Es knarzt und kracht im Wald, wenn sich der 850 Kilo schwere Guschdl durch das Gehölz arbeitet. Dicke Buchen liegen am Boden. Der Kaltblüter walzt über sie hinweg, ein dumpfes "Dong" begleitet das Regenprasseln, als er mit seinem tellergroßen Huf an einem Stamm hängenbleibt. "Brrrt", schallt es hinter ihm und Guschdl bleibt stehen. "Fein", lobt ihn sein Besitzer Robert Mutzel und blickt auf, während er dicht hinter dem kräftigen Pferd einen Baum an dem Geschirr befestigt.
Mutzel und Guschdl rücken zusammen Holz im Wald, also transportieren abgesägte Stämme aus dem unwegsamen Gelände. Bulldogs oder Holzvollernter könnten sich hier nicht so durch die Bäume schlängeln. Rückepferde kommen meist da zum Einsatz, wo es steil oder matschig ist und die Bäume eng stehen. Eine Viertelstunde hat Mutzel heute mit dem Pferdehänger in den Wald gebraucht. Er wohnt in Mindelheim, der Kreisstadt des Landkreises Unterallgäu.
Das Gespann soll die gefällten Bäume zur Rückegasse ziehen. Auf dem breiten Weg sammelt dann ein Traktor mit Hänger und Greifarm die Stämme ein. Hand, Huf und Maschine arbeiten hier zusammen.
"Du bist der Ulrich, gell. Kommt dein Vater auch mit dem Ross?", übertönt Mutzel die Motorengeräusche, als ihm ein junger Mann entgegenfährt. Doch der Vater des jungen Waldarbeiters war schon am Tag zuvor mit dem Pferd unterwegs. Die beiden unterhalten sich noch kurz über Kaltblutrassen, bevor sich ihre Wege trennen. "Sagst einen Gruß, Pfiat di, Servus!", verabschiedet sich der Holzrücker. Guschdl schüttelt seine buschige Mähne, das schwarze Fell wellt sich vom Regen. Mit seinen 1,70 Meter Stockmaß ist der zehnjährige Wallach groß für ein Süddeutsches Kaltblut. Eigentlich heißt er Gustl, aber sein 52-jähriger Besitzer vernuschelt seinen Namen – Schwaben eben.
Beim Holzrücken sagt der redselige Mann nicht viel, sondern konzentriert sich: "Die meisten meinen, so ein Pferd ist ein Spielzeug, aber das musst du unter Kontrolle haben. Das weiß gar nicht, wie viel Power in ihm steckt." Mutzel blickt auf die Smartwatch, die seine Schritte aufzeichnet. Elf bis 13 Kilometer läuft er in drei Stunden. "Danach bin ich nassgeschwitzt. Ich hab immer zwei, drei Garnituren zum Wechseln dabei", sagt der ehemalige Rennradsportler. Schuftet er den ganzen Tag im Wald, nimmt er ein zweites Pferd mit. Mehr als drei Stunden kann und will er jedem Tier nicht zumuten.
"Ich merk’ sofort, wie die drauf sind"
Der Holzrücker besitzt drei Kaltblüter, weil sie ein sanftes Wesen haben und sozusagen "kaltes" Blut bewahren. Zwei seiner Rösser hat Mutzel zu Rückepferden ausgebildet: "Ich kenn die in und auswendig. Ich merk’ sofort, wie die drauf sind." Das Wissen zu der Jahrhunderte alten Holzernte hat er sich selbst angeeignet, das Equipment teils selbst zusammengetüftelt. Zunächst rückte er nur aus Spaß, doch seit dem Frühjahr versucht er auch, Geld damit zu verdienen.
Zwei Ketten mit Haken schleift Guschdl beim Holzrücken hinter sich her. Geschickt legen die Hände seines Besitzers eine davon um eine Buche. Das Pferd nascht währenddessen vom Laub. Hört es das tiefe, langgezogene "Geeh zua", marschiert es wieder los. Wer die beiden beobachtet, bekommt den Eindruck, dass sie gerne im Wald arbeiten.
Ruft Mutzel "Hott" und zupft am rechten Strang der Leine, wendet sich Guschdl nach rechts. "Wüst" ist das Kommando für links. Die Stimme und das Seil reichen, um das kräftige Pferd durch den Wald zu manövrieren. Kaltblüter können kurzfristig sogar das Doppelte ihres Körpergewichts ziehen.
Immer mehr Pferdebesitzer entdecken die traditionelle Holzernte wieder, da es eine sehr nachhaltige Waldbewirtschaftung ist. Die Rösser sind wesentlich leichter im Vergleich zu Maschinen. Heutzutage kommen häufig Holzvollernter wie Harvester zum Einsatz, weil sie effektiver sind als Pferde. Jedoch wiegt eine gängige Maschine um die 20 Tonnen. Das Gewicht verdichtet den Waldboden so stark, dass darauf im schlimmsten Fall nichts mehr wächst, weil das Erdreich nicht mehr genügend mit Luft und Wasser versorgt wird.
Mutzel kennt zwei Förster, die das Holzrücken unterstützen. Manchmal hat er viel zu tun, aber dazwischen liegen Wochen, in denen er keine Aufträge bekommt. Für seine Arbeit erhält der Pferdebesitzer zwar viel Zuspruch, aber es ist dennoch schwer, sie zu etablieren. "Es kostet eigentlich nicht mal mehr, aber die Maschinen haben immer noch Vorrang", sagt der 52-Jährige, dessen Traum es ist, eines Tages komplett vom Holzrücken leben zu können.
Robert Mutzel sagt, er brauche seine Kaltblüter. Sie entschleunigen ihn. Als Vertriebsleiter einer großen Fahrradfirma fuhr er mit dem Auto 100 000 Kilometer im Jahr: "Irgendwann habe ich gemerkt, ich kann einfach nicht mehr. Job, Sport, Pferde, Familie. Das war zu viel." Er kündigte seinen Job und ordnete sein Leben neu. Seine Frau und die drei Kinder kennen ihn gut genug und sind froh, wenn er ausgeglichen nach Hause kommt.
Für seine Tochter Katharina kaufte Mutzel das erste Pferd vor knapp 20 Jahren, weil er die Reitstunden zu teuer fand. Kurz darauf schaffte er sich ebenfalls eines an: "Ich habe meinen extremen Radsport nicht mehr machen können, weil meine Knie kaputt waren", erzählt er. Da habe er an seinen verstorbenen Vater gedacht, der sich für den Ruhestand so viel vorgenommen hatte: "Aber er ist nie in die Rente gekommen und das war ausschlaggebend für mich, dass ich mir mein erstes Pferd gekauft habe."
Der Rappe hieß Votan. Als einjähriges Fohlen holte Mutzel das Kaltblut zu sich: "Der war der Wahnsinn. Mit dem bin ich durch dick und dünn gegangen. Der ist mir wie ein Hund hinterhergelaufen." Mutzel erzählt, wie Votan einmal beim Ausreiten bis zur Mähne im Schlamm versank und er eine Stunde brauchte, um ihn wieder auszugraben. Doch Votan blieb cool – ein Kaltblut eben. Noch heute hängt von ihm ein Poster im Stall.
"Bist heute ein bisschen müde?"
Im Sommer vor sieben Jahren starb Votan. "Das war abends um 10 Uhr. Das weiß ich noch wie heute", erinnert sich Mutzel und erzählt, wie er und seine Frau die Feuerwehr sahen und die Flammen entdeckten, die 30 bis 40 Meter in die Höhe schlugen. Sofort begriff er: Der Stall brennt. "Nur mit Unterhose und Pantoffeln bin ich ins Auto gesprungen", sagt Mutzel. Die Feuerwehr wollte ihn aufhalten, doch er wollte Votan retten. Er riss das Tor auf, ein Hitzeschwall schlug ihm entgegen, doch da lag das Pferd schon tot am Boden. Mutzel wendet sich ab, räuspert sich und sagt leise: "Thema erledigt."
Die Pferde, der Stall, die teure Ausrüstung – alles war weg. Also kaufte Mutzel sich ein Motorrad, stellte aber schnell fest, wie sehr ihm die Kaltblüter fehlten: "Das war die Hölle für mich, als ich keine Pferde mehr hatte." Kurzentschlossen fuhr er zum Züchter, wo der junge Gustl stand. Und Mutzel machte ihn zu seinem Guschdl.
Wenn er von seinen Kaltblütern spricht, dann nennt er sie liebevoll seine "Ponys". Kutsche fahren, Reiten, Holzrücken, Festumzüge: All das können die Drei. Durch sein Facebook-Profil klickt sich der Pferdeliebhaber wie durch ein Familienalbum, bis sein Finger bei einem Video hängenbleibt: "Da waren wir zum allerersten Mal im Holz!" Er sagt das, wie ein Vater, der die ersten Gehversuche seines Sohnes zeigt.
"Guschdi, bist heute ein bisschen müde?", fragt der Holzrücker und streichelt seinem Ross über die Nase. Die Regentropfen glitzern im Schweif, und Guschdl wiehert. Am Unimog schirrt Mutzel seinen "Eifrigsten" ab und legt ihm eine große Decke über den breiten Rücken, damit er nicht auskühlt. Im Hänger wartet schon ein volles Netz Heu. Guschdl muss sich ausruhen, denn schon morgen fahren sie zu einem Freund. Er braucht ihre Hilfe im Wald.
Einblick:
Isabel-Marie Köppel, NN-Volontärin: Guschdl war bereits oben auf dem geraden Schotterweg. Da übergab mir Robert Mutzel die Zügel: Nur einmal vor, wenden und wieder zurück. Ich war überrascht, als Guschdl gleich loslief, doch bereits nach wenigen Metern drifteten wir nach links in Richtung Graben. Da half all mein "Hott"-Gerufe nichts.