
Neun Millionen Übergewichtige und Adipöse (Fettleibige) leben in Deutschland. Die Tendenz ist steigend. Die «morbide Adipositas» gilt als ernste chronische Erkrankung. Was viele nicht wissen: Die 140 bis 200 Kilo schweren Frauen und Männer nehmen selbst bei strenger Diät oft kein Gramm ab. Die große Fettmasse stört nämlich die Stoffwechselregulation. «Dann geht irgendwann gar nichts mehr», erklärt Professor Rudolf Weiner, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie der Adipositas.
Der Frust mit dem Fett
Ratschläge, «weniger zu essen», steigern den Frust mit dem Fett ins Unermessliche. Die letzte Hoffnung heißt Adipositas-Chirurgie. Der Magenbypass ist die zuverlässigste Methode. Innerhalb eines Jahres verlieren Patienten bis zu 75 Prozent des Übergewichts.
Professor Weiner, heute Chefarzt der Chirurgischen Klinik in Sachsenhausen, begann 1994, zunächst mit der Technik des Magenbandes, operativ gegen Übergewicht vorzugehen. Etwa zur gleichen Zeit wurde in Belgien das erste laparoskopische Magenband gelegt. Bei der Laparoskopie werden die Instrumente und eine winzige Videokamera durch kleine Schnitte in den Bauch eingeführt. Der Chirurg kann seine Arbeit auf einem Monitor verfolgen.
Er trennt zunächst den Mageneingang vom Restmagen ab. Der künstliche Vormagen, im Fachjargon «Pouch», fasst nur 10 bis 15 Kubikzentimeter. Er wird direkt mit dem mittleren Abschnitt des Dünndarms verbunden. Die Nahrung nimmt also eine Abkürzung, vorbei an Magen und Zwölffingerdarm.
Dessen Ende wird seitlich an den neuen Verdauungsweg angekoppelt, damit aus dem stillgelegten Magen Verdauungsenzyme und Gallensaft zufließen können. Durch den kleinen Vormagen sind die Operierten bereits nach wenigen Bissen satt. «Appetit entsteht aber im Kopf und nicht im Magen», gibt Professor Weiner zu bedenken. Verhaltensstörungen in Bezug auf das Essen sollten begleitend zur Operation von Psychologen behandelt werden.
Der Magenbypass ist ein schwerer Eingriff, der lebenslange ärztliche Kontrolle erfordert. Er kommt daher nur für Patienten mit ausgeprägtem Übergewicht in Frage. Professor Weiner: «Die Krankenkassen entscheiden hier nicht einheitlich. Wichtig ist, dass der Patient schon andere Maßnahmen versucht haben muss - und das ohne Erfolg.»
Ziel der Operation ist es, lebensbedrohliche Gesundheitsschäden durch Diabetes, Fettstoffwechselstörungen und Bluthochdruck abzuwenden. Von den Patienten sind 86 Prozent Frauen. Durch die starke Gewichtsabnahme entstehen vor allem am Bauch Hautfalten, die in erneuten Operationen entfernt werden. Am sechsten Tag nach der Operation dürfen die Patienten wieder nach Hause. Fast Food ist dann aber tabu.
Essen braucht jetzt viel Zeit. Schließlich kann man sich nun den Bauch nicht mehr vollschlagen, selbst wenn man das wollte. Den bohrenden Hunger hat ein permanentes Völlegefühl ersetzt. Da kann es passieren, dass man erst einmal nur das halbe Brötchen schafft. Lioba Schafnitzl