Nürnberg - Die SPD war schon abgeschrieben, doch die guten Umfragewerte für Kanzlerkandidat Olaf Scholz strahlen nun offenbar auf die Partei ab. Für Scholz stellt sich damit auf einmal die Frage, mit wem er im Fall des Falles regieren möchte. Ein Kommentar von NZ-Chefredakteur Stephan Sohr.

Jetzt habe die "heiße" Phase des Bundestagswahlkampfes begonnen, versicherten die prominenten Köpfe der verschiedenen Parteien am vergangenen Wochenende. Armin Laschet zum Beispiel, Kanzlerkandidat der Union, attestierte seinem SPD-Mitbewerber Olaf Scholz einen "Schlafwagen-Wahlkampf". Was CSU-Chef Markus Söder dazu sagt, der, freilich ohne ihn namentlich zu erwähnen, immer Laschet meinte, als er die Union ermahnte, im Schlafwagen werde man kaum ins Kanzleramt fahren, ist nicht bekannt. Was der Rheinländer unter "heißem" Wahlkampf versteht, wird noch zu entdecken sein.

Bis es soweit ist, nutzt Olaf Scholz offenbar die Chance, die für seine Person ohnehin ordentlichen Popularitätswerte auf seine Partei zu übertragen. Woran genau es liegt, dass derzeit 44 Prozent der für das ZDF-"Politbarometer" Befragten angeben, sich Scholz als Kanzler zu wünschen, ist unklar. Doch die Zahl und der Zuwachs (plus 10 Prozentpunkte) sind deutlich. Nur 21 Prozent (minus 8) votierten für Laschet. Und das Insa-Institut fand heraus, dass die SPD derzeit auf einen Stimmenanteil von 20 Prozent kämen, seit langer Zeit mal wieder mehr als die Grünen (18 Prozent). Die Union sinkt demnach auf 25 Prozent.

Das alles sind und bleiben Momentaufnahmen, bis zur Wahl am 26. September kann noch viel passieren. Einerseits. Wenn sich aber andererseits der Trend betätigt, dass immer mehr Wahlberechtigte ihre Stimmen frühzeitig per Briefwahl abgeben, dann kann der Wahlkampf noch so heiß werden, es nützt den Protagonisten aber nur noch begrenzt.

Deshalb ist es schon von einiger Aussagekraft, dass der Trend gerade für die SPD und ihren Kanzlerkandidaten spricht. Verfestigt sich dieser, dann erscheint plötzlich möglich, was bis vor kurzem sehr unwahrscheinlich war. Eine "Ampel"-Koalition aus SPD, Grünen und FDP - unter der Führung eines Kanzlers Olaf Scholz. Für Scholz, den hanseatischen Pragmatiker, wäre das kein Problem. Wie aber bekommt man die Unterschriften von Annalena Baerbock und Christian Lindner unter einen gemeinsamen Koalitionsvertrag? Ohne einen Kompromiss bei dem Wohl-oder-Wehe-Thema Klimaschutz geht das nicht.

Die Liberalen plädieren für einen marktwirtschaftlich organisierten, mit Zielgrößen versehenen Zertifikatehandel mit Verschmutzungsrechten; die Grünen wollen das ganz große Rad drehen und nichts weniger als den Umbau der Lebens- und Arbeitswelt nach ökologischem Muster. Ob diesmal Baerbock und Habeck die Reißleine ziehen würden und - frei nach Lindner - lieber nicht regieren als schlecht zu regieren? Wetten sollte man darauf lieber nicht.

Für Laschet besteht die Herausforderung darin klarzumachen, wie die Union im Unterschied zu den Grünen das deutsche Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell unter den Anforderungen des notwendigen Klimaschutzes organisieren will. An der FDP würde eine Zusammenarbeit diesmal nicht scheitern. Die SPD hätte die Wahl.