
In einer für 25 Tiere ausgelegten Anlage leben im Nürnberger Tiergarten aktuell 46 Guinea-Paviane. Es ist unschwer zu erkennen, dass das Gehege zu klein ist, denn der Platzmangel lastet auf seinen Bewohnern. Immer wieder kommt es zu Konflikten, sagen die Verantwortlichen. Deshalb sei eine Verkleinerung der Gruppe notwendig – konkret durch eine schrittweise Tötung.
Die drastischen und absoluten Maßnahmen stießen und stoßen auf viel Kritik. Jüngst erhob auch Meeresbiologe und Aktivist Robert Marc Lehmann schwere Vorwürfe gegen den Tiergarten. Seiner Meinung nach wolle der Zoo die Tiere lieber töten, als sie aus dem Zuchtprogramm zu nehmen. Auf Nachfrage unserer Redaktion äußert sich der Zoo auf diese Vorwürfe.
Wie Lehmann jüngst in einem Video erklärt, gebe es ein Angebot des Great Ape Projects (GAP), die Paviane aufzunehmen. Bei GAP gebe es Platz, Expertise und geeignete Sozialpartner für die Tiere. Da die Gnadenunterkunft jedoch eine Zucht ablehne, wolle der Tiergarten Nürnberg die Tiere dort nicht unterbringen, glaubt Lehmann. Eigentlich sei eine Lösung möglich – beide Parteien müssten nur miteinander sprechen und es auch „wirklich wollen – und genau hier liegt die Problematik, wie ich sie sehe.“
Auf Nachfrage stellt der Tiergarten klar, dass die Anfrage des Great Ape Projects nicht abgelehnt wurde. Am 28. März 2024 hatten die Verantwortlichen mehr Informationen zur Größe des Geheges sowie Angaben darüber gefordert, wie viele Tiere übernommen werden könnten. Die Anfrage blieb bisher aber unbeantwortet. Das sei der aktuelle Stand der Dinge. Anders als von Aktivist Lehmann behauptet, gäbe es im GAP zudem keine weiteren Tiere, die infrage kämen. Denn: „Passende Sozialpartner wären in diesem Fall nur andere Guinea-Paviane. Unseres Wissens hält das GAP diese Art nicht“, sagt der Zoo.
Der Tiergarten respektiere eigenen Angaben nach auch die Entscheidung des GAPs, nicht am Zuchtprogramm teilnehmen zu wollen. Die strengen Voraussetzungen gelten aber, da der Tiergarten das Tierschutzgesetz einhalten wolle, erklärt man auf Anfrage. Da Paviane sehr soziale Tiere sind, müssen sie in einem funktionierenden Sozialverband leben. „Gute und ausgewogene Sozialbeziehungen sind die Basis für jede Primatenhaltung“, zitiert der Tiergarten aus dem vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft erstellten Gutachten über Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren.
GAP-Direktor: „Die Situation ist dramatisch“
Auf Nachfrage der Redaktion bestätigt das GAP, dass der Tiergarten die Ablehnung der Gnadenunterkunft zur Teilnahme am Zuchtprogramm formal akzeptiert hat. Das Problem sei laut Graham Garen, Direktor des Wales Ape & Monkey Sanctuarys, jedoch ein anderes: Der Nürnberger Tiergarten wolle züchten und mit den Tieren Geld verdienen – nicht aber Verantwortung für sie übernehmen. „Die Situation mit den Pavianen ist dramatisch“, sagt Garen.
Laut dem GAP-Direktor habe er seit dem ersten Kontakt vor 15 Monaten nichts mehr vom Tiergarten gehört. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Zoo zudem erklärt, die Transport- sowie Unterhaltungskosten nicht übernehmen zu wollen. In Deutschland gäben Zoos „unglaublich viel Geld“ für die Tiere aus – eine alternative Unterbringung wolle man jedoch nicht finanzieren: „Das kann nur als kriminell eingestuft werden“, wettert Garen. Er glaube zudem, dass der Tiergarten durch die Tötung der Paviane einen Präzedenzfall schaffen möchte und auf eine Lockerung der Regel hoffe. Auch Lehmann stellt dies als Möglichkeit in den Raum.
Wie der Direktor erklärt, habe das GAP mittlerweile keinen Platz mehr für die Tiere. Seit Februar 2025 leben 18 weitere Primaten in der Auffangstation. Garen betont, dass eine Auffangstation nicht 15 Monate lang warten könne, bis Direktoren und Ausschüsse sich für ein Angebot entscheiden. In einer aktuellen Stellungnahme auf der Website des Tiergartens wird der zeitliche Ablauf jedoch anders dargestellt: Demnach habe es, nachdem das GAP bereits keine Kapazitäten für die Paviane hatte, nochmal Kontakt mit dem GAP-Direktor gegeben - dieser habe jedoch nicht auf Rückfragen zu relevanten Informationen reagiert.
Grundsätzlich könne Garen das Vorgehen nicht nachvollziehen – der Tiergarten habe nichts unternommen, „um die wahllose Zucht“ zu verhindern. Die Situation sei besonders erstaunlich, da die EAZA durch dieses Vorgehen nicht sicherstellen könne, dass nicht in zwei Jahren erneut dieselbe Problematik besteht. „Es gibt viele Möglichkeiten, die Zucht zu kontrollieren – wie es viele verantwortungsvolle Zoos tun.“
Lange stand auch die Frage im Raum, ob die Tiere nach Indien ziehen. Im Mai 2025 hieß es dann, dass seitens des indischen Zoos offenbar kein konkretes Interesse an einer Übernahme besteht. Auf Anfrage konkretisieren die Verantwortlichen, dass der Dialog mit dem Zoo im Mai hätte fortgeführt werden sollen. Mehrmalige Kontaktaufnahmen durch EAZA-Kollegen „haben aber keinen neuen Gesprächstermin ergeben.“
Tiergarten Nürnberg: Tötung ist "schnellste und einfachste Methode"
Da sich aus den bisherigen Vermittlungsversuchen keine Übernahmemöglichkeiten ergeben haben, steht die Tötung der Paviane weiterhin im Raum. „Wahrscheinlich werden wir alle Tiere erschießen, weil das die schnellste und einfachste Methode ist“, sagt Zoo-Direktor Dag Encke im Interview mit RTL am Donnerstag, 10. Juli. Das Fleisch der Tiere könne anschließend an andere Zootiere verfüttert werden. Konkrete Pläne zu Zeit und Umsetzung gebe es derzeit nicht, der Tiergarten äußert sich hierzu nicht näher, betont aber, dass er darüber informiert, sollten Paviane getötet werden. Die Tötung gesunder Tiere sei "für uns ethisch vertretbar, wenn ein vernünftiger Grund hierfür vorliegt", so der Tiergarten. Tatsächlich werden im Zoo seit Jahren gesunde Tiere getötet - etwa als Futter für Raubtiere. Andernfalls müssten zusätzliche Nutztiere gekauft werden, die ebenfalls getötet werden müssten.
Weiterhin sei es unabdingbar, dass sich die Tiere fortpflanzen können. Als Tierhalter wolle man nämlich ein „möglichst art- und tiergerechtes Leben ermöglichen“ – dazu gehöre auch das Ausleben möglichst vieler biologischer Bedürfnisse. Hinzu komme dann noch die Pflicht des Zoos, gesunde Populationen zu erhalten: „Dass es vor diesem Hintergrund auf begrenztem Raum zu dem Dilemma kommt, vor dem wir stehen, ist eine logische Konsequenz“, so der Tiergarten Nürnberg.
Aufgrund dieses Umstands müsse man Verantwortung übernehmen und auch Entscheidungen fällen, „die sich nicht gut anfühlen und die unter Umständen den individuellen Interessen einzelner Tiere entgegenstehen“, antwortet der Tiergarten. „Auf juristischer Ebene geht es um die Grenze zur Genehmigungsfähigkeit aus Sicht der Aufsichtsbehörden.“ Wann die Tiere getötet werden, steht aktuell noch nicht fest. Dass es zu diesem drastischen Schritt kommen muss, zeichnete sich bereits seit 2009 ab, erklärt Dag Encke, Direktor des Nürnberger Tiergartens im Gespräch mit der Redaktion.
Verhütungsmethoden funktionieren nicht
Die Aufgabe des Tiergartens hätte es jedoch sein müssen, auf die Überpopulation der Tiere zu achten, sagt Lehmann. Das Populationsmanagement sei jedoch nicht entschlossen genug angegangen worden. Der Tiergarten erklärt in einer Stellungnahme, dass bisherige Verhütungsmethoden nicht den gewünschten Effekt erzielt hätten, da die Weibchen dauerhaft unfruchtbar blieben. Seit 2018 werden in Nürnberg daher keine Guinea-Pavian-Weibchen mehr verhütet. Auch bei den Männchen sei nur eine Sterilisation möglich, die jedoch als sinnlos gelte, „da nur ein fruchtbares Männchen alle Weibchen decken könnte“. Eine irreversible Unfruchtbarkeit sei für den Tiergarten nur abwägbar, wenn die Population aussterben solle.
Die Nürnberger Pavian-Gruppe ist Teil des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms (EAZA Ex-situ Programme, EEP) und wird daher unter der Voraussetzung eines möglichst genetisch vielfältigen Bestands gehalten. Da die Tiere als potenziell gefährdet eingestuft werden, trage die Haltung im Tiergarten zur Erhaltung der Population bei, argumentiert der Zoo. Weiter heißt es, dass sich auf Empfehlung der EAZA und aufgrund des rückläufigen Bestands eine Sterilisierung der Tiere verbiete.
Tiergarten veröffentlicht Richtigstellung
Am 14. Juli veröffentlichte der Tiergarten Nürnberg mittels einer Pressemeldung eine Richtigstellung zu dem Thema. Diese sei "anlässlich zahlreicher, insbesondere auf Social-Media-Plattformen kursierender Falschmeldungen bezüglich überzähliger Paviane, potenzieller Übernahmemöglichkeiten und des Themas Populationsmanagement bei Pavianen" entstanden.
In diesem Schreiben weist der Tiergarten Vorwürfe zurück, dass die weitere Zucht eine Bedingung für die Übernahme der Tiere sei. Dass bei der Übernahme eine Gebühr anfallen solle, streitet der Zoo ebenfalls ab.
Zudem geht der Tiergarten konkret auf den Kontakt mit dem Direktor des WAMS ein. Im Juli 2025 habe man Direktor Garen nochmals per E-Mail kontaktiert und eine Antwort in Aussicht gestellt bekommen. Direkte Informationen bezüglich der aktuellen Aufnahmekapazität oder der Haltungsbedingungen habe der Tiergarten weiterhin noch nicht erhalten.
Es wird auch angemerkt, dass der Tiergarten Nürnberg weiterhin gemeinsam mit dem EAZA direkt mit potenziellen Aufnahmeeinrichtungen verhandeln will, da die Einbindung externer Dritter sich nicht bewährt habe.
Der Artikel wurde am 14. Juli 2025 um 18 Uhr aktualisiert. In der neuen Version wurde der Absatz "Tiergarten veröffentlicht Richtigstellung" hinzugefügt.