
18.41 Uhr ist es, als Julian Kamps das Video aufzeichnet, das kurz danach für Aufregung sorgen und viral gehen wird. Um 7.30 Uhr habe er das Haus verlassen, um zur Arbeit zu gehen - da blieben jetzt ja „nur noch drei Stunden, um zu leben“, beklagt sich der 24-jährige Influencer, der durch seine Teilnahme an der 19. Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ im Jahr 2024 bekannt wurde. In dem kurzen Video schildert er, wie ihn die klassische Vollzeitarbeit, laut seinem LinkedIn-Profil bei einem internationalen Werbe- und Kommunikationsunternehmen, bereits nach nur drei Wochen an seine Grenzen bringt. Seine Konsequenz: „Ich muss meine Stunden reduzieren. 100 Prozent geht gar nicht.“
Schnell geht das Video viral, wird mehrere Millionen Mal angesehen und hat aktuell (28.10.2025, Stand 20.43 Uhr) mehr als 170.000 Likes. Die Kommentarspalte ist allerdings nicht nur gefüllt mit Zustimmung, sondern auch mit massiver Kritik und blanker Häme.
Mut, um alte Strukturen zu hinterfragen
Einerseits geben viele Nutzer Kamps durchaus recht: Die 40-Stunden-Woche sei ein Relikt aus Zeiten, in denen ein Gehalt für ein ganzes Haus reichte. Andere loben die Generation Z dafür, dass sie den Mut habe, alte Strukturen zu hinterfragen. „Das ist nicht GenZ, das ist gesunder Menschenverstand“, schreibt beispielsweise eine Kommentatorin. Doch auch die Gegenstimmen sind zahlreich und laut: Kamps wird darin als „wohlstandsverwahrlost“ bezeichnet, als „Memme“, als jemand, der „nichts Richtiges gelernt“ habe. In einem Folgevideo berichtet er selbstironisch, er sei wohl „der meistgehasste Gen-Z-Mensch Deutschlands“.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Die Diskussion um geringere Arbeitszeiten ist allerdings alles andere als neu: Entsprechende Modelle wurden und werden längst international praktisch erprobt. In einer groß angelegten Studie mit fast 3000 Beschäftigten aus sechs Ländern (unter anderem Australien, Kanada, Großbritannien und Neuseeland) zeigte sich beispielsweise: Wer nur vier Tage pro Woche arbeitet, fühlt sich gesünder, motivierter und weniger erschöpft. Die Produktivität blieb stabil, die Zufriedenheit stieg deutlich.
Pilotprojekte in anderen Ländern führten zu Erfolgen
Auch Island und Großbritannien haben bereits erfolgreiche Pilotprojekte durchgeführt. In Island wurde die Arbeitszeit bei vollem Lohn reduziert - mit dem Ergebnis, dass heute rund 86 Prozent der Beschäftigten kürzer arbeiten oder das Recht dazu haben. In Großbritannien führten 92 Prozent der teilnehmenden Unternehmen die 4-Tage-Woche nach dem Test dauerhaft ein.
Diese Versuche könnte man demnach als durchaus erfolgreich bezeichnen, denn sie haben gezeigt, dass reduzierte Arbeitszeiten nicht zwangsläufig zu wirtschaftlichen Nachteilen führen. Im Gegenteil: Unternehmen berichten von weniger Krankentagen, höherer Motivation und besserer Mitarbeiterbindung. Möglicherweise hat Julian Kamps mit seiner Kritik also doch ein kleines bisschen recht. Auch wenn Friedrich „wir müssen in diesem Land wieder mehr arbeiten“ Merz das vermutlich nicht gerne hören wird.