
Es gibt diese Montage, da möchte man nicht ins Büro, in die Schule oder zum Fußballtraining gehen – nicht wegen der redundanten Arbeit, den strengen Lehrern oder dem anstrengenden Sport. Sondern weil sein Herzensverein am Wochenende nicht nur verloren, sondern sich regelrecht blamiert hat – und man nun mit hämischem Spott der Kollegen, Klassenkameraden oder Mitspieler rechnen muss. Und weil man bei all dem Schmerz weiß, dass sie recht haben. Das Risiko für solche Tage steigt, wenn die Temperaturen steigen – das ist eine Korrelation, aber keine Kausalität: Mitte oder Ende August reisen die Bundes- und Zweitligisten in die Prärie, um in Kleinststadien bei Bratwurstgeruch und sengender Hitze gegen die euphorisierten Gewinner des Landespokals anzutreten – etwa gegen Delmenhorst, Gerbrunn oder Tönning.
Und nun ist es wieder soweit: Die erste Runde des DFB-Pokals steht an und der für Gespött chronisch anfällige 1. FC Nürnberg bekommt es mit dem FV Illertissen zu tun, einem in der Vorsaison durchschnittlichen Regionalligisten. Für großes Bangen um das Weiterkommen des Favoriten sorgen dabei eher die jüngsten Ergebnisse, zwei bittere Last-Minute-Niederlagen gegen Elversberg und Darmstadt, als das Abschneiden des ruhmreichen Altmeisters in den vergangenen Pokalsaisons.
Eine Erstrunden-Niederlage, für die man sich nicht schämen muss
In der vergangenen Spielzeit scheiterte die Mannschaft von Miroslav Klose zwar früh in der zweiten Runde, kann sich aber bei der knappen 1:2-Niederlage gegen den solventen Bundesligisten aus Sinsheim wenig vorwerfen. In den beiden Jahren zuvor schaffte es der Club sogar ins Achtelfinale (0:1-Niederlage gegen Kaiserslautern) und ins Viertelfinale (0:1-Niederlage gegen Stuttgart).
Das letzte Ausscheiden in der ersten Runde datiert zurück auf den 12. September 2020 – damals setzte es eine saftige 0:3-Niederlage. Und dennoch kann dieses Spiel nicht als Blamage gewertet werden. Denn: Der Club von Cheftrainer Robert Klauß traf damals auf Julian Nagelsmanns RB Leipzig, das in dieser Saison Vizemeister werden sollte. Warum aber traf der fränkische Herz- und Schmerzverein auf einen Champions-League-Teilnehmer statt – wie sonst üblicherweise – auf einen Ober- oder Regionalligisten? Weil der Club in der vorangegangenen Saison 2019/20 nur auf Platz 16 abschloss – Stichwort: „Da vorne ist Schleusener. Und – Tor, Tor, Tor“ – und damit im Amateurtopf landete. Also: Die Blamage war in diesem Fall nicht das Erstrunden-Aus, sondern die gesamte Vorsaison.
Tatsächlich als Blamage, für die Club-Fans im Büro, in der Schule oder beim Sport sicherlich einiges an Spott ertragen mussten, gingen die Jahre 2012 bis 2014 in die Historie ein. Der Club holte damals das Triple der Erstrundenniederlagen und musste sich den Regionalligisten aus Havelse (2:3 nach Verlängerung), dem Zweitligisten aus Sandhausen (4:5 nach Elfmeterschießen) sowie dem Drittligisten aus Duisburg (0:1) geschlagen geben.
Erstrunden-Kantersiege und ihre Bedeutungslosigkeit
Einen Höhepunkt unter den Erstrunden-Spielen ließ der Club seine Fans indes im Jahr 2023 erleben: Damals setzte sich das Team von Cheftrainer Cristian Fiél mit 9:1 gegen den FC Oberneuland durch. Nicht nur die Tatsache, dass es sich um den zweithöchsten Pokalsieg der Vereinsgeschichte handelte, erfreute die Anhänger, sondern auch die Tatsache, dass vielleicht in diesem Spiel, sicher aber in dieser Phase der Stern von Can Uzun aufging. Der Youngster avancierte in dieser Partie zum jüngsten Pokal-Dreierpacker der Pokalhistorie und im Laufe der Saison zum Breakout-Star.
Ein deutlicher Erstrunden-Erfolg wie gegen Oberneuland muss aber nicht zwangsläufig in eine erfolgreiche Pokalsaison münden – und ist auch keine zwingende Bedingung dafür. Als Beispiel dient der größte Erfolg in der jüngeren, inzwischen aber gar nicht mehr so jungen Nürnberger Historie: In der Saison 2006/07, an deren Ende Raphael Schäfer den Pokal in den Berliner Nachthimmel reckte, mühte sich der Club mit einem 1:0-Sieg gegen den Oberligisten Cloppenburg in die zweite Runde. Erst in der Verlängerung beziehungsweise im Elfmeterschießen besiegte die Elf von Coach Hans Meyer in der Folge die damaligen Zweitligisten Paderborn (2:1 n. V.) und Unterhaching (2:1 n. E.) sowie den Bundesligisten aus Hannover (4:2 n. E.). Spätestens an den folgenden furiosen 4:0-Halbfinaleinzug gegen Eintracht Frankfurt und den 3:2-Finalsieg gegen den VfB Stuttgart dürften sich ohnehin alle Nürnberg-Fans erinnern.
Aus der glorreichen Pokal-Saison zurück in die Gegenwart, die von zwei Auftaktniederlagen ohne eigenen Treffer und einem anstehenden Pokalduell mit dem FV Illertissen geprägt sind. Vielleicht, so hofft man im Frankenland, kann das Spiel die Dose öffnen, den Bock umstoßen, die Trendwende bringen. Oder, um sich keiner Fußballphrase zu bedienen und es anders zu Formulieren: In Nürnberg würde man sich freuen, wenn man am kommenden Montag einfach normal ins Büro gehen kann.