Nürnberg - Nach dem Tod von zwölf Guinea-Pavianen im Nürnberger Tiergarten erklärt der Zoo, die verbleibende Gruppe lebe nun ruhiger miteinander. Doch auch glücklicher? Eine Expertin ordnet die Situation ein.

Narkose, Schüsse, zwölf tote Tiere: Ende Juli hatte der Nürnberger Tiergarten zwölf Guinea-Paviane getötet. Die Maßnahme sei notwendig gewesen und zeige Wirkung, betont der Zoo. Die verbleibende Gruppe verhalte sich deutlich ruhiger. Doch um welchen Preis? Primatenforscherin und Kognitionswissenschaftlerin Julia Fischer untersucht gemeinsam mit ihrem Team die Guinea-Paviane im Nürnberger Zoo – nun gewährt sie Einblicke in ihre Forschung.

Das zentrale Problem im Nürnberger Tiergarten war der begrenzte Lebensraum. Bis zur Tötung lebten dort 46 Guinea-Paviane in einer Anlage, die ursprünglich nur für 25 Tiere konzipiert war. Auf engem Raum kann es zu Spannungen und aggressivem Verhalten kommen, erklärt Fischer. Konflikte entstehen durch verschiedene Auslöser – etwa Konkurrenz um Futter oder Weibchen.

Im Freiland gehen sich Guinea-Paviane verschiedener Gruppen meist aus dem Weg. Physische Aggressionen sind selten, doch wenn sie auftreten, können sich die Tiere auch schwer gegenseitig verletzen. Fest steht: Es gab Auseinandersetzungen, diese waren gefährlich und sind wohl auf die räumliche Enge zurückzuführen.

Soziale Strukturen: So leben Paviane

Guinea-Paviane organisieren sich in Fortpflanzungseinheiten, bestehend aus einem männlichen Tier, dem „Haremshalter“, einem oder mehreren Weibchen und deren Nachwuchs. Diese Einheiten schließen sich zu „Cliquen“ zusammen, die wiederum eine größere soziale Bande bilden. Laut Fischer sind aggressive Interaktionen zwischen verschiedenen Cliquen und Banden selten – unter anderem, weil die Tiere keine ausgeprägte Ranghierarchie haben. Besonders männliche Tiere, die miteinander verwandt sind, pflegen enge soziale Beziehungen.

Diese Verwandtschaft fördert vermutlich die Toleranz untereinander, wobei auch nicht verwandte Männchen starke Bindungen eingehen können. Weibchen können von einem männlichen Partner zu einem anderen wechseln – auf jeder sozialen Ebene. Dadurch tragen sie wesentlich zum genetischen Austausch zwischen Populationen bei. Bindungen können wenige Wochen oder mehrere Jahre dauern. Die weibliche Flexibilität und die geringe männliche Aggressivität seien bemerkenswert. Auch der Tiergarten Nürnberg erklärt: „Für die Paviane sind regelmäßige Änderungen im Sozialgefüge völlig natürlich.“

Aktivisten fordern Kastrierung: „Das ist eine sehr harte Forderung“

Der Tiergarten Nürnberg erklärte auf Anfrage, dass ein entscheidendes Kriterium für die Tötung eines Tieres das Fehlen einer Mutter-Kind-Beziehung war. Aus diesem Grund wurden auch keine Jungtiere entnommen. Wichtig für das Sozialgefüge sind vor allem Jungtiere, da sie den Austausch innerhalb der Gruppe fördern. Die Forderung nach Sterilisation oder Kastration im Populationsmanagement sieht Fischer kritisch: „Das ist eine sehr harte Forderung – Jungtiere spielen eine ganz zentrale Rolle im Leben der Tiere.“

Die Entscheidung des Zoos sei letztlich richtig gewesen, doch es brauche ein langfristiges Konzept für das Management solcher Gruppen. Die Tiere im Zoo und jene im Freiland unterscheiden sich laut Fischer nur wenig. Ihre Sozialstruktur sei nahezu identisch: „Sie sind Guinea-Paviane – egal ob im Zoo oder draußen im Freiland.“ Neben der Nahrungsaufnahme verbringen die Tiere viel Zeit mit sozialer Fellpflege. Wer einander das Fell pflegt, zeigt positive Zuneigung. Auch Kuscheln gehört zum Alltag. So erkennen Forschende, welche Tiere soziale Bindungen zueinander haben.

Verlust eines Partners kann Stress auslösen

Dass Sozialpartner plötzlich fehlen, sei „irgendwie Teil ihres Lebens – auch im Freiland“, sagt Fischer. Weibchen schließen sich nur so lange einem Männchen an, wie es opportun erscheint. Das kann sich von einem Tag auf den anderen ändern – vor allem im Freiland, wo die Mortalitätsrate extrem hoch ist.

Direkt nach der Tötung der zwölf Tiere erwarteten die Forschenden, dass die Gruppe nervös und zurückhaltend reagieren würde. Doch bereits einen Tag später zeigten sich die Tiere entspannt. „Es gibt Bindungen – ich will das nicht in Abrede stellen“, sagt Fischer. „Aber gleichzeitig gehört es zum Leben dieser Tiere, dass ständig jemand verschwindet, gefressen wird oder abwandert. Deshalb darf das aus ihrer Sicht keine große Katastrophe sein.“

Die Tiere vermissen oder leiden nicht – zumindest nicht lange. Der Verlust eines Sozialpartners kann kurzfristig Stress auslösen, meist jedoch nur für ein bis zwei Tage. „Die Tiere leben sehr im Moment“, erklärt Fischer. Danach suchen sie sich neue Bindungen.

Julia Fischer ist Professorin für Primatenkognition an der Georg-August-Universität Göttingen, Leiterin der Abteilung „Kognitive Ethologie“ und stellvertretende Direktorin des Deutschen Primatenzentrums – Leibniz-Institut für Primatenforschung. Neben ihrer Forschung im Senegal untersucht sie mit ihrem Team auch die kognitiven Grundlagen der Tiere im Nürnberger Tiergarten.