
Die erste Liebe im Teenageralter ist vieles. Aufregend, neu, überwältigend, aber eines ist sie nur in den seltensten Fällen: einfach. Und das wird in Zukunft auch nicht einfacher werden, wenn zum hormonellen Gefühlschaos auch noch die allgegenwärtige Gefahr hinzukommt, die von einer Welt ausgeht, die sich langsam aber sicher nicht mehr dafür eignet, dem Menschen ein Überleben zu ermöglichen.
„Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“
Die eigentliche Story ist schnell erzählt. Era ist 15 und lebt mit ihrer Mutter in einem kleinen Haus im Wald. Mehr oder weniger zufällig trifft Era auf die 16-jährige Maja. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Liebesbeziehung.
Maja lebt ein anderes Leben als Era. Ihre beiden Mütter sind Influencerinnen und haben mit ihrer Social Media-Karriere viel Geld verdient. Für Maja bedeutet das Luxus, aber auch fehlende Privatsphäre. Bereits in ihrer frühen Kindheit wurde ihr Leben mit der Welt geteilt. Im Wunsch nach Anonymität will Maja alle Daten löschen, die von ihr im Internet kursieren. Sie radikalisiert sich und läuft von Zuhause weg.
Obwohl Era ein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter hat, folgt sie schließlich Maja, die beiden leben für einige Monate zusammen unter dem Radar, bis die Beziehung in die Brüche geht. Era kehrt zu ihrer Mutter und ihrer Tante zurück, während Maja immer radikaler in ihren Ansichten wird.
Dystopie oder einfach nur Realismus?
Was den Roman von Fiona Sironic so faszinierend macht, ist weniger die vordergründige Geschichte, sondern viel mehr die Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird. Sironic zeichnet eine Welt, die immer weniger dafür geeignet ist, um Menschen zu beherbergen. Verschiedene Probleme, die das menschliche Leben beeinflussen, werden im Roman thematisiert. Probleme, die sich jetzt bereits abzeichnen und in nicht weit entfernter Zukunft noch ganz andere Ausmaße annehmen können.
Zum einen geht es um die sozialen Medien und das Influencertum. In einer Zeit, in der es kein lineares Fernsehen mehr gibt, sind Promis ganz anders zu verstehen. Era vertreibt sich die Zeit damit, Streams zu schauen, die von Privatleuten aufgenommen werden. Für Maja ist diese Welt schwer zu ertragen. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, anonym werden zu können und alle Daten, die über sie existieren, zu zerstören. Gleichzeitig haben die Influencerkarrieren ihrer Mütter aber auch für das Dach über ihrem Kopf gesorgt. Und zwar kein schlechtes Dach.
Damit kommen wir zu einem weiteren Punkt, der im Roman deutlich wird. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft noch deutlich weiter auseinander, als heute. Era und ihre Mutter leben in einer kleinen Hütte im Wald und ernähren sich von Pulvern, die sie mit Wasser zu Mahlzeiten anrühren. Frisches Gemüse oder sogar Fleisch können sie sich nicht leisten. Eras Tante lebt in alternativen Wohnkonzepten, zunächst in einer Wohngemeinschaft und schließlich in einem Gewächshaus, einer Art Hippiekommune, die versucht, trotz schwindendem Wohnraum und viel zu heißem Klima, ein gesundes Leben zu führen.
Majas Familie lebt unterdessen in einer großen Villa und hat mehr Geld, als sie ausgeben kann. Angestellte kümmern sich um den Garten und um Hühner, die aber nur dazu da sind, um auf den sozialen Medien Content zu produzieren. Als eine von Majas Müttern Era fragt, ob sie denn Fleisch ist, macht ihre Reaktion deutlich, in welch unterschiedlichen Welten die beiden Mädchen leben.
Allgegenwärtig und das größte Problem ist das Klima. Es gibt keinen Winter mehr. Der Sommer hingegen ist so heiß, dass man sich kaum auf die Straße wagen kann. Waldbrände zerstören den Lebensraum von Tieren und Menschen. Era verbringt ihre Zeit unter anderem damit, zu dokumentieren, wenn schon wieder eine Tierart ausgestorben ist. Im Sommer wird beispielsweise ihr Schulunterricht nur noch remote durchgeführt, als eine Art Bildungsangebot anstelle von festen Schulstunden. Es sind diese Art subtiler, kleiner Veränderungen, mit denen Fiona Sironic die Welt in nur wenigen Jahrzehnten schildert.
Gibt es auch positive Entwicklungen?
Augenscheinlich ja, aber irgendwie bekommt man beim Lesen das Gefühl, dass auch hier eher Kritik mitschwingt. Denn es gibt einige positive, gesellschaftliche Entwicklungen. Wir erfahren die Geschichte aus der Perspektive von Era, und es ist offensichtlich völlig klar für die 15-Jährige, zu gendern und inklusive Sprache zu verwenden. Übrigens kommt der Roman fast völlig ohne männliche Figuren aus, was keineswegs negativ auffällt. Positiv fällt hingegen auf, dass es völlig normal ist, dass Maja und ihre Schwester Merle zwei Mütter haben.
Doch irgendwie bekommt man das Gefühl, dass diese positiven Entwicklungen davor verblassen, zu was für einer Welt sich alles entwickelt hat. Womöglich schwingt da die Kritik mit, dass wir uns zu sehr auf die falschen Probleme fixieren, dass alle Entwicklungen, jeder Schritt hin zu einer inklusiveren Gesellschaft vor der lebensbedrohlichen Gefahr des Klimawandels verblasst.
Abschließend lässt sich sagen, dass Fiona Sironic mit ihrem Debüt ein faszinierender Roman gelungen ist. Obwohl unsere Protagonistin ein 15-jähriges Mädchen ist, eignet sich die Lektüre für alle. Dieser Blick in die Zukunft ist faszinierend und beängstigend zugleich.
"Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft"
von Fiona Sironic
- 208 Seiten
- Ecco
- ISBN: 9783753001067
- 23 Euro
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