Nürnberg - Warum war der 1. FC Nürnberg in der zweiten Hälfte des Frankenderbys viel gefährlicher? Welche Umstellung nahm Miroslav Klose vor? Und kann der Club mit Ballbesitz umgehen? Die Analyse.

Er gilt als Verfechter des Ballbesitzfußballs: Miroslav Klose bemüht immer wieder Begriffe wie „Dominanz“ oder das „Herausspielen von Chancen aus der eigenen Struktur“. Um erfolgreichen und dann freilich auch attraktiven Ballbesitzfußball spielen zu können, gibt es zwei Kriterien.

Erstens: Man braucht den Ball. In der laufenden Saison kommt der 1. FC Nürnberg auf einen Mittelwert von 50,47 Prozent. Nur in sechs Partien hatte der Club mehr Spielanteile als der jeweilige Gegner – in der Vorwoche, bei der 0:3-Niederlage in Magdeburg, kam die Klose-Elf beispielsweise nur auf 42 Prozent Ballbesitz. Die Idee, gegen spielstarke Teams tiefer zu stehen und auf Konter zu lauern, war nicht verwerflich, sondern könnte im Erfolgsfall sogar für die Variabilität der Mannschaft sprechen, die sowohl aus eigenem, strukturierten Ballbesitz, als auch aus überfallartigen Kontersituationen gefährlich werden kann. Im Falle des Gastspiels in Magdeburg mündete der Ansatz jedoch in Passivität, fehlender Entlastung und Chancenarmut.

Und zweitens: Man braucht Lösungen, wenn man den Ball hat. Gerade gegen spielstarke Teams mit pressingresistenten Spielern, wie es der 1. FC Nürnberg trotz allen Zweifeln ist, wählen viele Zweitligisten den tiefen Block: Statt hoch anzulaufen und dabei womöglich ins offene Messer zu rennen, in dem man große Räume zwischen den Ketten und insbesondere dahinter öffnet, verteidigen viele Mannschaften lieber weit in der eigenen Hälfte, halten die Räume eng und lauern auf Kontermöglichkeiten. Diese Herangehensweise wählte auch Heiko Vogel in seinem ersten Spiel als Cheftrainer der SpVgg Greuther Fürth.

Toter Ballbesitz im ersten Durchgang

„Fürth hat es uns schwer gemacht. Sie waren kompakt hinten drin gestanden und haben auf Umschaltsituationen gelauert. Es ist schwer, einen so kompakten Block zu bespielen“, analysierte Torhüter Jan Reichert das 275. Frankenderby. In der ersten Hälfte kam der Club auf 63 Prozent Ballbesitz, der sich aber als „toter Ballbesitz“ bezeichnen lässt. Mickrige zwei Abschlüsse verzeichnete der 1. FC Nürnberg im ersten Durchgang, beide Versuche verfehlten das Tor und wurden zudem von außerhalb des Strafraums abgegeben – ein Indiz für fehlende Ideen, hinter die Kette und in die gefährliche Zone zu kommen.

Der Club bestimmte zwar das Spiel, fand aber keine Lücken gegen den kompakten Defensivverbund der Rivalen. Dünne 0,06 Expected Goals standen auf rot-schwarzer Seite zur Halbzeit zu Buche. „In der ersten Hälfte hatten wir viel zu viel Angst, wir waren mutlos“, bemängelte Cheftrainer Klose. Das Wissen um die individuelle Qualität der Fürther im Umschaltspiele habe bei seiner Mannschaft „manchmal zum Zögern geführt“. Ein Risikopass oder ein Dribbling kann freilich in einem Ballverlust und einem möglicherweise gefährlichen Gegenstoß münden, sie sind aber zugleich die Grundlage dafür, sich Chancen zu erspielen und Räume zu öffnen.

Mehr Offensivpower durch richtige Umstellungen

Dies gelang im zweiten Durchgang deutlich besser. Der Club agierte mit 61 Prozent Ballbesitz ähnlich dominant wie in der ersten Hälfte, feuerte aber elf Schüsse ab und erspielte sich zumindest 0,95 Expected Goals – weniger als die Fürther, aber mehr als die Nürnberger vor der Pause.

Was hatte sich geändert? „Fußball hat auch ein bisschen was mit Taktik zu tun. Fürth hat defensiv ein flaches 4-4-2 gespielt, wo die Räume zum Teil eng sind – da braucht man erstmal eine Lösung“, sagte Adriano Grimaldi nach der Partie. Und diese erforderliche Lösung fand Cheftrainer Klose, indem er aus den Erkenntnissen des ersten Durchgangs die richtigen Schlüsse über das Defensivverhalten von Vogels Kleeblatt zog: „Wir mussten erstmal sehen, wer geht wo raus, wann geht er raus, wie hoch gehen sie raus, wer folgt, werden sie gezogen von der Kette. Es dauert ein bisschen, bis man das versteht.“ In der Pause habe der 47-Jährige seiner Truppe nicht nur „Mut zugesprochen“, sondern auch Szenen aus den ersten 45 Minuten gezeigt. Aufgezeigt, wo Räume entstehen.

Unter Anderem positionierte der Club fortan mehr Spieler auf der letzten Fürther Linie, um die Verteidiger am Herausrücken zu hindern und Platz vor der Kette zu schaffen. Außerdem, auch das war laut Klose Gegenstand der Halbzeitansprache, verlagerte Nürnberg fortan das Spiel schneller, brachte den Gegner ins Laufen und die eigenen Spieler wie insbesondere Mohamed Ali Zoma in Eins-gegen-Eins-Duelle. „Dann wurde es besser, weil wir auch bessere Bälle gespielt haben, mutiger gewesen sind, technisch besser den Ball mitgenommen haben, dann müssen die schon hinterherlaufen“, beurteilte Klose die Leistungssteigerung im zweiten Durchgang.

Schöner Spielzug zum zweiten Treffer

Das erste Tor entstand zwar in Folge einer Standard-Situation, dennoch profitierte der Club von dem erwähnten Personal auf der letzten Linie: Julian Justvan, der abermals in einem Derby zwei Scorer verbuchte, kam nach einer Ecke im linken Halbraum an den Ball. Zwar wurde der Feinfuß von drei Fürthern umzingelt, aber nicht attackiert – und erkannte die Situation im Strafraum bestens: Vier Nürnberger stehen gegen drei Fürther, welche zudem auf zwei verschiedenen Abseitshöhen positioniert sind, in der Überzahl. Clever erkannt, fein bespielt: Per mustergültiger Flanke mit dem schwächeren Fuß adressierte Justvan genau diesen Raum – und bereitete damit das Führungstor durch Luka Lochoshvili vor.

Auch der zweite Treffer lässt sich mit den Umstellungen zur Pause erklären: Fabio Gruber überspielte sechs Kleeblatt-Akteure mit einem langen Ball ins Sturmzentrum auf Grimaldi, parallel boten Finn Ole Becker und Julian Justvan eine Option an. Ersterer startete in die Tiefe, Zweiterer in den zuvor verwaisten Rückraum, wo er die Ablage erhielt und mit dem ersten Kontakt nach links verlagerte auf Mohamed Ali Zoma. Weil drei FCN-Spieler auf der letzten Linie standen, hinderten sie die Viererkette beziehungsweise den Außenverteidiger am Rausstechen. Deshalb musste Offensivkraft Felix Klaus aus dem Zentrum diagonal nach hinten laufen, um Zoma zu stellen, der diesen Bewegungsvorteil nutzte und genau in die Gegenrichtung nach innen zog. Natürlich gelang der folgende Treffer auch mit reichlich Glück, schließlich fälschte Philipp Ziereis den Ball ab, dennoch zeigte der Club in dieser Szene einen schlüssigen, gut aufgezogenen Angriff.

Trotz der zwei Tore, trotz der zwei Führungen, trotz des vermehrten Offensivoutputs im zweiten Durchgang steht am Ende nur ein 2:2-Remis gegen die bis dato formschwächste Mannschaft der 2. Bundesliga. Somit bleibt die Erfolgsquote des Club in Spielen, in denen er auf mindestens 50 Prozent Ballbesitz kommt, weiterhin niedriger (1,17 Punkte pro Partie) als jene in den Partien, in denen man weniger vom Spiel hatte (1,33). Dennoch, auch das sei erwähnt, erspielte sich der 1. FC Nürnberg bei mehr Ballbesitz durchschnittlich bessere Chancen (1,41 xG) und ließ zugleich weniger aussichtsreiche Möglichkeiten zu (1,16 xGA). In den Spielen mit weniger Ballbesitz überwiegen die erwarteten Gegentore (1,33) indes den eigenen expected goals (1,27).

Was bedeutet das? Der 1. FC Nürnberg ist in der Lage, aus strukturiertem Ballbesitz gefährlich vor das gegnerische Tor zu kommen. Der 1. FC Nürnberg hat die individuellen Möglichkeiten, um den angestrebten Fußball zu spielen. Dennoch bleibt vieles im Nürnberger Spiel noch bei Stückwerk – man sieht die Muster, die Abläufe. Aber nur selten, nur vereinzelt. Erst wenn der 1. FC Nürnberg diese Ansätze verlässlich auf den Platz bekommt, wird aus Potenzial Qualität, aus Annäherungen Durchschlagskraft und aus einem Idealbild von Ballbesitzfußball tatsächliche Realität. Bis dahin aber bleibt der Club ein Team zwischen Anspruch und Umsetzung – auf dem richtigen Weg, aber noch längst nicht am Ziel.