Nürnberg - Immer mehr Menschen in Deutschland leben in Altersarmut - für viele reicht die staatliche Rente einfach nicht aus, obwohl sie durchgehend gearbeitet haben. Ein großer Teil sind Frauen. Zwei Betroffene aus Nürnberg erzählen von ihrem Schicksal.

Ingrid sitzt auf der Kante ihres Bettes in ihrer kleinen, spärlich eingerichteten Einzimmerwohnung in Nürnberg. Ihren rechten Arm hat sie auf eine Krücke gestützt, die sie zum Gehen nutzt. Seit einem Schlaganfall geht es ihr körperlich nicht gut, alltägliche Dinge wie Einkaufen oder Wäschewaschen fallen ihr schwer. Immer mehr „Wehwehchen“ seien im Alter dazu gekommen. „Und dann wird‘s richtig teuer“, sagt Ingrid, die eigentlich anders heißt. Sie möchte aber anonym bleiben.

Ein Medikament hat der 73-Jährigen bei Beschwerden endlich geholfen. Jetzt nimmt sie es nicht mehr. Zu Teuer. Am Morgen trinkt sie eigentlich am liebsten Kaffee. Doch schon lange gibt es nur noch Kräutertee - Kaffee kann sie sich nicht leisten. Selbst bei Lebensmitteln wird es eng. „Dann faste ich ein paar Tage“, sagt sie, meint aber, dass sie Mahlzeiten ausfallen lässt.

Ingrid bekommt nur sehr wenig Rente. Nicht einmal 800 Euro hatte sie lange Zeit monatlich zur Verfügung, inzwischen sind es 1000 Euro. Davon muss sie die Miete von über 500 Euro zahlen und Medikamente für etwa 150 Euro. Viel bleibt da nicht mehr für Lebensmittel, Kleidung oder gar einen Restaurantbesuch. Dabei hat Ingrid ihr Leben lang in verschiedenen Bürojobs in Vollzeit gearbeitet, nur fünf Jahre war sie vor ihrem Renteneintritt freiberuflich tätig. Jetzt bekommt sie zusätzlich zur Rente einen kleinen Zuschuss vom Staat und lebt trotzdem am Existenzminimum.

Damit ist sie nicht allein. In Bayern haben im Jahr 2023 laut Angaben des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales insgesamt 90.680 Menschen im Alter Leistungen der Grundsicherung bezogen. Das sind mehr Betroffene als Menschen in Bamberg leben. Dabei liegt Bayern bei der Quote der Empfängerinnen und Empfänger dieser Sozialleistung mit 3,4 Prozent noch unter dem gesamtdeutschen Durchschnitt von 3,9 Prozent, so das Sozialministerium.

In Nürnberg sind etwa 9000 Menschen betroffen. Das Sozialamt der Stadt Nürnberg geht aber davon aus, dass ein Teil der Anspruchsberechtigten von Grundsicherung im Alter diese nicht nutzt. Laut deutschlandweiten Studien nehmen bis zu 60 Prozent der Berechtigten die Grundsicherung nicht in Anspruch, so das Amt. Nach Daten der Nürnberger Seniorenbefragung von 2019 haben 13 Prozent angegeben, dass sie sich einschränken müssen, fünf Prozent müssen sich sogar sehr einschränken.

„Das ist beschämend“

Für Ingrid dauert dieser Zustand jetzt schon über zehn Jahre an. „Ich habe 45 Jahre lang ohne Pause gearbeitet und dann fällt man in so ein tiefes Loch.“ Richtig schwierig ist es geworden, als die Krankheiten angefangen haben und sie immer mehr Medikamente gebraucht hat. Viele davon übernimmt die Krankenkasse nicht.

„Am Anfang hatte ich zumindest noch Kleidung und Schuhe“, sagt sie. Aber das verschleiße mit den Jahren, alles gehe kaputt. Irgendwann habe sie fast keine Unterwäsche mehr gehabt. „Das ist beschämend.“ Für den Sommer habe sie derzeit nur eine Bluse, ein T-Shirt und eine Hose. Ihr altes Tastenhandy hält sie mit Gummibändern zusammen, seit es ihr einmal heruntergefallen ist.

Es wird deutlich, wie enttäuscht und mitgenommen Ingrid von ihrer Situation ist. Wie unangenehm es ihr auch ist, darüber zu sprechen. Trotzdem ist sie auch abgeklärt. Sie hat sich offensichtlich mit der Situation abgefunden. „Ich jammere nicht“, sagt sie.

„Verhungern lassen können sie mich ja nicht“

In den vergangenen Jahren ist der Anteil der Menschen, die von Altersarmut bedroht sind, laut dem Nürnberger Sozialamt kontinuierlich angestiegen. Gründe dafür seien beispielsweise die Absenkung des Rentenniveaus und die Steigerung der Lebenshaltungskosten durch Inflation, Energiepreiskrise und Mietsteigerungen. Zudem seien Betroffene dem Risiko ausgesetzt, dauerhaft arm zu bleiben.

Als häufigste Gründe für Altersarmut nennt das Amt besonders die Faktoren Bildung, Arbeit, Soziodemografie und Gesundheit. Arbeitslosigkeit, geringe Bildung, unterbrochene Erwerbsbiografien durch Phasen der Arbeitslosigkeit, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen oder schlechtere Gesundheit führen im Alter zu niedrigen Renten. Pflegebedürftigkeit verschärft die Lage zusätzlich.

Auch für Dagmar Schneider ist es schwer. Als der erste Bescheid von der Rentenversicherung kam, dachte sie sich: „Um Gottes Willen, wie soll das funktionieren?“ 720 Euro bekommt sie. Das reicht nicht einmal für die Fixkosten, geschweige denn, um sich Beeren zu kaufen, das einzige Obst, das sie verträgt. Wie Ingrid spart sie beim Einkaufen, wo es geht, an Bioprodukte ist nicht mehr zu denken. Und auch mit den Kosten für Medikamente hat sie Probleme. Dazu kommen noch ihre Enkelkinder, die sie gerne beschenken und unterstützen möchte. Doch die Möglichkeiten sind begrenzt.

WhatsApp Image 2025-07-29 at 11.10
Dagmar Schneider ist ehrenamtlich aktiv und viel unterwegs. © privat

Dabei hat Dagmar ihr ganzes Leben lang gearbeitet, zunächst noch in der DDR. Dort sind die meisten Frauen nach der Geburt der Kinder nicht lange zu Hause geblieben. Erst am Ende ihres Arbeitslebens ist sie wegen einer Krankheit in Hartz IV gerutscht. „Aber irgendwie geht es immer weiter“, sagt Dagmar. „Verhungern lassen können sie mich ja nicht.“

Die 67-Jährige engagiert sich ehrenamtlich, betreut alte und kranke Menschen und ist viel unterwegs. Dafür bekommt sie eine kleine Ehrenamtspauschale. Die hilft ihr dabei, sich über Wasser zu halten. Und weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Dagmar hat einen großen Freundeskreis, mit dem sie viel Zeit verbringt. Wenn die anderen ins Kino oder Essen gehen, müsse sie aber immer wieder absagen. Dafür ist einfach kein Geld da.

Ingrid tut sich da schwerer. Freundinnen und Freunde, mit denen sie sich per Telefon oder Briefe ausgetauscht hat, melden sich inzwischen nicht mehr. Sie weiß nicht, ob sie noch leben. Und Ingrid ist körperlich nicht fit genug, um viel rauszugehen oder weite Wege zu laufen. „Und ich könnte ja auch nirgendwohin, mit dieser Kleidung“, sagt sie.

Vereine unterstützen Seniorinnen und Senioren

Die Kommunen haben mit den Folgen von Altersarmut zu kämpfen, können aber die Einkommensarmut der Betroffenen nicht unmittelbar beeinflussen, wie das Nürnberger Sozialamt mitteilt. „Dabei sind die betroffenen älteren Menschen oft sozial und ökonomisch benachteiligt und bedürfen der Unterstützung im Sinne kommunaler Daseinsvorsorge.“ Deswegen fokussiere sich das Seniorenamt auf Maßnahmen, die die gesellschaftliche Teilhabe trotz geringer Einkünfte fördere. Ein wichtiges Instrument sei außerdem der „NürnbergPass“, ein Unterstützungsangebot der Stadt für Menschen mit geringem Einkommen. Verschiedene städtische Angebote und auch das Deutschlandticket können so günstiger erworben werden.

Da von Altersarmut vermehrt Frauen betroffen sind, setze sich Bayern laut dem Sozialministerium seit Langem auf Bundesebene für die Einführung einer Mütterrente und nun für die Vollendung ein. Hier soll die Zeit der Kindererziehung in die Rente einbezogen werden.

Für die Betroffenen sind aber besonders Vereine wichtig, die die Seniorinnen und Senioren direkt unterstützen. Ingrid und Dagmar haben sich mit ihren Problemen beispielsweise an den aus Spenden finanzierten Verein „Lichtblick Seniorenhilfe“ gewendet. „Wir hören jeden Tag, wie groß die Not ist“, sagt Pressesprecherin Christina Meyer. Bedürftige können sich ganz einfach melden und werden dann lebenslang unterstützt, vor allem über finanzielle Zuschüsse und Lebensmittelgutscheine. „Wenn ich die nicht hätte, wüsste ich nicht, ob ich noch leben würde“, sagt Ingrid.