Nürnberg - Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel Inhalt auf vergleichsweise wenig Seiten stehen kann. So auch bei Ursula K. LeGuins SciFi-Klassiker „Das Wort für Welt ist Wald“.

Über 50 Jahre ist es her, dass Ursula K. LeGuin 1972 ihre Science Fiction-Novelle veröffentlichte. Da könnten die Themen doch langsam überholt sein, oder? Weit gefehlt, denn auf nur 125 Seiten vereint LeGuin Kritik an Kolonialismus, Massengewalt, Rassismus, Sexismus, Kapitalismus und dem Umgang mit der Umwelt.

„Das Wort für Welt ist Wald“: Worum geht es?

Der Hintergrund erinnert an James Camerons „Avatar“-Filme. Wir befinden uns in einer Zukunft, in der die Menschen die Ressourcen der Erde restlos ausgebeutet haben und nun auf anderen Planeten danach suchen. Die Kolonie auf „Neu-Tahiti“ ist nur wenige Jahre alt, doch die Neuankömmlinge haben bereits große Waldflächen gerodet und das Holz zur Erde geschickt, denn dieses Material ist mehr wert als Gold.

Der Planet, wahlweise „Welt 41“, „Neu-Tahiti“ oder „Athshe“ genannt, abhängig davon, wen man fragt, ist keineswegs unbewohnt. Neben Tieren, die auf der Erde längst ausgestorben sind, lebt hier eine humanoide Spezies, von den Kolonialisten abfällig als „Creechies“ bezeichnet. Tatsächlich stammen sie vermutlich von Menschen ab, die hier vor langer Zeit bereits gesiedelt hatten, doch nach Jahren der Evolution gibt es einige Unterschiede. Die Einwohner von Athshe, wie sie ihren Planeten nennen, sind nur etwa einen Meter groß und komplett von grünem bis braunem Fell bedeckt. Sie haben eine eigene Sprache, eine eigene Kultur und sind komplett gewaltfrei, zumindest untereinander. Ihre primitiven Waffen benutzen sie ausschließlich zur Jagd.

Das machte es für die Menschen von der Erde umso einfacher, sie zu unterdrücken und de facto zu Sklaven zu machen. Tatsächlich ist Sklaverei verboten, offiziell handelt es sich um freiwillige Arbeiter. Die Realität sieht natürlich anders aus: Ohne die einheimischen Sklaven könnten die „Terraner“ von der Erde kaum die Nachfrage nach Holz von der Erde decken. Sie ignorieren die Warnungen von Ökologen und holzen weiter den Urwald ab, obwohl sie dadurch bereits eine komplette Insel unbewohnbar gemacht haben, für Menschen, Tiere und Pflanzen. Nichts als ein kahler Felsen ist übriggeblieben.

Doch wie lange lässt es sich eine Spezies gefallen, von Außerirdischen unterdrückt zu werden? Wie lange kann eine Spezies dabei zusehen, wie ihre Welt zerstört wird? Wie lange dauert es, bis eine zuvor gewaltfreie Spezies zu den Waffen greift und Menschen tötet? Und wie wird das diese Spezies nachhaltig verändern?

Zwischen Science Fiction, Kritik und Satire: „Das Wort für Welt ist Wald“

Die Versklavung einer anderen „Rasse“, die Ausbeutung einer anderen Welt und die Gier nach dem eigenen Vorteil dürfte jede Leserin und jeden Leser an die Versklavung von Afrikanern und den europäischen Kolonialismus erinnern. Die Auswirkungen dieser Politik spüren wir noch immer auf der Welt und doch sind die Themen aus „Das Wort für Welt ist Wald“ viel aktueller.

Denn nach wie vor beuten wir unseren eigenen Planeten aus, stellen den Wohlstand und die Gier weniger über das Allgemeinwohl der gesamten menschlichen Spezies. Offiziell ist Sklaverei von den meisten Gesellschaften abgeschafft, und doch haben wir sie nur auf andere Kontinente ausgelagert, wo Menschen für Hungerlöhne die Produkte herstellen, die wir in unserem Wohlstand genießen. Die Kolonialisten in „Das Wort für Welt ist Wald“ haben den Athsheanern eine eigene Qualität nachhaltig geraubt. Denn egal, wie es auf Athshe weitergeht, die Terraner haben Gewalt in ihre Welt gebracht, eine Gewalt, die die Einheimischen zuvor nicht kannten, die Gewalt zwischen Menschen.

Auch satirische Züge sind in der Novelle zu finden. Es liegt in der Natur einer solch eher kurzen Erzählung, dass sie nicht übermäßig lang sind, mit 125 Seiten gilt das auch für „Das Wort für Welt ist Wald“. Die Figuren haben dadurch nicht besonders viel Zeit, sich zu etablieren. Dieses Problem umgeht LeGuin, indem sie klischeehafte Archetypen erschafft, die ihre Figuren schon beinahe satirisch wirken lassen. Allen voran Captain Don Davidson, der Antagonist der Erzählung, ist die absolute Personifizierung des toxisch-maskulinen Eroberers, der den Athsheanern die Menschlichkeit komplett abspricht und sie nur mehr als bessere Tiere behandelt.

Eine positive Note zum Schluss, denn obwohl gewisse Parallelen zu James Camerons Avatar auftauchen, ist es hier nicht der weiße Mann, der der Heilsbringer für die arme unterdrückte Spezies ist. Zwar gibt es einen Fürsprecher unter den Terranern, der sein Bestes gibt, um das Unrecht an den Einheimischen zu beenden, doch die tatsächliche Retterfigur der Athsheanern ist Selver, einer von ihnen.

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