
„Überall werden Autos zunehmend ausgegrenzt und dann wird sich über das Ladensterben gewundert“, schrieb eine Nutzerin kürzlich auf unserer Facebook-Seite unter einen Artikel, der sich mit Nürnbergs Innenstadt befasste. Ein Vorwurf, der so ähnlich häufig zu lesen ist: Es sei ja kein Wunder, dass die Innenstädte veröden - schließlich seien Parkplatzmangel und wachsende Fußgängerzonen pures Gift für den ansässigen Einzelhandel.
Doch was sagt eigentlich die Forschung dazu? Studien aus Deutschland und Europa zeigen: Die Ursachen für das sogenannte „Ladensterben“ sind vielfältig - und die Rolle des Autoverkehrs dabei ist deutlich kleiner als oft behauptet.
Es kommt nicht nur aufs Auto an
Eine zentrale Erkenntnis aus der Studie „Mobilität in Innenstädten“ des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) ist: Die Erreichbarkeit einer Innenstadt ist entscheidend, aber es kommt dabei nicht ausschließlich aufs Auto an. Vielmehr ist eine gute Anbindung mit verschiedenen Verkehrsmitteln entscheidend, also auch zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Nahverkehr.
Die TU Dresden hat außerdem in einer Untersuchung festgestellt, dass die Mehrheit der Innenstadtbesucher gar nicht mit dem Auto kommt. Viele reisen mit Bus und Bahn oder zu Fuß an - und bleiben länger, konsumieren mehr und nutzen die Innenstadt nicht nur zum Einkaufen, sondern auch zur Freizeitgestaltung - dafür sind vor allem andere Aspekte wichtig als nur die Anfahrt.
Fußgängerzonen - Gift für den Einzelhandel?
Fußgängerzonen gelten oft als Feind des Einzelhandels. Doch die Realität sieht anders aus: Die Stadt Gent in Belgien zeigt exemplarisch, dass eine weitgehend autofreie Innenstadt sogar zum Erfolgsmodell werden kann. Seit 2017 ist das Zentrum von Gent für den Durchgangsverkehr gesperrt. Zusätzlich hat die Stadt fünf autofreie Zonen eingerichtet, die nur noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind.
Die Ergebnisse dieser Maßnahme: Der innerstädtische Durchgangsverkehr sank um 60 Prozent, der Radverkehr stieg von 22 auf 35 Prozent. Die Zahl der Haushalte mit eigenem Auto ging um 25.000 zurück, was etwa einem Zehntel der Bevölkerung entspricht. Gleichzeitig sank die Zahl der Verkehrsunfälle um 30 Prozent.
Auch wirtschaftlich erwies sich die Verkehrswende in Gent als Erfolg: Durch weniger Verkehr, mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer sowie neue Grünflächen und Sitzgelegenheiten hat sich die Aufenthaltsqualität deutlich verbessert, was insbesondere in den Einkaufsstraßen zu einem spürbaren Anstieg der Besucherzahlen führte. Lokale Geschäfte und Gastronomiebetriebe berichten von gestiegenen Umsätzen - und anders als in vielen anderen Innenstädten blieb die Nachfrage nach Ladenflächen stabil. Die Stadt hat daraufhin begonnen, ähnliche Konzepte auch in weiteren Stadtteilen umzusetzen, wobei auch die Inhaber der anliegenden Geschäfte eingebunden wurden.
„Ohne Parkplätze kommen keine Kunden“
Ein weiteres häufiges Argument lautet: „Ohne Parkplätze kommen keine Kunden.“ Doch Studien wie die des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) zeigen, dass mehr Parkplätze nicht automatisch zu mehr Umsatz führen. Viel wichtiger sind andere Faktoren.
In Münster beispielsweise wurde die Zahl der Parkplätze reduziert, während gleichzeitig die Aufenthaltsqualität - ähnlich wie in Gent - durch mehr Grünflächen, Sitzgelegenheiten und kulturelle Angebote gesteigert wurde. Das Ergebnis waren auch hier mehr Besucher, längere Aufenthaltsdauer und letztlich höhere Umsätze der Geschäfte in der Innenstadt.
Weniger Autos, bessere Luft
Ein weiteres Beispiel für eine erfolgreiche Verkehrswende ist die französische Hauptstadt Paris. Seit über einem Jahrzehnt verfolgt die Stadt das Ziel, den Autoverkehr massiv zu reduzieren - mit messbaren Ergebnissen: Laut der französischen Umweltbehörde Airparif ist die Feinstaubbelastung in Paris seit 2005 um 55 Prozent gesunken, die Belastung mit Stickstoffdioxid um 50 Prozent.
Besonders eindrucksvoll ist die Entwicklung entlang der Rue de Rivoli, die einst eine der meistbefahrenen Straßen der Stadt war - und heute eine Fahrradstraße. Die Zahl der Menschen, die gesundheitsschädlichen Stickstoffdioxidwerten ausgesetzt sind, sank von 400.000 im Jahr 2019 auf nur noch 5.000 im Jahr 2023. Die Zahl der durch Luftverschmutzung verursachten Todesfälle ging zwischen 2010 und 2019 um ein Drittel zurück.
Anderes Kaufverhalten und steigende Mieten
Dass zahlreiche Innenstädte in Deutschland mit Leerstand zu kämpfen haben, ist unbestritten. Doch die Ursachen liegen nicht primär in der Verkehrspolitik: Der Onlinehandel wächst seit Jahren und verändert das Einkaufsverhalten grundlegend. Hinzu kommen steigende Mieten und ein Wandel hin zu mehr Freizeit- und Erlebnisorientierung, wie das Wuppertal Institut in seiner Studie „Zukunftsfähige Innenstädte“ erklärt: Wer heute in die Innenstadt kommt, sucht nicht nur Produkte - sondern Atmosphäre, Gastronomie, Kultur und Begegnungsmöglichkeiten.
Exakt hier will nun auch die Stadt Nürnberg ansetzen und einer ihrer Einkaufsstraßen eine dringend nötige Frischzellenkur verpassen. Schon seit Jahren kämpft die Breite Gasse nicht nur mit Leerständen und häufig wechselnden Geschäften, sondern auch mit einer wenig ansehnlichen Optik, denn der Boden ist weitgehend ein wilder Flickenteppich aus Asphalt, Pflastersteinen und verschiedenen Arten von Steinplatten.
Doch damit soll bald Schluss sein: Bereits im September beginnt mit der Verlegung eines neuen Pflasters eine grundlegende Umgestaltung der Straße, die 2027 abgeschlossen sein soll. Wenn alles fertig ist, soll sie „mehr Grün, mehr Aufenthaltsqualität und ein zeitgemäßes, einladendes Umfeld für Einzelhandel und Gastronomie“ bieten, wie Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König erklärt. Also genau das Konzept, das auch in Paris, Gent und Münster bereits funktioniert hat.