
Es war dieser eine Moment in der „Elefantenrunde“ der Spitzenpolitiker nach der Wahl, der aufhorchen ließ. FDP-Vorsitzender Christian Lindner hatte gerade das Wort. Er ließ mal eben die beiden Kanzlerkandidaten von SPD und Union abblitzen. Es könnte „ratsam“ sein, so Lindner, „dass Grüne und FDP zuerst untereinander sprechen, um all das, was danach kommt, zu strukturieren“.
Ein etwas komplizierter Satz. Aber er bedeutet nicht weniger als einen Kulturbruch in der deutschen Politik. Bisher war es immer so, dass eine der beiden großen Volksparteien die möglichen kleinen Partner zu ersten Sondierungsgesprächen einlud. Nacheinander durften sie antanzen und ihre Wünsche für ein Bündnis äußern.
Altkanzler Gerhard Schröder hat für diese Art des Koalierens und Regierens mal das Bild von „Koch und Kellner“ geprägt. Er meinte das nicht besonders wertschätzend, sondern wollte ausdrücken, dass der eine für die Hauptsache verantwortlich sei, nämlich das gute Essen, und der andere die Speisen gerade mal noch servieren dürfe.
Wunschkanzler "aussuchen"
Nun ändert sich das eventuell dramatisch. Die beiden kleineren Parteien könnten untereinander beraten und sich danach quasi einen gemeinsamen Wunschkanzler „aussuchen“. Das ist nicht nur eine Vorstellung der FDP, sondern da ist man sich auch mit den Grünen ungewohnt einig. So hörte es sich jedenfalls bei Annalena Baerbock an, die sich für eine neue „Logik“ der Koalitionsfindung aussprach.
Was das konkret bedeutet, das konnte schon in der Wahlnacht beobachten. Grünen-Chef Robert Habeck war in der Parteizentrale kaum ohne Handy am Ohr zu sehen. Er gab selbst zu, dass er sein Smartphone „leertelefoniert“ habe. Unter den Gesprächspartnern könnten bereits erste Liberale gewesen sein, die gratulierten – und vorfühlten, wie es denn mit einer Partnerschaft aussieht.
Die „Großen“ beobachten mit Erstaunen, was da vor sich geht. Denn eigentlich sind ja sie es, die den Kurs einer Koalition von Anfang an bestimmen möchten. Auf Nachfrage meinte aber Olaf Scholz am Morgen nach der Wahl, es sei schon „okay“, wenn die SPD an den ersten grün-gelben Verhandlungen nicht beteiligt sei.
Inhaltlich weit entfernt
FDP-Generalsekretär Volker Wissing nannte einen weiteren Grund dafür, warum solche Vorgespräche sinnvoll sein könnten. Grüne und Liberale seien ja nun sowohl bei einer Ampel als bei Jamaika die Partner, die inhaltlich am weitesten voneinander entfernt seien. Wenn es zwischen denen klappe, dann spreche auch einiges für den Erfolg einer Dreierkoalition mit SPD oder Union.
Natürlich warten die Volksparteien nicht tatenlos ab, was da geschieht. Bei den Sozialdemokraten fürchtet man ein wenig, dass der Grünen-Chef Robert Habeck persönlich zu einer Jamaika-Koalition tendieren könnte. Denn in einer solchen Konstellation war er schon mal stellvertetender Ministerpräsident gewesen (in Schleswig-Holstein) und hatte gute Erfahrungen damit gemacht. Dem Vernehmen nach soll es intensive Telefonkontakte von SPD-Seite mit der zweiten Reihe der Grünen gegeben haben, um für ein Bündnis der Wahlsieger, also der Ampel, zu werben.
Sowohl bei den Grünen als auch bei der FDP blickt man mit gewisser Sorge auf die Entwicklung innerhalb der CDU. Je heftiger bei den Christdemokraten über die Zukunft Armin Laschets diskutiert wird, desto geringer dürfte die Neigung möglicher Partner zu einem Bündnis mit seiner Partei sein.
Partner fordern "Respekt"
Das wichtigste Stichwort für eine neue Regierungskoalition soll nach dem Wunsch der beiden kleineren Partner eine andere Kultur des Umgangs miteinander sein. Konstantin Kuhle (FDP) sprach davon, dass „der Respekt voreinander“ gewahrt werden müsse. Da hatte er wohl die letzte Regierungsbeteiligung der Liberalen (2009 bis 2013 mit der Union) in Erinnerung, die nach heftigen Streitereien mit dem Rauswurf der FDP aus dem Bundestag durch die Wähler endete. Dieser Schock prägt die Partei bis heute.
