
Am Donnerstag wurden in Bielefeld herausragende Music-Acts durch die 1Live Krone des gleichnamigen Senders geehrt. Neben Sängerinnen und Sängern durfte auch ein Autor mit auf die Bühne - eine Person, die alles kann, betont Laudatorin Parshad.
Nicht nur Ikkimel, Nina Chuba und Ski Aggu, sondern auch Tahsim Durgun erhielt am Donnerstagabend eine 1Live Krone. Der Spiegel-Bestsellerautor wurde für sein außergewöhnliches Talent in der Kategorie „Beste Unterhaltung“ gewürdigt, mit dem er Kulturen, Genres und Generationen verbindet.
Vor drei Jahren begann Durgun damit, Content zu produzieren, erzählt der 30-Jährige in seiner Dankesrede bei 1Live. Ziel war es dabei immer, nicht hochgradig innovative, sondern unerzählte Geschichten zu erzählen. In diesem Jahr wagte er schließlich den Versuch mit seinem ersten Buch „Mama, bitte lern Deutsch“.
„Mama, bitte lern Deutsch“
von Tahsim Durgun
- 208 Seiten
- Knaur HC
- ISBN: 978-3-426-56114-0
- 18 Euro (Buch und Kindle-Book bei Amazon )
Worum geht es im Bestseller „Mama, bitte lern Deutsch“?
Wortgewandt, intelligent und emotional erzählt Durgun in seinem ersten Buch von der Lebenswirklichkeit seiner Familie in einer postmigrantischen Gesellschaft. Noch bevor er die Grundschule abschließt, muss er als Dolmetscher funktionieren, Abschiebebescheide übersetzen, bei intimen Arztbesuchen dabei sein und Verantwortung übernehmen.
Der Publikumspreisträger des Grimme-Online-Awards 2024 und des Blauen Panthers 2024 zeichnet in seinem Buch nicht nur seine Familiengeschichte, sondern rechnet auch mit der deutschen Bürokratie ab.
Auch Bayern 2 ehrte Durgun im Oktober mit dem Publikumspreis. Aus fünf nominierten Titeln wurde „Mama, bitte lern Deutsch“ zum Lieblingsbuch der Bayern 2-Hörerinnen und Hörern gewählt.
Tahsim Durguns Buch: Wichtiger denn je
Durguns Buch ist ehrlich und hart: Während der Titel „Mama, bitte lern Deutsch“ noch als verzweifelter Eingliederungsversuch verstanden werden kann, ist das gesamte Buch doch so viel mehr. Zweifelsohne wird hier vom Eingliederungsversuch der Familie Durgun erzählt, zweifelsohne stößt die Familie von Zeit zu Zeit auch an ihre Grenzen und ist verzweifelt.
Eben wie Tahsim Durgun selbst wandert sein Buch aber auf dem Grat zwischen Humor, Glück und Tragödie. Denn während es um auferlegtes Leid, Abgrenzung sowie um ein „Wir“- und „Ihr“-Gefühl geht, wird auch von Häuserblocks und Heimat, dem schönsten Ort der Welt, erzählt.
Auf etwas mehr als 200 Seiten baut Durgun ein Monument für seine Familie - vor allem aber für seine Mutter. Die Frau, die nicht seit 30, sondern seit 36 Jahren in Deutschland lebt und Hefe immer noch „Hifa“ nennt, die Çay trinkt und eine klein gehaltene Poetin ist.
Obwohl Durgun sich selbst wünschte, dass seine Mutter Deutsch lernt, und an seine Grenzen stößt im Unverständnis, warum es nicht klappt, findet der 30-Jährige schließlich Versöhnung. Denn: Seine Mutter lebt und arbeitet nicht nur, sondern lebt und arbeitet für ihre Familie und springt durch bürokratische Reifen. „Hast du Träume, Mama?“, fragt Tahsim kurz vor seinem 16. Geburtstag. „Ich traue mich nicht zu träumen. Ich wurde nicht dafür gemacht“, erwidert sie.
In seiner Dankesrede bei der 1Live-Verleihung wird Durgun schließlich eindringlicher, weniger poetisch und mahnend. Denn sein Buch handelt von den Menschen, die seit vielen Jahren in Deutschland sind und es immer noch nicht geschafft haben, einwandfrei Deutsch zu lernen:
„Diese Menschen waren beschäftigt. Beschäftigt mit Lasten, die sie in der Heimat zurückgelassen haben. Beschäftigt mit sich selbst - aber vor allen Dingen, worüber wir nicht genug sprechen, beschäftigt damit, ihre mentale Gesundheit wegzuignorieren.“
Dieses Buch erlaubt deswegen nicht nur einen voyeuristischen Einblick in die Jugend des Social-Media-Stars, sondern erzählt die Geschichte von den Menschen, für die Deutsch-Lernen zweitrangig sein musste. Die keine Zeit hatten, Verben wie „begreifen“ konjugieren zu lernen. Das Buch handelt von den Menschen, für die es Tahsim schließlich selbst tat. Für die er sich das „Werkzeug der Unterdrücker“ aneignete. So hatte er auch am Donnerstagabend einen Beispielsatz dabei, in dem „begreifen“ konjugiert war:
„Ich wünschte, wir hätten einen Bundeskanzler, der begreift, dass auch meine Eltern dieses Land aufgebaut haben.“


