
Frau Kneifel, darf man bei einer Beerdigung eigentlich lachen?
Sarah Kneifel: Ja, unbedingt! Für mich ist eine Beerdigung eine Feier, die ich sehr ernst nehme. Ein gelungener Abschied ist für die Hinterbliebenen wichtig. Dabei darf aber durchaus auch gelacht werden.
Was macht so ein Lachen mit Ihnen?
Kneifel: Das Lachen zeigt mir als Trauerrednerin, dass ich das getroffen habe, was die Leute wirklich mit der oder dem Verstorbenen verbinden. Es sind meistens kleine Schrulligkeiten, besondere Gewohnheiten oder Essensvorlieben, die die Menschen liebenswert machen, über die man lachen muss. Sie bleiben mir auch im Gedächtnis, wenn ich nach Jahren an eine Beerdigung zurückdenke, die ich gehalten habe.
An welche Momente können Sie sich noch ganz genau erinnern?
Kneifel: Besondere Momente gibt es ganz viele. Eine Frau mochte recht gerne Schnaps. Also hat ihre Familie am Grab Schnapsfläschchen ausgepackt und ihn als letzten Gruß ins Grab geleert. Ich erinnere mich auch an einen Mann, der begeistert Standuhren gesammelt hat. Er hat darauf bestanden, dass sie alle aufgezogen werden und zu jeder vollen Stunde schlagen. Er war aber der einzige der Familie, der dabei schlafen konnte.
Erinnerungen, die ein Leben lang bleiben
Eine Beerdigung ist also nicht immer nur traurig?
Kneifel: Nein, eine Beerdigung bedeutet ja auch immer: Wir feiern das Leben von jemandem - und erinnern uns noch einmal daran, was sie oder ihn besonders gemacht hat. Für mich ist wichtig herauszuarbeiten, was bleiben wird und welche Erinnerungen man so gerne hat, dass man sie ein Leben lang bei sich behält.
Die Trauergespräche mit den Angehörigen im Vorfeld sind sicher meist weniger amüsant. Wie laufen sie ab?
Kneifel: Ich frage zunächst: Wie war er oder sie denn so? Manche sind dann skeptisch. Sie wollen sich lieber am Lebenslauf entlanghangeln. Das machen wir dann auch. Andere dagegen lassen sich darauf ein und reden direkt darauf los.
Die Gemütslage kann sich in solchen Momenten natürlich schnell ändern.
Kneifel: Manche weinen viel, was sein darf und gut ist, wenn die Tränen rausgehen, andere überhaupt nicht. Sie wirken distanziert, was aber genauso okay ist. Jeder Mensch verarbeitet den Tod anders und trauert anders. Ich glaube, dass es in den Familien oft schwierig ist, sich gegenseitig zu verstehen, weil man sich fragt: Warum weinen denn andere nicht? Sind sie gar nicht traurig? Dass jemand nicht weint, heißt aber nicht, dass er oder sie nicht traurig ist, sondern vielleicht nur anders trauert. Trauer ist sehr individuell.
Wie gehen Sie in solche Gespräche, vor allem bei tragischen Schicksalen?
Kneifel: Völlig offen. Ich lasse die Gespräche auf mich zukommen. Ich bin keine Therapeutin. Als Seelsorgerin ist es in Ordnung, dass ich menschlich reagiere. Ich muss da sein in dem Moment, manchmal auch Dinge aushalten. Aber das ist okay und schön so. Wenn ich vorab auf dem Datenblatt lese, dass die verstorbene Person jünger war als ich, muss ich aber schon mal schlucken.
Als Gemeindereferentin haben Sie sehr vielfältige Aufgaben. Wie gelingt Ihnen der emotionale Spagat zwischen erfreulichen und traurigen Anlässen?
Kneifel: Ich finde es großartig, dass mein Beruf so abwechslungsreich ist. An einem Tag stehe ich am Friedhof, am nächsten vor einer Grundschulklasse. Andere empfinden es vielleicht anders, für mich ist der Beerdigungsdienst aber kein trauriger Dienst. Ich finde es schön, die Lebensgeschichte von Menschen zu erfahren und den Angehörigen beim Abschiednehmen helfen zu können.
Dabei erfahren manchmal auch Angehörige selbst Neues über die Verstorbenen.
Kneifel: Ich habe schon die Erfahrung gemacht, dass eine Mutter, deren Mann im hohen Alter gestorben ist, mit ihrer erwachsenen Tochter zum Gespräch kam. Als sie zu erzählen begann, wie sie ihren Mann kennengelernt hat, sagte die Tochter überrascht: "Was? Das wusste ich überhaupt nicht. Das ist ja voll die schöne Geschichte." So etwas passiert ganz oft und ist sehr wertvoll.
Was machen Sie, wenn es über einen Verstorbenen kaum etwas zu erzählen gibt?
Kneifel: Das sind für mich die schwierigsten Beerdigungen. Sie werden eher neutral. Als kirchliche Trauerrednerin habe ich es natürlich leichter, weil ich mich am Ritus orientieren kann und biblische Texte auslegen kann. Ich mag biblische Texte, weil sie sehr viel Hoffnung schenken. Dazu kann ich viel erzählen.
Ein Ort der Trauer
Welche Bedeutung hat für Sie der klassische Trauermonat November mit dem Volkstrauertag, dem Totensonntag et cetera?
Kneifel: Für mich als Katholikin spielen eher Allerseelen und Allerheiligen eine Rolle. Ich finde es schön, wenn Familien zusammen das Grab besuchen. Ich habe aber auch Verständnis, wenn Menschen sagen, dass sie das nicht brauchen. Manche benötigen einen Ort der Trauer - wie etwa unser Kolumbarium, einen Raum für Urnenbestattungen, in der St.-Ludwig-Kirche - um Verstorbenen ganz nahe sein zu können. Andere sagen, dass sie lieber an Verstorbene denken, wenn sie morgens aufstehen oder einen Kaffee trinken. So ist der Friedhof für manche wichtig, für andere weniger.
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War für Sie immer klar, dass Sie selbst einmal Beerdigungen halten und gestalten wollen?
Kneifel: Am Anfang meiner Ausbildung hatte ich wirklich Angst und habe gesagt: Beerdigung ist nichts für mich, das will ich nicht. Ich hatte aber eine Kollegin, die mir erzählt hat, was für ein toller Dienst das ist und wie viel er ihr gibt. Da bin ich neugierig geworden, habe sie begleitet und mir angeschaut, wie das ist. Ich dachte von mir selbst, dass ich das nicht aushalten kann, wenn ich so traurige Geschichten höre.
Was haben Sie denn befürchtet?
Kneifel: Ich habe mir vorgestellt, dass ich dabei weinen müsste.
"Können Sie nicht weinen und reden?"
Was hat Ihnen diese Angst genommen?
Kneifel: Wir hatten mal im Team eine Fortbildung. Da sagte mir eine Psychologin: "Na und? Können Sie nicht weinen und reden?" Sie hat mir klargemacht, dass es einen immer mal erwischen kann. Aber man kann ja sagen, dass einen der Fall sehr stark berührt, und trotzdem weitersprechen. Alle Emotionen sind okay und dürfen sein.
Mussten Sie denn schon bei einer Beerdigung, die Sie gehalten haben, weinen?
Kneifel: Nein, tatsächlich nicht. In dem Moment habe ich eine Aufgabe. Ich merke, dass ich damit sehr gut umgehen kann.
Haben Sie schon einmal jemanden aus Ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis beerdigt?
Kneifel: Ja, den Partner einer meiner besten Freundinnen. Natürlich will man auf keinen Fall, dass Freunde sterben, aber ich habe es auch als Ehre empfunden, dass ich gefragt wurde, ob ich ihn beerdigen kann. Ich glaube, ich habe meiner Freundin damit einen guten Dienst erwiesen, auch wenn es schlimm war, dass es überhaupt jemand machen musste. Ich glaube, dass eine gute Verabschiedung ganz wichtig ist und es sehr traumatisierend sein kann, wenn sie nicht gelingt.
Das war für viele Menschen ja gerade während des Corona-Lockdowns extrem schwierig.
Kneifel: Ja. Da habe ich Gespräche mit Angehörigen geführt, die Verstorbene zum letzten Mal vor einem halben Jahr gesehen haben. Das war für sie sehr belastend und schwierig zu begreifen, dass die- oder derjenige plötzlich tot sein soll.
Wie gehen Sie damit um, dass auch Sie eines Tages sterben müssen?
Kneifel: Seit ich mir meinen eigenen Tod vor Augen geführt habe, hat mir das ganz viel Angst genommen. Am Anfang war es ein schrecklicher Gedanke, dass ich irgendwann sterben werde. Wenn man sich aber intensiver mit seinem eigenen Tod auseinandersetzt, verliert er irgendwann den Schrecken. Bei mir war es jedenfalls so. Ich kann jetzt an meinen eigenen Tod denken, ohne traurig zu werden. Wenn man akzeptiert, dass man sterben wird, wird jeder Tag viel intensiver, bunter und wertvoller. Das macht die mir verbleibende Zeit viel kostbarer. Denn ich muss sie gut nutzen. Das klingt so abgedroschen, aber ich finde: Es tut gut, wenn man sich anschaut, welche Dinge einem wirklich wichtig sind.

