
Wirklich problematisch wird es aber, wenn die Inhalte darüber hinausgehen, was man als nicht-jugendfrei oder „spicy“ einstufen würde. Gerade Dark-Romance-Bücher stehen im Ruf, toxische Beziehungen zu verherrlichen und zu romantisieren. Sexuelle Übergriffe, Stalking und Vergewaltigungen werden immer wieder romantisiert und sollen gerade für Leserinnen erotisch und ansprechend sein.
Schwer in der Kritik: Colleen Hoover
Kaum eine Autorin hat vom BookTok-Hype so sehr profitiert wie Colleen Hoover. Ihre Bekanntheit stieg gerade während der Corona-Jahre durch die Decke, die TikTok-Feeds von Buchfans waren übersät von ihren Titeln. Mittlerweile steht Hoover aber sehr in der Kritik. Der Vorwurf: Ihre Bücher würde Gewalt und Missbrauch verherrlichen, außerdem zeichne sie ein sehr gestriges Frauenbild.
Ein typisches Motiv ist demnach das etwas angestaubte Bild der „Jungfrau in Nöten“, die einen männlichen Mann als Retter braucht. Gerade in Hoovers ersten großen Durchbruch „It ends with us“, wird demnach diese Konstellation deutlich.
No Kinkshaming oder: Was ist eigentlich das Problem?
Explizite Inhalte, auch romantisierte Gewaltfantasien, sind zunächst einmal kein Problem, solange alle, die mit den Inhalten in Berührung kommen, aufgeklärt sind und wissen, womit sie es zu tun haben und wie sie damit umgehen müssen. Das wirkliche Problem an dieser Stelle ist die Kombination aus allem anderen.
Minderjährige Leserinnen und Leser kommen über BookTok in Berührung mit Büchern, die für ihr Alter völlig unangemessen sind. Gerade in der Pubertät sind wir sehr formbar und saugen Inhalte geradezu auf, die dann einen großen Einfluss auf unser Weltbild haben können.
Buch-Influencerin Whitney Atkinson fand dafür deutliche Worte. Manche Bücher haben es einfach an sich, dass wir uns beim Lesen in die Geschichte hineinversetzen wollen. Wir wollen Teil der Erzählung sein, gerade Fantasy-Bücher sind ein Paradebeispiel dafür, wie wir uns beim Lesen auf eine andere Welt einlassen. Diese Realitätsflucht kann aber dazu führen, dass wir uns in Genres wie Dark-Romance mit Figuren und Situationen identifizieren, die dafür nicht geeignet sind.
Bücher, in denen häusliche und sexuelle Gewalt thematisiert wird, haben ihre Existenzberechtigung und können für Opfer sogar eine Hilfe sein, um das Erfahrene zu überwinden. Wenn die Gewalt allerdings romantisiert wird, ist das mehr als problematisch.
Ist BookTok jetzt gut oder schlecht?
Wie in den meisten Fällen ist auch hier keine klare Antwort möglich. Am besten ist es, jede Buchempfehlung zu hinterfragen und immer auch selbst zu überlegen, welche Bücher man lesen möchte. Reddit-Nutzerin „Wingkirs“ trifft den Nagel auf den Kopf:
„Ich wurde schon so oft von BookTok verarscht. Die Mittelmäßigen scheitern wirklich an dieser App.
Davon abgesehen ist es generell gut, Leute zum Lesen zu bringen.
Ich habe die Booktocker gefunden, die einen ähnlichen Geschmack wie ich haben, und bleibe bei ihnen. Ich editiere diejenigen heraus, die schreckliche Bücher empfehlen.“
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