
Bereits vor gut einem Jahr hatte der Nürnberger Tiergarten erklärt, dass das Primatengehege maßlos überfüllt sei, es deshalb immer wieder zu Konflikten zwischen den Affen komme und die Gruppe verkleinert werden müsse. Ursprünglich war dafür eine schrittweise Tötung der Tiere vorgesehen. „Da sich derzeit kein Platz für Guinea-Paviane findet, steht die Tötung nach wie vor im Raum“, teilte der Tiergarten der dpa dazu auf Anfrage mit.
Der Tiergarten machte sich nach eigenen Angaben auf die Suche nach einer Unterbringung der Paviane in einem anderen Zoo oder einer vergleichbaren Einrichtung. Bislang allerdings offenbar ohne Erfolg. Es bestehe grundsätzlich nach wie vor die Möglichkeit zur Abgabe von Tieren in eine geeignete Einrichtung. Die Tiere würden weiterhin über ein internationales Netzwerk angeboten. Aktuell liege jedoch „kein konkretes Angebot vor, dass auf ein ernstzunehmendes Interesse an der Übernahme schließen lässt“, heißt es weiter. Genau diese Aussage zweifelt Meeresbiologe und Aktivist Robert Marc Lehmann an. Er meldete sich jüngst in einem Video zu Wort und attackiert darin den Tiergarten scharf.
Seit Veröffentlichung des Themas „Populationsmanagement bei Pavianen“ hätten den Tiergarten Übernahmeangebote aus vier Ländern erreicht. Aus keinem der Angebote habe sich bisher eine konkrete Übernahmemöglichkeit ergeben, schreibt der Tiergarten in seinem Internetauftritt. Es sei Aufgabe des Tiergartens gewesen, auf die Überpopulation zu achten, kontert YouTuber Robert Marc Lehmann. Das Populationsmanagement sei jedoch nicht entschlossen genug angegangen worden.
Dass der Zoo nun eine bedrohte Tierart eventuell töten könnte, sei auch aus einem weiteren Grund unverantwortlich. Ein Übernahmeangebot aus Slowenien lehnte der Tiergarten ab, weil es „vom Expertenteam der EAZA (European Association of Zoos and Aquaria) als für Guinea-Paviane nicht geeignet kategorisiert“ worden sei - so ist es auf der Webseite des Tiergartens zu lesen. Auch Bewerbungen aus Indien und Österreich haben keinen Anklang gefunden. Begründung: es sollen grundlegende Informationen zu den Haltungsbedingungen fehlen.
Unter den Angeboten soll sich auch das sogenannte Great Ape Project in Großbritannien befinden - eine internationale Bewegung, die im Jahr 1994 gegründet wurde. Sie kritisiert den illegalen Handel und die kommerzielle Ausbeutung großer Primaten in Forschungslaboren, Zirkussen, Shows und Zoos. Auch hier fehlen grundlegende Informationen zu den Haltungsbedingungen, schreibt der Tiergarten.
Für Lehmann nicht nachvollziehbar. „Es liegt ein Angebot vor“, entgegnet er. Platz, Expertise und weitere Tiere gebe es bei GAP. Der Ball liege seiner Meinung nach nun beim Tiergarten. Er erklärt im Video, dass ihm der E-Mail-Verlauf zwischen dem Great Ape Project (GAP) und dem Tiergarten Nürnberg vorliege. Demnach habe das GAP mitgeteilt, dass es die Tiere kostenfrei aufnehmen würde – auch der Transfer wäre kostenlos. Die Verantwortlichen des Tiergartens sollen daraufhin geantwortet haben, dass sie grundlegende Informationen zum Gehege und zu den Einrichtungen benötigen, da auch der Europäische Zooverband EAZA die Bewerbungen überprüfe.
Vorwurf: Priorität der Zucht
Eigentlich sei eine Lösung möglich, beide Parteien müssten nur miteinander sprechen und es auch „wirklich wollen – und genau hier liegt die Problematik, wie ich sie sehe“, sagt Lehmann. Der Aktivist wirft dem Tiergarten vor, dass die Verantwortlichen die Paviane ausschließlich dorthin schicken möchten, wo mit ihnen gezüchtet wird. Er vermutet, dass der Zoo die Abgabe bewusst kompliziert gestaltet, um das Töten zu ermöglichen und rechtlich zu legitimieren.
Der Tiergarten selbst sieht sich in einem faktischen Dilemma. Aufgrund der unsicheren Rechtslage würden derzeit tierschutzrechtliche, tierschutzfachliche, naturschutzrechtliche und strafrechtliche Aspekte abgewogen. Tierrechtsorganisationen haben den Nürnberger Tiergarten wiederholt für seine Pläne, einzelne Paviane zu töten, kritisiert. Die Organisation Pro Wildlife etwa kündigte an, in diesem Fall Strafanzeige stellen zu wollen. Nach Einschätzung der Tierrechtsorganisation verstößt die geplante Tötung der Tiere gegen das Tierschutzgesetz, das eine Tötung ohne vernünftigen Grund als Straftat ahnde.
Gegenüber der Süddeutschen Zeitung betont Tiergartenchef Encke, dass Töten Teil des Artenschutzes sei. Bei guten Haltungsbedingungen vermehren sich die Tiere nämlich, wodurch der Tiergarten an seine Platzkapazitäten stößt. Wenn es keine Möglichkeit der Migration gibt, dann könne man das nur durch eine Sterberate steuern, sagt Encke.
Der Tiergarten will an der Haltung festhalten, da das Überleben der Art in menschlicher Obhut eine „Basis für Auswilderung bilden kann, wenn es irgendwann geschützte und dafür geeignete Räume gibt.“ Eine Auswilderung sei aktuell jedoch nicht möglich, hieß es bereits im Februar 2024.
Gnadenunterkunft nur unter bestimmten Bedingungen
Im Februar 2024 informierte der Tiergarten Nürnberg erstmals über das Thema „Populationsmanagement bei Pavianen“. Im Umweltausschuss der Stadt Nürnberg wollte Tiergartendirektor Dag Encke deswegen einen Diskurs anstoßen und „um Verständnis werben“, heißt es in einer ersten Pressemeldung. Unmittelbar nach der Ankündigung kritisierten Verbände, Tierschützerinnen und -schützer das geplante Vorgehen.
Eine Gnadenunterkunft oder ein Sanctuary, wie es das GAP bieten würde, sei nur möglich, wenn eine Eingliederung in eine soziale Gruppe gewährleistet sei, heißt es weiter in einer Erklärung des Tiergartens. „Die einzige große Tierschutzeinrichtung in Europa, die Primaten aufnimmt, bis sie an einen anderen Halter vermittelt werden können, kämpft zurzeit mit einer ‚Warteliste‘ von Dutzenden konfiszierten Tieren. Der Tiergarten hat auch dort angefragt.“
Lange Pavian-Tradition in Nürnberg
Guinea-Paviane leben seit 1942 im Nürnberger Tiergarten. Sie sind Teil des europäischen Erhaltungszuchtprogramms. Die Primaten finden dem Tiergarten zufolge in der Natur kaum noch Lebensraum, ihr Bestand nimmt ab. Deshalb soll eine Population in Zoos überleben, die in Zukunft ausgewildert werden könnte, wenn es geschützte Gebiete für sie gäbe.
Robert Marc Lehmann ist Meeresbiologe, Fotograf, Umweltschützer und YouTuber - auf seinem Kanal tummeln sich fast eine Million Abonennten. Er hat mit seinen Beiträgen mehrere Auszeichnungen gewonnen, darunter den Cannes Corporate Media & TV Award. Zudem gründete der 42-Jährige den Verein Mission Erde, der dazu beitragen soll, Lebensräume zu erhalten und die Bevölkerung für den Schutz von Wildtieren sowie den verantwortungsvollen Umgang mit der Natur zu sensibilisieren.“