Nürnberg - Berk ist schwul und deshalb vor zwei Jahren aus der Türkei nach Deutschland geflohen. In seiner Heimat fürchtet er Gewalt - auch seitens seiner Familie. Jetzt soll er abgeschoben werden. Überraschend, nicht nur für ihn.

„Mein Leben war gut, bis jemand herausfand, dass ich schwul bin“, sagt Berk. Er sitzt in einem Raum in Nürnberg, neben ihm Tobias Wöhner, der für den Nürnberger Verein Imedana und den Verein Fliederlich queere Geflüchtete unterstützt, und Bastian Brauwer vom Christopher Street Day (CSD) Nürnberg. Seinen Nachnamen möchte Berk nicht im Zusammenhang mit seiner Homosexualität im Internet zu finden wissen. Zu groß ist die Angst, zurück in die Türkei zu müssen. An den Ort, von dem er vor gut zwei Jahren floh - und zu dem er nun wegen einer „bürokratischen Absurdität“, so bezeichnet es Asylberater Wöhner, wahrscheinlich doch zurückkehren muss.

Berk ist 26 Jahre alt. An diesem Tag trägt er Cap und Hoodie. In der Türkei studierte er Psychologie. Er führte dort ein „ganz normales Leben“. Doch dann habe sein Vater erfahren, dass Berk schwul ist. Damit hätten alle Probleme angefangen, erzählt er auf Englisch. Die Familie und auch Teile von Berks Umfeld seien Anhänger der sogenannten „Süleymanci“, eine islamische Gruppierung, erzählt er. Besonders sein Vater sei strikt gegen die Sexualität seines Sohnes eingestellt gewesen und dagegen auch gewaltsam vorgegangen. „Für meinen Vater ist es eine Katastrophe, dass ich schwul bin“, sagt er. Berks Stimme zittert. „Meine Familie wollte mich ‚korrigieren‘“, fügt er hinzu, dabei hebt er jeweils seinen Zeigefinger und malt, während er das letzte Wort spricht, Anführungszeichen in die Luft. Er habe deshalb nur zwei Möglichkeiten gesehen: Mit einer Lüge leben - eine Frau heiraten und mit ihr eine Familie gründen - oder aber „die mutige Option“, wie er sagt, zu fliehen. Berk entschied sich für die Flucht.

„Zum ersten Mal in meinem Leben frei gefühlt“

Über Polen und Serbien sei er vor gut eineinhalb Jahren nach Deutschland gekommen. „Niemand hat mir hier etwas versprochen, die Hoffnung brachte mich her“, sagt er. Zunächst wurde er in Zirndorf untergebracht, dann folgte ein Aufenthalt im Nürnberger Stadtteil Langwasser, bevor er nach Abenberg kam, wo er bis heute lebt. „Ich habe mich hier zum ersten Mal in meinem Leben frei gefühlt“, sagt er. Berk engagierte sich von Beginn an ehrenamtlich, wie verschiedene Stimmen bestätigen, unter anderem beim Team des CSD Nürnberg, bei einer evangelischen Kirche im Stadtteil Nürnberg-Landwasser und bei der Stadtmission. Auch ein Praktikum in einem Altenheim habe er absolviert. Längst hatte er sich für eine Ausbildung als Pflegefachkraft entschieden. Alles schien gut zu laufen. Er habe die Zusage für einen Arbeitsvertrag bekommen. Auch Asylberater Tobias Wöhner war zuversichtlich: „Ich hab noch zu Berk gesagt, das wird alles klappen.“ Doch es kam anders.

Um die Ausbildung tatsächlich beginnen und damit auch zumindest vorerst in Deutschland bleiben zu können, ist eine sogenannte Vorabzustimmung nötig, die die Ausländerbehörde oder die Agentur für Arbeit ausstellt. Diese ermöglicht es zukünftigen ausländischen Beschäftigten direkt ein Visum bei der zuständigen Auslandsvertretung zu beantragen. Das Visumverfahren wird durch eine solche Vorabzustimmung laut Aussage der Bundesagentur für Arbeit beschleunigt.

Der Haken in Berks Fall: Sein türkischer Personalausweis liegt laut Angaben seiner Anwältin derzeit bei der Ausländerbehörde. So zeigt es ein Schriftverkehr zwischen ihr und den Behörden, der dieser Redaktion vorliegt. Den Ausweis braucht er allerdings, um einen gültigen Reisepass zu beantragen, der wiederum nötig ist, um den Antrag für die Vorabzustimmung in Deutschland stellen zu können. Theoretisch könnte Berk sich einen Pass in der Türkei beschaffen, doch das - so argumentieren Berk und seine Anwältin auch gegenüber der Behörde - wäre mit erheblichen Risiken verbunden: Berk fürchtet Gewalt, sollte er in sein Heimatland zurückkehren.

Berks Ausbildungsbeginn war zum 1. September 2025 geplant. In einem Schreiben der zuständigen Ausländerbehörde hieß es laut Berks Anwältin Ende Juni 2025, dass dieses Datum unrealistisch sei, da das Verfahren eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen würde. Die Ausbildungsstelle stimmte zu, wenn nötig, den Lehrbeginn nach hinten zu verschieben. Doch bis heute verweigern die Behörden, ihm das nötige Dokument für die Vorabzustimmung auszustellen. Von dort heißt es, so erzählen es Berk, Wöhner und Berks Anwältin, er könne ja nach Istanbul, dort könne er seine Sexualität frei ausleben. Im Fachjargon nennt man das „innerländische Fluchtalternative“. So einfach ist das laut Berk und Wöhner allerdings nicht: „Irgendwer wird mich dort finden. Ich will nicht mein ganzes Leben lang weglaufen“, sagt er.

Hinzu kommt, dass die Lebenskosten in Istanbul vergleichsweise hoch seien - „das ist wie, wenn man in Nürnberg sagt, zieh halt in eine Villa nach Erlenstegen. Das kann sich auch nicht jeder einfach so leisten“, sagt Asylberater Wöhner. Letztlich gehe es in diesem Fall um ein einziges Dokument: die Vorabzustimmung. So sagt es Asylberater Wöhner. Damit ließe sich ein geordnetes Visumverfahren eröffnen und Berk könnte seine Ausbildung in Deutschland beginnen. Denn: „Eigentlich hat er wegen seiner anstehenden Ausbildung ein Recht, in Deutschland zu bleiben. Aber das ‚Bürokratiemonster‘ erschwert einem jungen schwulen Mann das Leben“, sagt Wöhner. Berk will nicht aufgeben. „Ich habe nichts mehr zu verlieren, für meine Familie werde ich mich nicht verändern“, sagt er.

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