
Nur ein Gast bei einer Talkshow - das ist immer ein Zeichen für den Ernst der Lage. Angela Merkel war fünf Mal bei Anne Will, es ging um die Flüchtlingskrise 2015 oder die zurückgenommene Corona-Osterruhe 2021.
Ein einziges Thema
Das war vor genau einem Jahr. Und seit nun gut einem Monat hat sich die Welt dramatisch verändert. Klar, dass es beim ersten Solo von Olaf Scholz bei Anne Will fast nur um dieses eine Thema ging: Putins Krieg gegen die Ukraine.
Es sei eine "furchtbare Katastrophe, dass das größte Land Europas, Russland, gegen das zweitgrößte Land Europas, die Ukraine, Krieg führt", so Scholz. Er präsentierte sich - wie stets - sehr selbstbewusst, wies jede Form der Kritik zurück. Auf jede Form von Selbstironie, mit der Angela Merkel gern punktete, verzichtet der Kanzler - dem Ernst der Lage angemessen.
Kritik bürstet der Kanzler ab
Ob denn Deutschland von ihm wirklich Führung bekomme, wollte Will wissen und verwies auf die massive Kritik, die der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi etwa bei seiner Rede vor dem Bundestag an der zögerlichen Haltung der Regierung übte. Scholz bürstete das ab. "Eindeutig" führe er, sagte der Kanzler und verwies auf seine "Zeitenwende"-Rede drei Tage nach Kriegsbeginn, als er unter anderem das 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr ankündigte.
"Wir tun alles, was in unserer Macht steht, und was möglich und sinnvoll ist", sagte er und nannte die Waffenlieferungen an die Ukraine. Die unvergleichlich harten Sanktionen gegen Moskau hätten "dramatische Auswirkungen" auf Putins Regime. Der Kanzler wies Kritik zurück, wie sie vor allem der ukrainische Botschafter in Deutschland immer wieder übt. Man müsse eine noch größere Konfrontation ausschließen, daher könne man nicht alle Forderungen der Ukraine erfüllen.
"Großer, großer Misserfolg der Putinschen Aggressionen"
Scholz beschrieb Putin als den momentan klaren Verlierer. Er erreiche das Gegenteil von dem, was er wollte: Die Nato rückt zusammen, viele Staaten rüsten auf , die Sanktionen wirken. Das sei ein "großer, großer Misserfolg der Putinschen Aggression"
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Sehr empfindlich zeigte sich der Kanzler bei der Frage nach einer Verschärfung der Sanktionen durch einen Boykott der russischen Gas- und Öl-Importe. Da gehe es "um Mobilität, es geht um unglaublich viele Arbeitsplätze", so Scholz. "Wir versuchen, uns so schnell wie möglich von solchen Importen unabhängig zu machen." Und weiter: "Wir haben eine Botschaft ausgesandt, die den Präsidenten im Kreml umtreiben muss - eine der wesentlichen Einnahmequellen wird dauerhaft verschwinden."
"Da kommt jetzt einiges durcheinander"
Ob es ihn beschäme, dass gerade die SPD Deutschland in die große Abhängigkeit von Russland gebracht habe, will Anne Will wissen. Auch da reagiert Scholz abwehrend: "Da kommt jetzt einiges durcheinander", es habe doch eine Kanzlerin der CDU 16 Jahre regiert.
Emotional wird der Regierungschef, als er von seinem Besuch bei Putin vor fünf Wochen, eine Woche vor Kriegsbeginn, berichtet. "Was mich geängstigt hat, ist diese unglaubliche Betonung von Geopolitik. Putin hadert mit einem Grundsatz der aktuellen Politik - dass Grenzen nicht mehr verschoben werden dürfen. Das ist eine Bedrohung für den Frieden. Wer in Geschichtsbüchern blättert und sich Grenzen von früher anschaut und Konsequenzen für heute ableitet, der stürzt Europa in ewige Kriege."
Ob US-Präsident Joe Biden einen gefährlichen Fehler gemacht habe, als er Putin einen "Kriegsverbrecher" nannte, fragt Anne Will. Scholz weicht aus, vermeidet den Begriff. Und er stellt auch klar, dass es - anders als Biden am Samstag in Prag andeutete - nicht um einen Regimewechsel gehe. Es sei aber klar, "dass wir uns wünschen, dass Demokratie, Freiheit und Recht überall eine Zukunft haben".
"Da weinen viele Eltern um ihre Kinder"
Handele Putin noch rational, fragt Will. Scholz: "Ich finde die Entscheidungen alle falsch - er zerstört nicht nur die Ukraine, sondern auch Russland". Es seien wohl schon über 10.000 Russen gefallen. "Da weinen viele Eltern um ihre Kinder in einem sinnlosen, falschen Krieg."
Massiv warnt er Putin vor dem Einsatz von Bio- oder Chemiewaffen: Das würde "härteste Konsequenzen haben" Scholz: Wir senden die Botschaft aus: Lass es bleiben."
"Rückkehr des Imperialismus verhindern"
Aber was geschieht, wenn Putin in der Ukraine nicht gestoppt wird? Macht er dann weiter? Ja, befürchtet Scholz: "Wer Gewalt einsetzt, um das Recht zu brechen, um Grenzen zu verschieben, der wird das auch wieder tun." Die "Rückkehr des Imperialismus", die Putin wolle, müsse verhindert werden. Dass die Bundeswehr ein neues Raketenschutzschild bekommen soll, bestätigt er indirekt: "Es ist dringend notwendig, dass wir die Bundeswehr mit mehr Mitteln ausstatten"
Zum Schluss fragt Anne Will, ob Scholz sich das Kanzler-Sein anders vorgestellt habe. "Nein", sagt Scholz kurz.
