Nürnberg - Rätsel statt Action: Gentleman-Detektive lösen mit ihren Fällen schier unglaubliche Denkaufgaben - und das ganz ohne rasante Verfolgungsjagden. Zumindest meistens.

Sie sind das britische Gegenstück zum amerikanischen Hardboiled-Detective: die Gentleman-Detektive. Während auf der anderen Seite des großen Teichs Sam Spade (Der Malteser Falke) und seine Kollegen in Trenchcoats durch verregnete Großstädte schleichen, spazieren Gentleman-Detektive gerne durch die blühende britische Landschaft.

Natürlich kann es auch hier zur Sache kommen, denn der Gentleman-Detektiv kann durchaus auch zupacken. Doch in der Regel hat er es gar nicht nötig.

Das Paradebeispiel des Gentleman-Detektives ist so bekannt, dass er keiner weiteren Einführung bedarf: Sherlock Holmes. Der Ermittler aus der Baker Street von Arthur Conan Doyle zieht es stets vor, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Dennoch ist er bekanntermaßen ein talentierter Boxer und geübt im Single-Stick-Fechten.

Ein weiterer großer Unterschied zwischen Gentleman-Detektiven wie Sherlock Holmes und Hardboiled-Detectives wie Sam Spade ist, dass es ihnen vorrangig um die Lösung eines Rätsels geht und nie um den persönlichen Vorteil. Wenn das Rätsel spannend genug ist, arbeitet ein Sherlock Holmes auch pro bono, während man sich in „Der Malteser Falke“ nie so richtig sicher ist, wie eigennützig Sam Spade eigentlich gerade wirklich ist.

Doch Sherlock Holmes ist in vielen Filmadaptionen so bekannt geworden, dass wir ihn hier in unserer Liste nicht mehr aufzuzählen brauchen. Stattdessen wollen wir uns nicht ganz so bekannten Beispielen von Gentleman-Detektiven widmen. Obwohl unser erstes Beispiel einem Sherlock Holmes in Sachen Bekanntheit und Verfilmungen wohl kaum nachsteht.

Ein Belgier in Britannien: Hercule Poirot

Der Gentleman-Detektiv ist normalerweise in England zu Hause. Der Ermittler Hercule Poirot von Agatha Christie stammt hingegen aus Belgien. Gerade seine bekanntesten Fälle spielen ebenfalls nicht auf den britischen Inseln, man denke nur an „Mord im Orientexpress“.

Doch wohin ist Poirot im Orientexpress unterwegs? Er fährt von Istanbul nach Calais, um dann nach Hause, nach England überzusetzen. Als Leserinnen und Leser lernen wir den merkwürdigen, aber brillanten Schnurrbartträger im Buch „Das fehlende Glied in der Kette“ mitten in England kennen.

Hier ermittelt er in einem kniffligen Mordfall: Emily Inglethorp, die 70 Jahre alte Matriarchin der Familie Cavendish, wurde auf dem Familiengut Styles ermordet. Verdächtig sind alle, die auf dem Gut leben, denn ein Motiv haben sie alle.

Nur einer kann diesen Fall lösen: Hercule Poirot und seine „kleinen, grauen Zellen“. Denn obwohl es an Verdächtigen nicht mangelt, gibt es eine große Frage: Wie konnte die Frau hinter verschlossenen Türen getötet werden?

Tatsächlich ist Hercule Poirot der Inbegriff des Gentleman-Detektivs, vielleicht sogar noch mehr als Sherlock Holmes. Denn Poirot löst seine Fälle wirklich wie Rätsel, ausschließlich im Kopf. Zwar ist er viel unterwegs und holt Aussagen und Erkundigungen ein, doch der pensionierte und latent übergewichtige Kriminalpolizist ist nicht dafür bekannt, in handgreifliche Situationen zu geraten. Dafür steht ihm stets ein junger Gehilfe zur Seite. Ein Gentleman wie Hercule Poirot macht sich eher nicht die Hände schmutzig.

Achtung, Verwechslungsgefahr: Inspector Alan Grant von Josphine Tey

Nicht verwechseln: Mit seinem Namensvetter aus Jurassic Park hat Inspector Alan Grant von Scotland Yard nichts zu tun. Stattdessen löst er einige Jahrzehnte früher Fälle im England in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Inspector Alan Grant unterscheidet sich in einem bestimmten Punkt deutlich von Sherlock Holmes und Hercule Poirot. Er ist wesentlich selbstkritischer. Er sieht sich nicht als Genie, das seine Fälle überwiegend im Kopf löst, wie in „Ein Schilling für Kerzen“ deutlich wird: „Gerne wäre er einer dieser wunderbaren Gestalten mit untrüglichem Instinkt und todsicherem Urteilsvermögen gewesen, die sich auf den Seiten von Kriminalromanen tummelten, und nicht nur ein hart arbeitender, wohlmeinender Detective Inspector von durchschnittlicher Intelligenz.“

Doch noch etwas wird in „Ein Schilling für Kerzen“ deutlich. Detective Inspector Alan Grant ist ein vollendeter Gentleman. Er arbeitet fair und übervorteilt seine Gegner nicht. Zudem sucht er nach der wahren Lösung eines Rätsels und gibt sich nicht mit einer einfachen Aufklärung zufrieden, wie das Sherlock-Holmes-Fans von anderen Scotland-Yard-Inspectoren gewohnt sind.

Der neue Gentleman- Detektiv: Sir Gabriel Ward von Sally Smith

Arthur Conan Doyle, Agatha Christie, Josephine Tey - große Namen der Krimiliteratur. Aber auch alte Namen. Wer jetzt aber glaubt, der Gentleman-Detektiv sei ein Ding der Vergangenheit, liegt falsch.

Denn auch wenn Sir Gabriel Ward im England der Jahrhundertwende ermittelt, ist dieser historische Krimi quasi brandneu. Im April 2025 feierte der Kronanwalt sein Debüt als Ermittlerfigur, gleichzeitig ist „Der Tote in der Crown Row“ das Buchdebüt von Autorin Sally Smith. Eigentlich ist Sir Gabriel Ward entweder im Gerichtssaal oder zwischen seinen Büchern zu Hause, er verlässt das Londoner Justizviertel Temple nur, wenn es unbedingt nötig ist.

Doch als der oberste Richter nicht nur ermordet, sondern seine Leiche auch noch auf der Türschwelle von Sir Gabriel abgelegt wird, betraut der Präsident des Inner Temple ihn mit der Aufklärung des Falls. Schließlich hat die Londoner Polizei im eigenständigen Temple-Bezirk kaum Zuständigkeit. Und so muss Sir Gabriel raus aus seiner Bibliothek und seiner Komfortzone.

Anders als die anderen Gentleman-Detektive ist Sir Gabriel Ward in seinem ersten Fall noch ein blutiger Anfänger als Detektiv. Doch er nutzt seine Fähigkeiten als Anwalt, um bei Befragungen die wichtigsten Informationen aus seinen Zeuginnen und Zeugen herauszukitzeln.

Wie Holmes oder Poirot ist auch Sir Gabriel Ward ein fortschrittlicher Geist. Das trifft auf Ermittlungstechniken genauso zu, wie auch seine Geringschätzung sozialer Konventionen nur um der Tradition willen. Dennoch ist seine Lebensrealität als privilegierter Kronanwalt doch weit entfernt von der Unterschicht, mit der er erst jetzt in Kontakt kommt. Wir dürfen gespannt sein, wie sich dieser neue Gentleman-Detektiv weiterentwickeln wird.