Nürnberg - Wenn man nach 31 Jahren Mitgliedschaft eine Partei verlässt und zur politischen Konkurrenz wechselt, dann geschieht das nicht leichtfertig sondern aus bestimmten Gründen. Wie bei Harald Christ, der Ende 2019 aus der SPD austrat und im März 2020 in die FDP eintrat. Wenige Monate später wurde Christ Bundesschatzmeister der Liberalen. Was Christ zu seinem Schritt bewogen hat, wie er seine ehemalige Partei heute sieht und was er mit der FDP anstrebt, verrät er im Interview mit NZ-Chefredakteur Stephan Sohr.

Herr Christ, Sie sind Ende 2019 aus der SPD ausgetreten und im März 2020 in die FDP eingetreten. Wie groß war der "Kulturschock" - und haben Sie seitdem mal daran gezweifelt, dass es der richtige Schritt war?

Harald Christ: Im Gegenteil - ich fühle mich jeden Tag aufs Neue bestätigt, dass es die richtige Entscheidung war, die ich im März 2020 getroffen habe. Zugegeben war es nach 31 Jahren Mitgliedschaft in der SPD kein einfacher Entschluss, aber eine Konsequenz, die ich für mich klar vollziehen wollte. Zweifel habe ich in meinem gesamten beruflichen und politischen Leben noch nie gehabt. Ich denke nach, bevor ich handele und stehe dann dafür ein. Einen „Kulturschock“ gab es daher nicht, vielmehr bisher zahlreiche positive inhaltliche und menschliche Erlebnisse.

Hat man versucht, Sie umzustimmen?

Harald Christ: Ich habe den Austritt bei einem Frühstück mit Generalsekretär Lars Klingbeil erklärt und selbstverständlich hat er, wie andere auch, versucht, mich davon abzubringen. Das Bemühen kam aber zu spät, meine Signale wurden nicht richtig interpretiert. Es ist nicht die Kultur der SPD, vorab solche Gespräche zu führen. In der SPD gibt es das geflügelte Wort, das man aus dieser Partei ja nicht austritt. Ich bin bei Helmut Schmidt in die politische Lehre gegangen, und er hat immer gesagt: Man droht nicht, man vollzieht.

Sie haben ihren Austritt aus der SPD mit dem Linkskurs der damals neuen Vorsitzenden Saskia Eskens und Norbert Walter-Borjans begründet. Wo, wenn nicht links von der Mitte, sollte sich denn die SPD positionieren?

PoWi-Christ
Die SPD sei einmal eine Partei gewesen, "die den Mut zu unbequemen Reformen hatte", meint Harald Christ. Davon sei nicht mehr viel übrig. © picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka, NN

Harald Christ: Zu den beiden Vorsitzenden möchte ich mich nicht mehr äußern. Auch werden Sie von mir nichts Negatives hören zu einer Partei, der ich sehr lange angehörte. Sicherlich gibt es nicht nur den einen Grund für eine Entscheidung. Die SPD, in der ich 1988 Mitglied war, war eine traditionsreiche große Volkspartei, die auch immer ein Verständnis für Wirtschaft und Mittelstand hatte - weil das Soziale in der Marktwirtschaft auch darauf aufbaut. Eine Partei, die auch den politischen Rändern ein inhaltliches Angebot machen wollte, aber in der Mitte der Gesellschaft, am Bespiel Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder, Wahlen gewonnen hat. Eine Partei, die den Mut zu unbequemen Reformen hatte, wie zum Beispiel die Agenda 2010. Es wurde eine soziale Politik mit dem Mittelstand und der Wirtschaft angestrebt und nicht dagegen.


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Wenn ich heute das Wahlprogramm lese, ist davon nicht mehr viel übrig - es geht vielmehr um mehr Umverteilung, Regulierung, Verbote, als das machbare Perspektiven für die Menschen in unserem Land im Vordergrund stehen. Es ist ein Irrglaube der SPD, Wahlen gewinnen zu können, in dem man die Partei immer weiter nach links verschiebt. Nach der Wahlniederlage von Gerhard Schröder 2005 hat jede Linkskorrektur die SPD schwächer gemacht. Die SPD ist eigentlich die Partei des sozialen Aufstiegs, aber sie ist zu einer Partei geworden, dass derjenige, der aufgestiegen ist, zum Klassenfeind wird. Sie will den Sozialstaat immer weiter ausbauen, erklärt aber nicht mehr, woher die Wertschöpfung dafür kommen soll. Die SPD hat systematisch ihre Basis zerstört und profitiert aktuell lediglich von einer Schwäche der anderen Parteien.

Die Kritiker der Hartz-Reformen meinen hingegen, dass der Niedergang der SPD mit der Agenda 2010 und den Arbeitsmarktreformen, also den sogenannten Hartz-Gesetzen, begann…

Harald Christ: Die Hartz-Gesetze hatten in der Tat einige soziale Ungerechtigkeiten und wurden auch schlecht den Menschen in unserem Land kommuniziert. Da wurde bereits die letzten Jahre nachgearbeitet. In der Summe war die Hartz-Reform aber mutig, richtig und aus damaliger Sicht auch notwendig. In der Folge hatten wir einen langen wirtschaftlichen Aufschwung. Angela Merkel hat davon bis heute profitiert, genauso wie es auf dem Arbeitsmarkt stetig bergauf ging. Auch wurden die finanziellen Ressourcen geschaffen, die uns heute in der Corona Krise sehr helfen.

Ihre neue Partei, die FDP, gilt noch immer als neoliberale Partei, die Politik für „die Reichen“ macht. Was halten Sie dem entgegen?

Harald Christ: Das sind alte linke Propagandabilder, die sich längst überlebt haben. Auch zu meiner sozialdemokratischen Zeit habe ich mich daran nie beteiligt. Die FDP setzt auf die Freiheit des Individuums. Sie sagt nicht, dass man etwas geschenkt bekommt, sondern, dass die Grundvoraussetzungen geschaffen werden, um erfolgreich sein zu können. Die FDP pflegt keine lebenslange Versorgungsrhetorik.

In der neuesten Umfrage ist die SPD erstmals seit Jahren wieder stärkste Partei. Wie bewerten Sie das?

Harald Christ: In erster Linie hat sich weder in der personellen Aufstellung noch inhaltlich in der SPD etwas geändert. Olaf Scholz der bei der Mitgliederbefragungen zum Parteivorsitzenden gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjahns unterlegen war tritt an um das Land regieren zu wollen. Fakt ist, die SPD und auch Olaf Scholz schließen eine Koalition mit den Linken nicht aus. Die Parteivorsitzende Saskia Esken strebt sie sogar an. Auch ist klar, sollte die SPD stärkste Kraft werden, dass sowohl Esken als auch Kühnert eine führende Rolle übernehmen könnten. Hier hat sich Olaf Scholz bereits öffentlich geäussert. Die Wählerinnen und Wähler sollen wissen, das es eine deutliche Linksverschiebung der derzeitigen Politik bedeuten würde mit allen Folgerungen daraus. Die derzeitige Aufwärtstrend der SPD ist in erster Linie der Schwäche von CDU/CSU und der Grünen geschuldet. Also kein Ergebnis der eigenen inhaltlichen Stärke.

Die FDP wird wohl auf jeden Fall zweistellig abschneiden. Was ist mit einem Ergebnis von 12 bis vielleicht 15 Prozent drin für die FDP? Sollte sie, anders als vor vier Jahren, auf jeden Fall in eine neue Bundesregierung eintreten, wenn sich die Gelegenheit bietet?

Harald Christ: Wir treten selbstbewusst an für unsere Inhalte und ein starkes Ergebnis bei der Bundestagswahl. So stark, dass ohne die FDP keine vernünftige Regierung möglich wird. Wir wollen Schwarz-Grün verhindern. Wir werden in der Regierungsverantwortung das Land gestalten, aber auch nicht um jeden Preis. Ja - wir wollen regieren! Entscheiden werden aber zunächst die Wählerinnen und Wähler am Wahltag. Es gebietet der Respekt hier nichts vorweg zu spekulieren. Wir werben für ein starkes liberales Ergebnis. Um es aber auch klar zu sagen, ich sehe wenn ich mir die Wahlprogramme anschaue, wenig Gemeinsamkeiten mit SPD und den Grünen.

Zur Person: Harald Christ (49) ist seit September 2020 Bundesschatzmeister der FDP – erst im März war er bei den Liberalen Mitglied geworden, nachdem er wenige Monate zuvor aus der SPD ausgetreten war. Im Schattenkabinett des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier 2009 war Christ als Wirtschaftsminister nominiert. Im Juli 2018 ernannte ihn der SPD-Parteivorstand zum Mittelstandsbeauftragten.Christ, der aus Worms stammt, ist gelernter Industriekaufmann und machte nach einer berufsbegleitenden Ausbildung im Bank- und Versicherungswesen Karriere, ehe er als Unternehmer erfolgreich wurde.