Nürnberg - Der Countdown läuft: Nur noch wenige Tage bis zur Wahl. Die Triells sind vorbei, nun versuchen die Parteien, Unentschlossene zu gewinnen. Olaf Scholz gibt sich schon als kommender Kanzler. Ist das Rennen tatsächlich schon gelaufen? NN-Chefredakteur Alexander Jungkunz rät zu Vorsicht.

Nur noch ein paar Tage, dann ist die Wahl gelaufen. Aber ist sie schon gelaufen? Wer Olaf Scholz nicht nur beim letzten Triell beobachtet hat, der erlebte einen sehr siegessicheren Kandidaten, der eher schon auftrat wie der neue Kanzler: staatsmännisch-zurückhaltend, manchmal aber auch unangemessen überheblich.

Scholz kann auch überheblich wirken

Letzteres war unübersehbar, als der Sozialdemokrat an einer Stelle des Triells gegen seinen Konkurrenten Armin Laschet austeilte. Sein Eintreten für eine Erhöhung des Mindestlohns begründete Scholz da so: "Ich mache das nicht, weil gerade Wahlkampf ist, sondern für die Würde der Bürgerinnen und Bürger. Das unterscheidet uns beide vermutlich."

Eine doppelt vergiftete Attacke: Zum einen unterstellt Scholz Laschet, die Würde der Menschen sei dem CDU-Chef bei dem Thema egal. Und zum anderen plädiert Laschet ja gar nicht für eine Anhebung des Mindestlohns - nicht einmal, um bei den Wählern zu punkten.

Er hat quasi das Triple bei den Triellen geholt

Es war dies allerdings der einzige offensichtliche Ausrutscher, den sich Scholz erlaubte - ein Ausrutscher zumal, den seine Anhänger als Pluspunkt werten dürften: Da kämpft einer für anständige Bezahlung. Scholz hat quasi das Triple geholt - er gewann laut den Umfragen alle drei Trielle. Und nach wie vor sehen sämtliche Demoskopen die Sozialdemokraten deutlich vor der Union.

Deshalb legte der Sozialdemokrat auch bei seinem Wahlkampf-Auftritt in Nürnberg eine gehörige Portion Siegesgewissheit an den Tag, ließ sich als kommender Kanzler feiern. Beim Triell und auch im Interview wurde zudem deutlich, welches Bündnis Scholz favorisiert: Im TV übte er engen Schulterschluss mit Annalena Baerbock, beide gingen auf Distanz zu Laschet.

Vorwürfe scheinen ins Leere zu laufen

Dessen Attacken in Sachen Durchsuchung im Ministerium wegen der FIU - jener Einheit, die Geldwäsche bisher eher ungenügend kontrollierte - scheinen bei vielen Bürgern ins Leere zu laufen. Zu komplex ist die Materie, zu wenig belegbar sind die auch wahlkampf-motivierten Vorwürfe. Immerhin nimmt Scholz sie so ernst, dass er doch persönlich vor dem Finanzausschuss erschien - was sich auch gehört.


Wie geht es nach der Bundestagswahl weiter? Unser Newsletter "Zwei Kreuzchen" liefert Ihnen exklusive Infos, Analysen und Hintergründe - und das bis zur Bildung einer neuen Regierung. Hier können Sie kostenlos bestellen. Samstags ab 6 Uhr in Ihrem Mailpostfach.

Ist das Rennen also gelaufen? Vorsicht. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt lagen die Demoskopen gewaltig daneben. Und Armin Laschet schaffte schon einmal einen unerwarteten, knappen Sieg in letzter Minute - bei der Wahl in NRW 2017 gewann er im Endspurt gegen SPD-Amtsinhaberin Hannelore Kraft.

Söders Fußball-Vergleich

Markus Söder warnt Scholz vor zu viel Siegesgewissheit; der CSU-Chef spricht mal wieder in Fußball-Bildern: "Wer in der 80. Minute glaubt, er hat schon gewonnen, der erlebt manchmal sein schwarzes Wunder am Schluss."

Um ein Spiel zu drehen, braucht es aber ein Team, das am Ende alle Kräfte bündelt und sich einer bereits absehbaren Niederlage entgegenstemmt. Davon war allerdings auch nach Einschätzung von Laschet-Anhängern zu wenig zu spüren - beim Triell wie im bisherigen Wahlkampf-Endspurt.