Karlstein am Main - In einer kleinen Gemeinde in Franken stinkt's - und zwar gewaltig. Keiner weiß, warum. Wir haben mit Feuerwehr und dem Bürgermeister über den mysteriösen Geruch gesprochen, der den Ort seit Jahren in Atem hält.

Karlstein ist eine beschauliche Gemeinde in Unterfranken. Die zahlreichen Häuser mit schwarzen und roten Dächern schmiegen sich halbmondförmig an einen grünen Gürtel entlang des Mains an. Auf einigen dieser Dächer prangen Solarpaneele. Am Ortseingang heißt ein kunstvoll verzierter Wappenstein Besucher willkommen. Darauf zu sehen: Das ikonische Atomsymbol mit Kern und kreisenden Elektronen. Was auf den ersten Blick irritierend erscheinen mag, hat durchaus seine Daseinsberechtigung.

Einst befanden sich auf dem heutigen Gemeindegebiet zwei Kernkraftwerke und zwei Forschungsreaktoren, darunter das erste kommerziell betriebene Kernkraftwerk Deutschlands. Man stehe für „moderne Technologien und traditionelle Werte“, heißt es auf der Website, und ist außerdem Mitglied in verschiedenen regionalen Tourismus- und Naturschutz-Verbänden. Etwa ein Drittel des Gemeindegebietes ist bewaldet. Der Main-Radweg liegt quasi vor der Haustür, die Rückersbacher Schlucht ist nicht weit, ehemalige Braunkohletagebaue wurden längst zu Badeseen umfunktioniert. Es ließe sich eigentlich gut leben in Karlstein, wäre da nicht dieser mephitische Makel, der die rund 8.000 Bewohner in Atem hält – oder besser: den Atem anhalten lässt.

Mit Atemschutzmaske im eigenen Garten

Seit rund zweieinhalb Jahren ist die Feuerwehr bereits in den Fall involviert. „Der Gestank riecht elektrisch-verschmort, verbrannt, leicht süßlich. Wie wenn so ein Netzteil verschmort. So kann man sich das vorstellen“, erklärt Feuerwehrkommandant Andres Emge. Saison oder Temperatur spielten dabei ebenso wenig eine Rolle wie die Tageszeit. „Das kann bei Regen genauso sein wie bei Schnee, genauso Sommer wie Winter.“ – unvermittelt weht unerträglicher Gestank durch Karlstein am Main.

Dem ein oder anderen Grillabend soll das faule Treiben laut BR-Recherchen bereits ein äußert unangenehmes und sehr abruptes Ende beschert haben. Eine Fitnessstudio-Betreiberin beklagte, dass das Lüften der verschwitzten Sporthallen seinen Zweck verfehle, wenn draußen mal wieder übler Brodem um die Häuser wabert. Manche Anwohner gerieten inzwischen gar an den Rand ihrer olfaktorischen Belastungsgrenze: Nur mehr mit Atemschutzmaske oder Schal im Gesicht seien sie an bestimmten Tagen noch in der Lage, die Luft im eigenen Garten zu atmen.

Dabei sind nicht alle Gemeindeteile gleichermaßen betroffen. Peter Kreß ist seit 2017 Bürgermeister in Karlstadt. Es sei definitiv nicht so, dass es „ständig im ganzen Orte rieche.“, beteuert er. „Dem ist natürlich nicht so. Es gibt auch ganz viele in der Bevölkerung, die haben noch nie was gerochen.“ Dennoch räumt Kreß ein, dass der mysteriöse Gestank speziell im örtlichen Industriegebiet stärker auftrete.

Feuerwehr kämpft gegen faulen Zauber

So plötzlich das Phänomen auftritt, so plötzlich verschwindet es auch wieder. Allerdings nie für lange. Wenn auch in unregelmäßigen Abständen, so stinkt es in Karlstein doch mit ungebrochener Regelmäßigkeit. Nur, wer in aller Welt ist seit nun schon über zwei Jahren für die verbogenen Nasenhaare der Karlsteiner verantwortlich?

Verdächtige gibt es viele. Abgesehen von einem Flughafen seien laut Emge quasi alle Industriezweige in Karlstein ansässig. „Wir haben von Handwerksbetrieben bis hin zu Atombetrieben alles. Wir sind eine Industriegemeinde.“, so Emge. Bürgermeister Kreß pflichtet dem bei: „Scheinbar ist es so eine gewisse Gemengelage. Im Hessischen drüben riechts auch manchmal.“ (Anmerkung des Autors: Karlstein am Main liegt im bayerisch-hessischen Grenzgebiet)

Um dem faulen Zauber endlich ein Ende zu bereiten (oder wenigstens seinen Ursprung zu ergründen), führte die Feuerwehr verschiedene Messungen mit diversen Messinstrumenten durch. „Von Fünfgasmessgeräten angefangen, über Messröhrchen und so weiter. PIDs [Photoionisationsdetektor, zum Nachweis von Gefahrenstoffen] wurden eingesetzt. Tenax-Proben [Methode zur Sammlung von gasförmigen oder flüchtigen organischen Verbindungen] wurden gezogen …“ Sogar eine analytische Taskforce des Bundes aus Mannheim kam zum Einsatz. Sie wertete von der Feuerwehr entnommene Luftproben aus. „Das ist so das schärfste Geschütz, das die Feuerwehr zu bieten hat.“, erläutert Emge und wirkt konsterniert. „Durch deren Messergebnisse konnte auch nichts nachgewiesen werden.“

Bayerisches Landesamt für Umwelt eingeschaltet

Immerhin, wenn schon sonst nichts, dann bedeutet kein positiver Test doch wenigstens, dass auch keine Gefahr für die Bevölkerung besteht. Das Problem mit dem Gestank bleibt freilich weiter bestehen. Kreß ruft die Anwohner deshalb dazu auf, Geruchstagebuch zu führen. „Wir versuchen natürlich, die Bevölkerung weiter zu motivieren, entsprechende Protokolle zu verfassen. Damit wir der Sache weiter auf den Grund gehen können.“ Man stehe zudem in ständigem Austausch mit dem Landratsamt.

Mittlerweile hat sich auch das Bayerische Landesamt für Umwelt eingeschaltet. Wer weiß, vielleicht sorgt ja am Ende der Freistaat dafür, dass in Karlstein am Main die Luft bald wieder rein ist.