Nürnberg - Gäbe es im Fußball ein Unwort des Jahres, wäre es in dieser Saison mit Sicherheit: Handelfmeter. Alleine vier – ganz vorsichtig formuliert – umstrittene Entscheidungen gab es am vergangenem Wochenende in der ersten und zweiten Liga. Wie kann das passieren - und wie lässt es sich in Zukunft verhindern?

Bei der Partie zwischen Borussia Mönchengladbach und der TSG Hoffenheim etwa griff Video-Schiedsrichter Felix Zwayer nicht ein, obwohl sich Hoffenheims Ishak Belfodil im eigenen Strafraum selbst den Ball an den Arm köpfte. Eine Woche zuvor hatte Zwayer bei einer ähnlichen Situation noch genau anders herum entschieden. Und das beim Spiel des VfB Stuttgart gegen Hertha BSC weder Schiedsrichter Daniel Schlager noch Video-Assistent Günter Perl auf den Punkt zeigten als Stuttgarts Gonzalez Berlins Rekik an die hoch erhobene Hand köpfte, ließ nicht nur die VfB-Anhänger mit dem Kopf schütteln.

Was spätestens nach diesem Spieltag bleibt, ist der Eindruck, dass die Handspielregel eher willkürlich als geplant ausgelegt wird – was bei manchem Trainer schon die taktische Fantasie anregt. FCB-Coach Kovac etwa meinte, es lohne sich mittlerweile mehr, im Strafraum auf den Arm des Gegners statt den Fuß des Mitspielers zu zielen.

Regel ist Interpretationssache

In der kommenden Saison muss es daher eine neue Regelung geben, fordert auch Hans Rößlein. Er ist Schiedsrichter-Obmann im Kreis Nürnberg/Frankenhöhe und kann seinen Schützlingen kaum noch erklären, was sie nun eigentlich pfeifen sollen – und was nicht. Momentan läuft es aus seiner Sicht nach dem Motto: Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht. Statt der jahrzehntelang gültigen Regel: "Die Hand muss absichtlich und klar erkennbar zum Ball gehen", ist Handspiel heute oft Interpretationssache. Laut den Fifa-Statuten darf der Spieler mit der Hand nicht sein "Körpervolumen vergrößern", den Arm "nach der Vier- beziehungsweise Achtuhrregelung" abspreizen oder eine "unnatürliche Handbewegung" machen.

Ins Unbürokratische übersetzt bedeutet das: Wer beim Kopfball die Arme mitschwingen lässt, um das Gleichgewicht zu halten, oder aus zwei Metern angeschossen wird, muss damit rechnen, dass der Schiri pfeift, so Rößlein. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt – oder auch nicht. "Es gibt kein Fingerspitzengefühl beim Schiedsrichter. Es muss eine Regel geben und nach der hat man zu entscheiden – ob in der ersten Minute oder in der 90. Minute beim Stand von eins zu eins."

Video-Assistent helfe wenig

Da helfe auch die Unterstützung des Video-Assistenten nur wenig, ist er sich sicher. "Hier ist eine falsche Erwartungshaltung geschürt worden", findet der langjährige Schiedsrichter. "Die Fans denken, durch den Video-Schiri darf es keine Fehlentscheidungen mehr geben. Dabei ist seine Aufgabe nur, den Schiedsrichter vor ganz klaren Fehlern zu bewahren." Und die gebe es kaum – schließlich sind viele Situationen Interpretationssache. Von außen sei so auch nicht immer ersichtlich, warum und wann sich der Kölner Keller einschaltet. Sein Vorschlag: Der Schiedsrichter könnte sich jede heikle Szene im Strafraum noch einmal am Monitor anschauen.

Was ihn sauer werden lässt, sind aber nicht bittere Fehlentscheidungen seiner Kollegen, sondern das Verhalten mancher Spieler und Trainer. "Wir haben in der Bundesliga lauter Top-Schiedsrichter. Die Coaches haben noch nie ein Spiel selbst gepfiffen. Die meisten Bundesliga-Trainer würden als Schiris nicht einmal ein Juniorenspiel über die Bühne kriegen."