Leipzig - Eine Person fährt mit dem Zug zwischen deutschen Großstädten hin und her. Dabei hat sie kein Ticket, dafür aber ein Pappschild. Bei einer Gerichtsverhandlung rettet sie genau dieses Pappschild vor einer Verurteilung.

Der doppelte Fahrpreis, mindestens aber 60 Euro - so viel kostet es, wenn Menschen ohne gültige Fahrkarte in Zügen der Deutschen Bahn erwischt werden. Wer wiederholt ohne Ticket kontrolliert wird, muss mit einer Anzeige rechnen, die wiederum eine Geld- oder sogar eine Gefängnisstrafe nachziehen kann. Wer die Geldstrafe nicht bezahlen kann, dem droht eine Ersatzfreiheitsstrafe. Und das passiert offenbar gar nicht so selten.

Eine Auswertung des Portals Frag den Staat und vom ZDF Neo Magazin Royal zeigt: Jede vierte Person, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt, sitzt wegen Fahrens ohne Fahrschein ein. Im Deutschlandfunk kommt Nicole Bögelein, Kriminologin an der Universität Köln, zu Wort. Sie schätzt, dass jährlich 8000 bis 9000 Menschen in Haft kommen, die zuvor ohne Ticket unterwegs waren.

Das Amtsgericht Leipzig kam kürzlich aber zu einem anderen Urteil: Sie sprach eine Person frei, die wiederholt in Zügen zwischen Leipzig, Berlin, Hamburg, Erfurt und Frankfurt ohne gültiges Ticket kontrolliert worden war. Der Grund: ein Pappschild.

Einem Bericht der Leipziger Volkszeitung zufolge habe folgendes auf dem Schild gestanden: „Ich fahre ohne gültigen Fahrschein! Es ist genug für alle da. Mobilität sollte keine Klassenfrage sein.“

Das Fahren ohne gültigen Fahrschein erfüllt offiziell den Straftatbestand des „Erschleichens von Leistungen“ laut Paragraf 265a im Strafgesetzbuch. Das Leipziger Gericht urteilte nun aber, dass durch das Pappschild kein Erschleichen von Leistungen stattgefunden habe.

„Für eine Leistungserschleichung muss man, wie das Wort schon sagt, erschleichen“, erklärt Stefan Blaschke, Sprecher des Amtsgerichts Leipzig, gegenüber der Leipziger Volkszeitung. Erschleichen liege demnach vor, wenn eine Person ein Verkehrsmittel unberechtigt nutzt, weil kein Ticket vorliegt, sich aber wie ein normal zahlender Fahrgast verhalte. So urteilte bereits der Bundesgerichtshof 2009.

Im konkreten Fall liege das Merkmal des Erschleichens aber eben aufgrund des Plakates nicht vor und damit auch keine Strafbarkeit, urteilte das Amtsgericht Leipzig. Der Gerichtssprecher erklärt gegenüber der Leipziger Volkszeitung weiter, es komme darauf an, dass das Schild während der ganzen Fahrt zu sehen und lesbar ist. Werde es weggepackt, handle es sich wieder um ein Erschleichen von Leistungen. In ähnlich gelagerten Fällen haben Gerichte aber auch schon anders entschieden.

Das Urteil des Amtsgerichts Leipzig ist noch nicht rechtskräftig. Wie ein Sprecher mitteilt, seien Rechtsmittel eingelegt worden.

Aktivisten sprechen vom sogenannten Aktionsschwarzfahren. Sie wollen darauf aufmerksam machen, dass hauptsächlich Menschen nach Paragraf 265a verurteilt werden, die sich eine Fahrkarte nicht leisten können. Mit krimineller Energie habe das nichts zu tun, sagt ein Aktivist gegenüber der Leipziger Volkszeitung. Die Aktivisten fordern Mobilität für alle, die nicht vom Geldbeutel abhängen solle.

Immer wieder entbrennt die Debatte um eine Reform des Paragrafen 265a. Schon die Ampelregierung wollte aus der Straftat eine Ordnungswidrigkeit machen, doch aus dem Vorhaben wurde nichts. Bei den Koalitionsverhandlungen für die neue schwarz-rote Bundesregierung gelang es dann der SPD nicht, eine Reform des Paragrafen zu verhandeln. Die Union blieb skeptisch. Abgeordnete der Linken brachten Ende September einen Gesetzesentwurf in den Bundestag, der die Straffreiheit für das Fahren ohne Fahrschein fordert. Einzelne Städte, darunter Köln, haben bereits Ausnahmeregelungen geschaffen und erstattet beim Fahren ohne Fahrschein auch bei Wiederholungstätern keine Anzeige mehr.