
Das von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigte Sonderprogramm von 100 Milliarden Euro reicht nach Auffassung des Münchener ifo Instituts angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine und der Zeitenwende im Sicherheitsverständnis Europas nicht aus. Die für den normalen Verteidigungshaushalt vorgesehene nominelle Steigerung um 7,2 Prozent im laufenden Jahr werde von der zu erwartenden Inflation fast vollständig aufgezehrt, sagte ifo-Forscher Florian Dorn am Dienstag in München.
Um das Ziel zu erreichen, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, müsste die Bundeswehr dauerhaft 25 Milliarden Euro pro Haushaltsjahr mehr bekommen, so Dorn. In diesem Jahr seien 50,3 Milliarden Euro im Bundeshaushalt vorgesehen, was nur 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung entspreche. Gemessen an dieser Wirtschaftsleistung Deutschlands sinke damit der Verteidigungshaushalt, selbst wenn man für die Konjunkturentwicklung die pessimistischsten Annahmen zugrunde lege.
Sondervermögen reicht nicht aus
"Die Zeiten der Friedensdividende, in der Einsparungen bei der Verteidigung finanzielle Spielräume für andere politischen Projekte ermöglichten, sind vorbei", schreibt Dorn in einem Aufsatz. Das einmalige Sondervermögen von 100 Milliarden Euro werde "keinesfalls" ausreichen, die entstandene Finanzierungslücke der vergangenen Jahre vollständig aufzufangen, alle Mängel kurzfristig zu beseitigen und die Bundeswehr nachhaltig neu aufzustellen. Zudem müssten für den Einsatz der Mittel effizientere Strukturen geschaffen werden. Es gehe nicht nur darum, mehr Geld einzusetzen, sondern auch darum, die Mittel besser zu verwenden.
Seit 1992 habe Europa und insbesondere Deutschland eine intensive Abrüstung erlebt, erläuterte ifo-Forscher Marcel Schlepper. In Deutschland ist nach ifo-Angaben die Anzahl der Kampfpanzer bis 2020 um 88 Prozent und jene der Kampfflugzeuge und -hubschrauber um 78 Prozent reduziert worden. Selbst wenn deutsches, französisches und britisches Militärgerät gebündelt werde, sei die Anzahl russischer und chinesischer Kampfpanzer um den Faktor fünf beziehungsweise acht höher. Bei den Kampfflugzeugen und -hubschraubern sind es doppelt respektive drei Mal so viele.
Neben den Vereinigten Staaten, von deren Sicherheitsgarantien Europa abhängig sei, entwickelten auch China und Russland komplexe technologische Innovationen wie Tarnkappenjets und Hyperschallraketen für ihre jeweils umfangreichen Streitkräfte.