Nürnberg - Sie bleiben laut: Am 9. September jährt sich der Todestag des ersten NSU-Opfers Enver Şimşek in Nürnberg. Seine Tochter Semiya Şimşek hat mit Gamze Kubaşik am Abend davor aus ihrem gemeinsamen Buch gelesen.

„Er war für mich ein fleißiger Mensch, ein liebevoller Mensch. Ich bin froh, seine Tochter sein zu dürfen“, sagt Semiya Şimşek über ihren Vater. Der Blumenhändler Enver Şimşek wurde am 9. September 2000 in Nürnberg zum ersten Todesopfer des rechtsextremen NSU. Der Mord jährt sich heute zum 25. Mal.

Bereits am Montag las Semiya Şimşek im Nürnberger Südpunkt mit ihrer Co-Autorin Gamze Kubaşik, Tochter des in Dortmund vom NSU ermordeten Mehmet Kubaşik, aus ihrem Buch „Unser Schmerz ist unsere Kraft - Neonazis haben unsere Väter ermordet“. Die beiden Frauen verbindet nicht nur ihr Schicksal, sondern auch eine 19 Jahre andauernde Freundschaft sowie ihre pädagogische Arbeit. Drei Jahre lang arbeiteten sie mit Journalistin Christine Werner an dem Jugendsachbuch. Mit dem sie noch einmal deutlich „Erinnerung, Aufklärung und Konsequenzen“ fordern.

Eindrücklich schildern sie darin die stundenlangen Verhöre, die die Familien nach der Ermordung ihrer Väter erlebten. Drogenhandel, Mafia, angeblich eifersüchtige Ehefrauen - für die Hinterbliebenen verloren sich die Ermittlungsansätze, die sich vor allem auf das persönliche Umfeld konzentrierten, schmerzhaft in Absurdität. In Nürnberg eröffneten die Beamten sogar eine Art Undercover-Dönerladen. „Wie rassistisch können Behörden agieren?“ fragt sich Semiya Şimşek heute. Elf Jahre dauerte es, bis sich der NSU selbst enttarnte und damit das Scheitern der Behörden offenbarte. Angela Merkel versprach damals lückenlose Aufklärung, erinnert Gamze Kubaşik. Doch diese gab es für die Opferfamilien nie. Warum wurden relevante Akten vernichtet? Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz? Wer waren die Helfershelfer? Viele Fragen sind bis heute ungeklärt.

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Gamze Kubaşik (Mitte, l.) und Semiya Şimşek (Mitte, r.) bei der Veranstaltung am Montagabend. © Verena Gerbeth

NSU, Hanau, Halle oder der Fall Walter Lübcke: Rechte Gewalt hat viele Dimensionen. Ihre politische Bildungsarbeit an Schulen hat Gamze Kubaşik dazu bewogen, das Buch zu schreiben. Nicht nur um an die Taten zu erinnern, sondern auch an die Geschichten der Todesopfer und ihrer Familien. Die Taten seien komplex, Details vor allem jüngeren Menschen nicht bekannt, erklärt sie am Montagabend in Nürnberg.

Erinnern ist eines der zentralen Anliegen der beiden Frauen. Am Dienstag, um 18.30 lädt deshalb die Familie zu einer Gedenkveranstaltung an den Enver-Şimşek-Platz in Nürnberg. Zuvor, um 14.15 Uhr, wird Oberbürgermeister Marcus König dort einen Kranz niederlegen.