Nürnberg - Influencer und Influencerinnen zeigen immer öfter, wie sie ihre Freizeit allein verbringen. Solo Dates sind der neue Trend. Ein Wissenschaftler der FAU erklärt, beides ist wichtig: Geselligkeit und allein sein.

Henriette Haase geht ins Kino. Sie geht in eine Galerie. Sie geht Matcha trinken. Sie geht ins Restaurant. Haase ist eine junge Frau, Mitte 20, braune Locken, sympathisches Lächeln. Sie teilt ihr Leben auf Instagram. Nichts davon scheint außergewöhnlich, aber eine Sache ist doch: Haase unternimmt die genannten Aktivitäten allein.

Ihrem Instagram-Kanal folgen knapp 90.000 Menschen. 90.000 Menschen, die Haase dabei zu sehen, wie sie erklärt: Es ist schön, Dinge allein zu unternehmen. Es ist okay, wenige Freunde zu haben. Es macht Spaß, freitags und samstags am Abend allein zu Hause zu bleiben. Über sich selbst sagt sie, sie habe keinen großen Freundeskreis und keine Fomo (Fear of Missing out - Angst etwas zu verpassen).

Es geht auf ihrem Account laut Selbstbeschreibung um Mental Health und Selbstliebe. Dazu gehört auch, Erwartungshaltungen an sich selbst zu reduzieren. In diesem Kontext erscheint es sinnvoll, sich von den Idealvorstellungen zu lösen, dass nur ein großer Freundeskreis ein guter Freundeskreis ist und dass jedes Wochenende bis auf die letzte Sekunde mit spannenden Aktivitäten durchgeplant sein muss. Und dazu gehört vielleicht auch, zu lernen, sich selbst genug zu sein. Dennoch stellt sich die Frage, ab wann dieser Rückzug ins Private, der hier in sozialen Medien teilweise fast glorifiziert wird, problematisch wird.

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Matthias Berking ist Inhaber des Lehrstuhls für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und sagt: „Alleinsein können und sich um sich selber kümmern können ist eine wichtige Kompetenz, die für das Glück im Leben eine zentrale Rolle spielt.“ Gleichzeitig betont er, man müsse eine Balance zwischen Allein sein und Geselligkeit finden. Dazu gehören Kompetenzen für das soziale Miteinander. Dazu gehöre aber genauso, dass Menschen in der Lage sind, mit sich selbst eine gute Zeit zu verbringen, denn es gebe immer wieder Situationen, in denen man unweigerlich mit sich allein ist, erklärt der Wissenschaftler.

Darüber hinaus, gibt Berking zu Bedenken, sei es nicht zwangsläufig die bessere Option, mit anderen Zeit zu verbringen. Es bestehe die Gefahr, für den Kontakt mit anderen Personen einen „zu hohen Preis zu bezahlen“, wenn man beispielsweise mit Menschen Zeit verbringt, die einem nicht guttun, eben nur, weil man nicht allein sein kann.

Internet-Phänomen Solo Dates: Nicht mehr von der Zeit anderer abhängig

Influencerin Haase kann das augenscheinlich. Sie postet regelmäßig Reels zu ihren Solo Dates. All diese Videos ähneln sich. Zuerst erzählt die junge Frau, was sie vorhat: Matcha, Restaurant, Kino, Galerie. Dann sagt sie, sie habe Respekt davor, Dinge allein zu unternehmen. Das falle ihr schwer. Während der Unternehmung erkennt sie aber, dass es total schön ist, Dinge ohne Begleitung zu unternehmen - so erzählt sie es ihren Followern. Sie begründet ihre Solo Dates damit, sich nicht von der Zeit anderer abhängig machen zu wollen.

Genau solche Dinge allein zu unternehmen, die man sonst eher in Gruppe machen würde, wie beispielsweise der Besuch in einem Restaurant, hat laut Matthias Berking „einen stärkeren Konfrontationscharakter, weil solche Situationen ein besonderes Potenzial haben, das Gefühl von Einsamkeit auszulösen“. Gleichzeitig könne es einen besonders heilsamen Charakter haben, wenn man sogar bei solchen Unternehmungen merkt, sie machen auch allein Spaß. Generell bestehe bei dieser Art der Freizeitgestaltung aber die Gefahr, soziale Kompetenzen zu verlieren und zunehmend zu vereinsamen. Die Maxime von Wissenschaftler Berking lautet daher: Solo Dates gerne - aber nicht ausschließlich.

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Matthias Berking ist Inhaber des Lehrstuhls für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). © FAU

Auch Luna Christine Lutsch hat sich in den sozialen Medien dem Thema Solo Dates verschrieben. Ihr folgen 120.000 Menschen auf Instagram und sie hat im Mai 2025 ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht. Lutsch lebt in einer Beziehung und erklärt ihren Followern, dass es auch in einer Beziehung wichtig sei, Zeit für sich allein zu haben. Selbst wenn es am Anfang nicht leicht sei - allein sein könne man lernen. Das ist ihre Botschaft.

Davon ist auch Wissenschaftler Berking überzeugt. Gleichzeitig schränkt er ein: „Das heißt nicht, dass das Einsamkeitsgefühl dann komplett verschwindet.“ Vielmehr gehe es darum, zu lernen, das Gefühl von Einsamkeit auszuhalten. Dabei könne es helfen, anzuerkennen, dass man sich gerade in einer schwierigen Situation befindet. „Ich kann mir selbst Trost spenden. Wenn kein anderer da ist, der sich um mich sorgt, dann sorge ich mich halt um mich selber“, erklärt Berking.

Und eigentlich sind die Influencerinnen Haase und Lutsch eben gar nicht allein. Der Hashtag „solodates“ hat bei TikTok knapp 32.000 Einträge. Für den Hashtag „dateyourself“ sind es nochmal so viele. Es scheint fast, als sei introvertiert das neue cool.

Report zur Freizeitgestaltung der Deutschen: „Besorgniserregend ist die schleichende Erosion sozialer Kontakte.“

„Besorgniserregend ist die schleichende Erosion sozialer Kontakte. Der soziale Kitt – einst gestärkt durch gemeinsame Erlebnisse und ehrenamtliches Engagement – droht zunehmend zu bröckeln“ - dieses Fazit zieht der Freizeit-Monitor des Hamburger Instituts für Zukunftsfragen, welches wiederum zum Tabakkonzern British American Tobacco gehört. Die Ergebnisse zur Freizeitgestaltung der Deutschen für 2025 zeigen: das Internet nutzen steht mit weitem Abstand auf Platz eins. Im Langzeitvergleich zeigt sich auch: Soziale Kontakte nehmen ab. 2010 gaben 47 von 100 Befragten an, regelmäßig, also mindestens einmal die Woche, Nachbarn zu treffen und mit ihnen zu plaudern. 2025 sind es nur noch 33 von 100 Befragten. Auch Aktivitäten, wie Freunde treffen oder gemeinsame Zeit mit dem Partner oder der Partnerin verbringen, sind zurückgegangen.

Wissenschaftler Berking sagt, es gab immer wieder Phasen, in denen die Menschen an Sozialleben einbüßten. „Die erste Katastrophe für das direkte Miteinander war das Fernsehen. Auf einmal gab es eine Alternative zur Dorfkneipe, um sich interessanten Sachen anzuhören.“ Die nächsten Wendepunkte seien das Aufkommen des Internets und dann die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz gewesen. Und auch Corona habe eine Rolle gespielt. Einerseits habe es in manchen Gruppen eine klare Rückbesinnung auf das Sozialleben gegeben, weil man während der Isolationsphasen umso stärker spürte, wie wichtig das Umfeld ist. Andererseits hätten gerade junge Menschen in dieser Zeit an sozialer Kompetenz eingebüßt, was es nun erschwere, Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten.

Dennoch hält der Wissenschaftler es für eher unwahrscheinlich, dass Solo Dates jetzt zum Massenphänomen werden. „Wir sind zu großen Teilen soziale Wesen“, betont er. Als aktuelles Kulturphänomen könne es allerdings durchaus von Bedeutung sein. Letztendlich gehe es darum, sowohl die Kompetenzen für das allein sein und die Selbstfürsorge als auch die für die Geselligkeit und Sozialleben zu trainieren. Dann, so Berking, „habe ich die Freiheit zu entscheiden und die Möglichkeit, eine gute Balance zu finden.“