Nürnberg - Wenn der Lehrer im Klassenzimmer vor Wut unter die Decke geht, halten immer wieder Schüler heimlich das Handy drauf und filmen. Nicht selten werden solche Videos dann in Sozialen Medien oder auf Videoplattformen hochgeladen. Der Deutsche Lehrerverband fordert nun eine neue Beschwerdestelle im Kultusministerium.

Missglückt das Experiment in Chemie, kann das Stoff für ein Handy-Video sein, das bei Youtube viele Klicks bringt - ebenso wie aufgebrachte Lehrkräfte. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, hält heimlich aufgenommene Lehrervideos für ein Massenphänomen und fordert eine neue Beschwerdestelle im Kultusministerium. Der Deutsche Lehrerverband recherchierte im Netz – und fand so viele Videos, in denen Schüler heimlich ihre Lehrer gefilmt haben, dass Meidinger davon ausgeht, dass "tausende" davon in den sozialen Medien kursieren. Während sich Unterstufenschüler vielleicht nicht viel dabei dächten, wenn sie ihre Lehrkräfte filmen und einfach stolz seien, dass ihnen der schlechte Scherz gelungen ist, provozierten andere Lehrer gefälschte Profile mit Lehrerfotos an.

Je nach Härtegrad und Sensibilität kann das öffentliche Bloßstellen für die Lehrenden schwere psychische Folgen haben, weiß Meidinger. Das gehe bis zur Dienstunfähigkeit. Das bayerische Kultusministerium müsse seine Fürsorgepflicht für die Lehrer ernst nehmen und aktiv jedem Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte seiner Bediensteten nachgehen. Heimliche Fotos, Videos und Tonaufnahmen von Personen verletzen generell das Persönlichkeitsrecht. Werden Aufnahmen öffentlich gemacht, ist dies ein Verstoß gegen das Recht am eigenen Bild. Das Kultusministerium sollte eine Ombudsstelle "speziell für Mobbing im Internet und bei Verleumdungen von Lehrern" einrichten, fordert Meidinger.

"Sie öffnen sich lieber einer Vertrauensperson"

Betroffene hätten nämlich oft Angst, aus der Anonymität zu treten. "Sie öffnen sich lieber einer Vertrauensperson, die nicht gleich einen Aktenvorgang anlegt." Einige Lehrer würden sich selber die Schuld daran geben, dass sie von einem Schüler gefilmt wurden. "Sie fragen sich, ob sie alles im Griff haben in ihrer Klasse." Auch die Schulleitung sei nicht immer der ideale Ansprechpartner, "vielleicht gab es da ja früher Konflikte". Ideal wäre ein Ansprechpartner für Fälle von Lehrer-Mobbing in jeder Schule. Meidinger hat mit Kultusminister Michael Piazolo über das Thema gesprochen, bei der Ombudsstelle halte sich dieser aber bedeckt.

Auf Nachfrage der Lokalredaktion teilte das Kultusministerium mit: "Für Lehrkräfte, die heimlich oder gegen ihren Willen gefilmt werden, bieten Zivilrecht, Schulrecht und Strafrecht einen Rechtsrahmen, der ihre Position umfassend schützt und ihnen effektive Reaktionen ermöglicht." Außerdem böten Schulleitung und Schulverwaltung Unterstützung an. Hinweise auf steigende Fallzahlen habe man nicht, "wir verfolgen das Thema und werden reagieren, wenn sich Handlungsbedarf zeigt." Die Schüler schätzten das Risiko, erwischt zu werden, als gering ein, sagt Meidinger. Und das, obwohl an bayerischen Schulen Handys ausgeschaltet sein müssen, wenn sie nicht für den Unterricht gebraucht werden.

"Das ist schlimmes Mobbing"

"Aber das ist nur schwer zu kontrollieren", sagt auch Johannes Schiller, Mitglied im Hauptpersonalrat der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Der Laufer unterrichtet an der Schule für Kranke in Nürnberg, er hält das Handy-Verbot für eine "Notwehrmaßnahme", weil sich Lehrer gegen Cybermobbing nicht anders zu helfen wüssten. "Lehrer sind oft überfordert und fühlen sich hilflos im Umgang mit neuen Medien." Sie müssten besser ausgebildet werden. "Die Bloßstellung eines Menschen im Internet, die in Nullkommanichts in der ganzen Schule die Runde macht, ist schlimmes Mobbing."

Er rate jedem Betroffenen, die Polizei einzuschalten. Schiller sammelte zu seiner Zeit als Förderschullehrer die Handys der Schüler zu Unterrichtsbeginn ein. Jede Schule müsse für sich entscheiden, wie sie mit Schülerhandys verfährt, sagt der Leiter des staatlichen Schulamts in Nürnberg, Thomas Reichert. Kein Schüler könne gezwungen werden, sein Handy abzugeben.

Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt für Reichert ebenso wie für das Kultusministerium und die Ministerialbeauftragten für die Gymnasien und Realschulen in Mittelfranken in der Medienerziehung. "Die Lehrer müssen die Schüler darüber belehren, was erlaubt ist und was nicht. Da muss es ganz klare Ansagen geben." Die meisten Opfer von Cybermobbing seien nicht Lehrer, sondern Schüler. Auch diese gelte es zu schützen. Je nachdem, ob Videos in einer geschlossenen Whatsapp-Gruppe auftauchen oder auf Youtube, müsse das heimliche Filmen anders geahndet werden, meint Reichert. "Da zählt die Art der Verbreitung." Die Spanne reiche von einem Verweis bis zum Schulausschluss. Doch ein Lehrer muss erst mal merken, dass ein Video von ihm im Netz steht. Es gibt Lehrer, die in sozialen Medien immer wieder nach ihrem Namen oder dem ihrer Schule suchen. Um zu schauen, ob sich kompromittierende Videos finden.