
Wir leben im Zeitalter des wachsenden Individualismus. Viele Menschen wollen etwas Besonderes sein und es auch zeigen. Das reicht von modischen Accessoires bis hin zu politischen Botschaften, die kompromisslos hervorgekehrt werden. Das hat es zwar schon immer gegeben, doch neue Techniken bieten mehr Möglichkeiten, sich von anderen abzugrenzen.
Informations-Blasen
Dabei helfen natürlich die sozialen Netzwerke. In bestimmten Gruppen geht man gemeinsam Themen nach, stellt Forderungen auf, verurteilt, wünscht sich die Welt besser und bleibt am Ende doch unter sich. Medienkonzerne bieten außerdem individualisierte Nachrichtenpakete an. Das hat in Nordamerika und teilweise auch in Europa dazu geführt, dass sich einseitige Informations-Blasen gebildet haben. Die Nutzer dieser individualisierten Nachrichten hinterfragen weder die gebotenen Fakten und Zusammenhänge auf ihre Plausibilität hin, noch stellen sie sich und ihre Anliegen selber einmal in Frage.
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Das ist vergleichbar mit einem Club-Fan, der alles Wichtige und Unwichtige über seinen Lieblingsverein über einen speziellen Informationskanal bezieht, und der Fürth deshalb kaum beachtet. Am Ende steigt aber das Kleeblatt auf. Der Nutzer solcher individualisierten Nachrichten wähnt sich im Mittelpunkt des Interesses und ist doch nur ein Kunde, mit einer verengten Perspektive. Das hat politische Folgen.
Individualisierter Bundestag
Je stärker Wahlentscheidungen vom individuellen Nutzen her gedacht und getroffen werden, desto weniger steht das gesellschaftlich Verbindende im Vordergrund. Wenn der Trend, der sich bei den Umfragen derzeit abzeichnet, noch verstärkt wird und sich bei der Bundestagswahl auch manifestiert, dann werden wir einen sehr stark individualisierten Bundestag haben. FDP, AfD, Linke liegen in Meinungsumfragen bei etwa zehn Prozent, Union und Grüne jeweils zwischen 20 und 30 Prozent. Die SPD steht irgendwo zwischen diesen Lagern. Das bedeutet, dass jede der Parteien unterschiedliche Markenkerne vertritt, doch das Gemeinsame mit anderen Parteien fehlt. Das war schon in den vergangenen vier Jahren so.
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Die Leistung der Volksparteien
Derzeit werden aber Profile geschärft, die ausschließlich das Trennende betonen. Politik wird zum Wunschkonzert von Egoismen. Das Pragmatisch-Machbare geht verloren. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Volksparteien CDU/CSU und SPD dafür gesorgt, dass durch das Abwägen unterschiedlicher Interessen innerhalb einer Partei eine umsetzbare politische Agenda entstanden ist.
Der Überdruss an der Großen Koalition und die Stärkung der kleineren Parteien verschärfen aber die Probleme weiter: Der Klimawandel und die daraus abgeleiteten politischen Ziele werden mit einer Handvoll Parteien, die sich nur auf ihren Markenkern konzentrieren und ihren Anhängern ein Wünsch-Dir-Was präsentieren, nicht zu bewältigen sein. Neben dem Thema Nachhaltigkeit ist das Thema Bezahlbarkeit mindestens genauso wichtig. Für diesen Markenkern gibt es derzeit aber keine Partei.