
Manchmal sind es die einfachen Fragen, die einen ins Schwitzen bringen. So mussten die deutschen Fernsehsender lange überlegen, wie sie damit umgehen, dass in diesem Bundestagswahlkampf drei Personen um den Einzug ins Kanzleramt kämpfen. Das ließ altgewohnte TV-Formate wie das "Kanzlerduell" mit einem Mal nicht mehr zu. Denn ein "Duell" ist eben laut Duden ein Zweikampf. Wahlweise mit Waffen, im Sport oder mit geistigen Mitteln.
Nun hätte man verschiedene Möglichkeiten gehabt, darauf zu reagieren. Zum Beispiel, nur die beiden Aussichtsreichsten einzuladen, was aber wegen der Pannenserie von Armin Laschet und Annalena Baerbock gar nicht mehr so einfach zu beantworten ist. Oder etwas Neues zu erfinden. So ist es dann gekommen. Am 12. September wird es in ARD und ZDF ein "Triell" geben. Ein hässliches Wort zwar, es beschreibt jedoch die Tatsache ganz gut, dass da drei Menschen gegeneinander antreten.
Es geht aber längst nicht nur ums Fernsehen. Die gesamte Aufmerksamkeitsökonomie der deutschen Öffentlichkeit und der Medien ist eine andere geworden. Jahrzehntelang erprobte Wahlkampfmuster ("Sie gegen ihn", "Er gegen ihn") funktionieren mit einem Trio nicht mehr.
Früher war es oft so, dass die Menschen von den Parteien dazu gebracht werden sollten, ihr Kreuzchen in der Wahlkabine für Merkel und gegen Schulz, für Schröder und gegen Stoiber, für Strauß und gegen Schmidt, für Kiesinger und gegen Brandt zu machen. Selbst wenn man den Kanzler noch nie direkt wählen konnte, kam es den Wählern doch während der hitzigen Debatten manchmal so vor.
Merkel hatte es einfacher
Die amtierende Kanzlerin profitierte lange davon, dass die meisten Bürger(innen) sie als Politikerinnentyp bevorzugten und das groß angekündigte Duell damit schon entschieden war, bevor es begonnen hatte. Steinmeier, Steinbrück und Schulz können ein Lied davon singen. Heute aber gibt es eine ständige Verschiebung der Sympathien zwischen drei Personen.
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Beispiel Annalena Baerbock von den Grünen. Sie hatte hervorragende Werte, verlor dann aber wegen Unsauberkeiten im Lebenslauf an Zuspruch. Weil auch Armin Laschet patzte, robbte sich jetzt Olaf Scholz wieder heran, der eigentlich chancenlos schien.
Derartige Vorgänge sind bei einem Kandidatentrio weit weniger berechenbar. Bei einem Duo lautet die einfache Regel: Wenn der eine an Zustimmung gewinnt, verliert automatisch der andere. Ganze Wahlkämpfe waren darauf ausgerichtet. Gerhard Schröder etwa wurde 1998 auch deswegen Kanzler, weil er das frischere Gesicht war und die Menschen nach 16 Jahren Helmut Kohl genug hatten.
Übrigens gab es schon mal drei Kanzlerkandidaten. Das war vor knapp 20 Jahren. Damals trat neben den Bewerbern von SPD und Union der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle an. Es handelte sich um das ziemlich großspurige "Projekt 18" (Prozent) der Liberalen. Doch es schien 2002 jedermann gänzlich unvorstellbar, dass Westerwelle tatsächlich Regierungschef werden könne. Zu groß war der Abstand seiner FDP zu den beiden Volksparteien, sie lag am Ende rund 30 Prozentpunkte hinter Union und SPD.
Insgesamt war es wohl eher ein Wahlkampfgag gewesen, einen eigenen liberalen Kandidaten auszurufen. Das kann man heute nicht behaupten. In manchen Umfragen liegen Sozialdemokraten und Grüne inzwischen fast gleichauf. CDU und CSU haben zwar einen Vorsprung, aber der ist geschrumpft. Es könnte durchaus also noch jeder aus dem Trio Kanzler(in) werden, wenn man die vielen Koalitionsmöglichkeiten bedenkt.
Mehr Konkurrenzbeobachtung
Die Parteizentralen sind noch mehr als in der Vergangenheit damit beschäftigt, die Konkurrenz im Auge zu behalten. Das war nach der Flutkatastrophe zu beobachten. Laschet (Ministerpräsident) und Scholz (Bundesfinanzminister) reisten in die betroffenen Gebiete. Klar, sie standen ja auch jeweils in politischer Verantwortung. Baerbock hatte kein Amt zu bieten, das ihre Anwesenheit erforderlich gemacht hätte. So verkündeten die Grünen, sie wolle keine falschen Bilder erzeugen und verzichte deswegen auf Medienbegleitung bei ihrer Reise in das Katastrophengebiet.
Vielleicht müssen wir uns an Trielle gewöhnen, denn die Zeiten von Parteien mit 35 oder 40 Prozent Zustimmung scheinen vorbei. Es ist durchaus möglich, dass in Zukunft immer drei Personen Kanzler werden könnten. Oder sogar vier? Dafür müsste dann sogar ein neues Wort erfunden werden.
