Berlin - Am Sonntag wird nicht nur ein neuer Bundestag gewählt, sondern auch in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern dürfen die Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme abgeben. Ein Blick auf die Chancen laut der jüngsten Umfragen.

Junge Berliner(innen), die heuer zum ersten Mal wählen dürfen, haben in ihrem ganzen Leben nur Regierende Bürgermeister von der SPD erlebt. Die Partei hat in der deutschen Hauptstadt dieses Amt schon seit 20 Jahren für sich gepachtet. Und es scheint so, als sollte es auch nach dem 26. September so weitergehen. Das ist eine gewisse Überraschung, denn bis vor wenigen Monaten hatte es ganz und gar nicht so ausgesehen.

Wie auf Bundesebene auch schienen die Sozialdemokraten bis in den Sommer dieses Jahres weit davon entfernt, die stärkste Regierungspartei werden zu können. Die Grünen lagen in den Umfragen ständig um fünf bis zehn Prozentpunkte vor der SPD und viele waren fest davon überzeugt, dass es die Partei Ernst Reuters und Willy Brandts dieses Mal nicht auf Platz eins schaffen würde. Die Ursachen dafür waren vielseitig.

Erstens hatte die Stadtbevölkerung nicht den besten Eindruck von Bürgermeister Michael Müller. Den halten zwar fast alle für einen netten Mann, aber eben auch für zu wenig entschlossen und tatkräftig, um die Probleme der Stadt in den Griff zu bekommen. In der rot-rot-grünen Regierung schien es immer wieder so, als ob er sich nicht durchsetzen könne. Dazu kamen der bundesweite Niedergang der SPD und das Hoch bei den Grünen.

Affäre schadete nicht

Aber dann reichten ein paar Faktoren aus, um die Stimmung zu drehen. Ex-Bundesministerin Franziska Giffey (43) setzte sich als Spitzenkandidatin durch und kam trotz ihrer Plagiatsaffäre bei der Doktorarbeit ganz gut an. Sie versteht es meisterhaft, als die Zupackerin aufzutreten, die Behördenschlampereien, Wohnungsnot und andere Hauptstadtprobleme angehen kann. Der Siegeszug von Olaf Scholz verschaffte ihr weiteren Zuspruch. Und schließlich kam noch die unfreiwillige Unterstützung durch die Konkurrenz hinzu.

Die Grünen stellten mit der weitgehend unbekannten Bettina Jarrasch eine Bürgermeister-Kandidatin auf, die einfach keine Zugkraft entwickeln konnte. Sie war zwar mal Landesvorsitzende ihrer Partei, aber das liegt auch schon wieder fünf Jahre zurück. Im Wahlkampf geht die 53-Jährige weitgehend unter.

Die Umfragezahlen sind inzwischen recht deutlich. Die SPD führt in der jüngsten Erhebung (Mitte September, Infratest dimap) mit 24 Prozent. Es folgen mit spürbarem Abstand die Grünen (18), die CDU (16), die Linken (13), die AfD (10) und die FDP (7). Für Franziska Giffey wäre das eine optimale Verhandlungsposition. Sie könnte locker die rot-rot-grüne Regierung fortsetzen. Sie könnte aber auch mit einer Koalition von Sozialdemokraten, CDU und FDP drohen, wenn die bisherigen Partner nicht gefügig genug wären.

Erst die zweite Frau im Amt

Ein solches Bündnis würde zwar gar nicht zur eher linken Funktionärsbasis der Berliner SPD passen, aber die Realpolitikerin Giffey hätte vermutlich kein Problem damit. Schon als Bürgermeisterin von Neukölln verscherzte sie es sich mit manchen in ihrer Partei, weil sie die Schattenseiten der Migration deutlich ansprach und mit teils harten Methoden in ihrem Bezirk für Ordnung sorgte. Sie wäre übrigens die erste Regierende Bürgermeisterin Berlins seit ihrer Genossin Louise Schröder, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg amtierte.

Neben der resoluten Giffey könnte eine zweite SPD-Landespolitikerin am 26. September ihren großen Auftritt haben: Manuela Schwesig. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und ihre SPD stehen sogar noch weit besser da als ihre Parteifreunde in Berlin. Ja, man muss es eingestehen, die Umfragewerte sind regelrecht sensationell. Der Regierungschefin werden nun schon in der zweiten Erhebung nacheinander 40 Prozent der Stimmen zugetraut.

Eigentlich dachten viele, so etwas werde es in Deutschland angesichts der Zersplitterung der Parteienlandschaft gar nicht mehr geben. Doch Manuela Schwesig schaffte es in der Corona-Zeit, zu dem im Grunde einzigen wirklich bekannten politischen Gesicht des Bundeslandes zu werden. Die 47-Jährige ist erst seit vier Jahren im Amt, macht aber den Eindruck, als ob sie schon zehn Jahre lang die Zügel in der Hand hielte.

Schwesigs Aufstieg

Bei der Konkurrenz setzte seit Schwesigs Wechsel vom Bundeskabinett an die Spitze der Landesregierung ein unaufhaltsamer Abstieg ein. Die nächststärkere politische Kraft, der Koalitionspartner CDU, liegt nach den Umfragen mit 15 Prozent bei weniger als der Hälfte. Auch die AfD bringt es in diesem ostdeutschen Land nur auf 15 Prozent, von Linken (10), Grünen (6) und FDP (5) erst gar nicht zu reden. Es könnte also ein ziemlicher Jubeltag für die SPD werden, wenn am 27. September die Parteigremien in Berlin zusammenkommen. Da würden dann Olaf Scholz, Franziska Giffey und Manuela Schwesig auf der Bühne stehen und man müsste ausnahmsweise gar nicht überlegen, wie man wieder mal eine Wahl schönreden kann.