
Einsamkeit ist eines der Gefühle, die viele Menschen kennen, aber trotzdem kaum jemand darüber spricht. Bislang zumindest. Denn auf den Social-Media-Portalen stellen immer mehr junge Menschen ihre Einsamkeit zur Schau, sie erklären, dass sie keine Freunde haben und gehen alleine ins Kino oder führen sich selbst zum Essen aus. Sie schämen sich nicht mehr für ihre Einsamkeit.
Über Einsamkeit zu sprechen und sie anzugehen, kann heilsam sein, denn lange andauernde Einsamkeit kann nicht nur seelisch, sondern auch körperlich krank machen.
Sucht man auf Instagram nach den Schlagworten Einsamkeit oder loneliness, findet man unzählige Post und Reels, in denen Menschen offen darüber sprechen, dass sie sich einsam fühlen und wenige bis keine sozialen Kontakte haben. Es kann bedrücken, diese Offenheit so präsentiert zu sehen, vielleicht ist es aber auch der erste Schritt in eine richtige Richtung. Denn Einsamkeit verschwindet nicht von selbst, die Gesellschaft muss sich ihrer annehmen. Inzwischen nutzt man auch den technischen Fortschritt: Mit Replika beispielsweise gibt es eine App, die KI zum künstlichen Freund oder sogar Partner macht.
Immer noch ein Tabu - doch eines, das viele Menschen betrifft
Einsamkeit ist immer noch ein Tabuthema - und dennoch eines, das sich quer durch die Gesellschaft zieht. Sie betrifft Jung genauso wie Alt. Eine Gruppe einsamer Menschen sind die Älteren, deren soziale Netze beispielsweise durch den Tod des Partners/der Partnerin oder dem Ruhestand auseinanderreißen. Die andere Gruppe, das wissen viele nicht, sind junge Leute: Teenager und junge Erwachsene. Laut einer Kommission der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist jeder sechste Mensch weltweit von Einsamkeit betroffen.
Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ermittelt im Oktober 2025 ähnliches: Sie schlägt vor allem Alarm, was die Einsamkeit der jüngeren Menschen betrifft. Dejenigen im Alter von 16- bis 24-Jährigen erfahren demnach Verschlechterungen in allen Bereichen sozialer Beziehungen. Auch die Zahl der Älteren, die sozial isoliert sind (sich also nie mit Freunden oder Bekannten treffen) nimmt stetig zu.
Auch der Einsamkeitsreport der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2024 liefert ein derartiges Ergebnis zutage: Rund 60 Prozent der Menschen in Deutschland kennen zumindest manchmal Einsamkeit - vor allem Männer seien demnach betroffen. Für vier Prozent ist Einsamkeit sogar ein häufiger Begleiter, 13 Prozent geben an, manchmal das Gefühl von Einsamkeit zu haben, 41 Prozent zumindest selten.
Wie entsteht Einsamkeit?
Das Gefühl ist schwer zu fassen, meistens schleicht sie sich heimlich ein - zwischen Terminen und Absagen zwischen Freunden und Bekannten, viele Stunden vor dem Handy beim Doomscrollen, zwischen kurzen Nachrichten anstatt persönlichen Telefonaten. Irgendwann stellt man dann fest: Echt Nähe ist selten geworden, man fühlt sich auf dem Abstellgleis. Unterschätzen sollte man Einsamkeit nie, vor allem, wenn dieses Gefühl sich über einen langen Zeitraum hält. Denn Einsamkeit kann auch krank machen - seelisch und auch körperlich.
Psychiater Prof. Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, sagt in einem Podcast von Zeit Wissen: „Einsamkeit ist ein Missverhältnis - also eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen den sozialen Kontakten, die ich habe, und denen, die ich mir wünsche.“
Dabei kommt es nicht auf die Anzahl der Kontakte an, also viele Kontakte zu haben, sondern auf die Qualität dieser Kontakte und wie wir diese Qualität für uns empfinden. Das ist indiviudell: Manche brauchen weniger Kontakte, sind gewollt alleine, und andere haben viele Kontakte, fühlen sich aber trotzdem singulär. Es geht um das wahrgenommene Missverhältnis zwischen dem, was ich bekomme, und dem, was ich mir erhoffe.
„Einsamkeit ist kein persönliches „Versagen“, sondern ein Signal, dass uns etwas fehlt: Nähe, Austausch, Verbundenheit. Besonders im Kontext von Trauma spielt sie häufig eine Rolle und wird als intensiv und mächtig erlebt- wie eine Wand zwischen uns und den anderen oder - zwischen uns und unseren Gefühlen“, erklärt auch Therapeutin Juliane Wagner auf ihrem Instagram-Account.
Wie äußert sich Einsamkeit und wie prägt sie uns gesundheitlich?
Im Gehirn zeigt sich Einsamkeit ebenfalls: Das Gehirn empfindet dabei Schmerz. Die Forschung glaubt, ein Grund dafür ist, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, dass essenziell ohne soziale Gemeinschaft nicht überleben könnte. Menschen haben ein komplexes Sozialleben im Vergleich mit anderen Spezies - und deswegen ist Einsamkeit, so Meyer-Lindenberg, ein „Gefahrensignal“, das Menschen motivieren soll, wieder in soziale Gemeinschaft zu treten. Vergleichbar ist das mit körperlichem Schmerz, in dem das Gehirn ebenfalls warnt, zum Beispiel die Hand von der heißen Herdplatte zu nehmen. Ein Gefahrensignal.
Einsamkeit kann auch einige gesundheitliche Folgen mit sich bringen, vor allem, wenn sie als Gefühl sehr lange vorherrscht - dazu gibt es inzwischen einige Forschungen. Und der Einfluss ist erstaunlich negativ für die Gesundheit. Personen, die sich einsam fühlen, sterben zu 25 Prozent häufiger als Menschen, die das nicht empfinden. Darunter fallen Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Schlaganfälle oder Gebrechlichkeit allgemein.
Auch psychisch hat Einsamkeit ihren Einfluss: Sie führt vermehrt zu Depression, lebensmüden Gedanken und Demenzerkrankungen. Gemeinhin weisen Menschen, die isoliert sind, verstärkt kognitive Schwächen auf - sie haben Schwierigkeiten mit ihrer Gedächtnisleistung und können soziale Kontakte nicht gut einschätzen und verstehen. Eine Metastudie zeigt, dass Einsamkeit für die Gesundheit ungefähr so schlecht ist, wie der tägliche Konsum von 15 Zigaretten.
Auch soziale Medien haben großen Einfluss auf das Gefühl der Einsamkeit. Vor allem aus dem Zeitraum der Corona-Pandemie gibt es einige Studien. Damals waren alle eine Zeitlang isoliert. Wir alle hatten keine Kontakte außerhalb der sozialen Medien. Damals wirkte sich Social Media positiv auf uns aus: Wir konnten andere sehen und Kontakte darüber aufrecht zu halten.
Heute ist es so, dass viele Menschen ihre sozialen Kontakte über die sozialen Medien aufrecht erhalten - auf der einen Seite ist das besser, als keine Kontakte zu haben. Auf der anderen Seite sind diese sozialen Kontakte weniger erfüllend, als die, die wir im echten Sozialraum haben. Dennoch: Ein Videoanruf kann heilsamer sein als ein einfach Anruf ohne Bild. Das ist einfach immersiver.
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