
Die Frau ist Hausfrau, Mutter, Ehefrau. Karriere oder Feminismus: Gott bewahre. Willkommen in der Welt der „Tradwifes“. Der Begriff steht für „traditional wife“ - also eine Frau, die sich bewusst für ein traditionelles Rollenbild entscheidet und ihre Erfüllung am heimischen Herd sieht. In sozialen Medien wird dieses Lebensmodell oft romantisiert: Frauen posten Bilder von sich beim Backen, in Vintage-Kleidern, mit perfekt gestyltem Haar und einem Lächeln, das suggeriert, dass sie in ihrer Rolle vollkommen aufgehen.
Neu ist die Bewegung nicht, durchlebt aber seit einigen Jahren vor allem in konservativen bzw. rechten Kreisen und Online-Subkulturen eine Renaissance. Influencerinnen wie Esther O‘Reilly, Ayla Stewart oder die Podcasterin Alex Clark propagieren das Tradwife-Dasein als Gegenentwurf zur „modernen Frau“, die, so die Annahme, unter Leistungsdruck, Burnout und gesellschaftlicher Entfremdung leidet. Die Botschaft ist einfach: Zurück zur Natur, zur Familie, zur Weiblichkeit. „Less Prozac, more protein. Less burnout, more babies. Less feminism, more femininity“, sagte Clark auf einer konservativen Frauenkonferenz.
Diese Rückbesinnung auf traditionelle Geschlechterrollen ist eng verknüpft mit politischen Strömungen wie Donald Trumps „MAGA“ (Make America Great Again), radikalem Christentum und einer allgemeinen Skepsis gegenüber Gleichstellungspolitik - und sie ist auch eine Reaktion auf gesellschaftliche Umbrüche, wirtschaftliche Unsicherheit und die Überforderung vieler Frauen im Spagat zwischen Beruf und Familie.
Die harte Realität hinter der kuscheligen Fassade
Doch wie ist eigentlich ein Leben als Tradwife? Das hat die kanadische politische Aktivistin, Autorin und Filmemacherin Lauren Southern erlebt und dabei festgestellt, wie hart die Realität hinter der kuschelig-nostalgischen Fassade ist.
Bekannt wurde Lauren Southern 2015 mit einem viralen Video mit dem Titel „Why I Am Not a Feminist“. Blond, jung und provokant argumentierte sie, dass Frauen in vielen Lebensbereichen bevorzugt würden - beispielsweise bei Sorgerechtsstreitigkeiten oder beim Zugang zu Hilfsangeboten bei häuslicher Gewalt.
Sie wurde mit der Alt-Right-Bewegung in Verbindung gebracht und war Teil einer neuen Generation rechter Influencerinnen, die mit provokanten Thesen und spektakulären Aktionen Aufmerksamkeit erregten. So verteilte sie beispielsweise Flugblätter mit der Aufschrift „Allah is a Gay God“ in muslimischen Vierteln, sprach von einem angeblichen „weißen Genozid“ in Südafrika und interviewte den russischen Philosophen Alexander Dugin, der unter anderem die russische Annexion der Krim und den Angriff Russlands auf die Ukraine befürwortet.
2018 kam es, wie sie in ihrem Mitte Juli erschienenen Buch „This Is Not Real Life“ erklärt, in Rumänien zu einer schicksalhaften Begegnung: Aus rein geschäftlichen Gründen, wie sie schreibt, habe sie den britisch-amerikanischen Influencer Andrew Tate getroffen, der sie im Anschluss an dieses Treffen sexuell bedrängt haben soll. Tate, der nach seiner Karriere als Kickboxer durch extrem misogyne Videos und Aussagen auf sich aufmerksam gemacht hat und derzeit im Rahmen eines Berufungsverfahrens wegen Menschenhandels, Vergewaltigung und organisierter Kriminalität in Rumänien unter Hausarrest steht, bestreitet die Vorwürfe.
Tiefe persönliche Krise
Diese Begegnung, so Southern, habe sie in eine tiefe persönliche Krise gestürzt. Sie wollte sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen und den ständigen Druck, immer neue Inhalte zu produzieren, hinter sich lassen. Als sie schließlich einen Mann kennenlernte, der ein traditionelles Familienleben anstrebte, erschien ihr das wie ein guter Ausweg. Southern zog 2019 mit ihm von Kanada nach Australien, gab ihre Karriere auf und wurde Hausfrau und Mutter. Auf Instagram zeigte sie sich beim Backen, beim Sport nach der Geburt, beim Einrichten ihres neuen Heims. Alles schien perfekt. Zumindest nach außen.
Hinter den Kulissen sah es allerdings anders aus, wie sie in ihrem Buch beschreibt. Ihr Mann behandelte sie zunehmend schlecht, hielt sie isoliert, kontrollierte ihre Finanzen, drohte mehrfach mit Scheidung und sorgte dafür, dass sie kaum soziale Kontakte hatte. Southern sah das zunächst als Ansporn, eine noch bessere Ehefrau zu sein - beispielsweise durch das Tragen von High Heels zur Begrüßung -, doch es half nichts. Als sie sich schließlich 2022 gegen seinen Willen entschied, ihre Familie in Kanada zu besuchen, war die Ehe vorbei und Southern pleite.
Isolation, Abhängigkeit, Enttäuschung
In ihrem Buch beschreibt sie, wie schwer es ihr fiel, sich von der Ideologie zu lösen, die sie selbst jahrelang vertreten hatte. Sie wollte keine „Opferrolle“ einnehmen, keine feministische Kehrtwende vollziehen. Doch die Realität zwang sie dazu, ihre Überzeugungen zu hinterfragen. Eine Abrechnung mit dem Konservatismus ist ihre Geschichte nicht - aber sie zeigt, wie gefährlich es sein kann, sich einer Ideologie zu unterwerfen, die Frauen auf eine Rolle reduziert.
Lauren Southern ist mit ihrer Erfahrung nicht allein: Immer wieder berichten Frauen, die sich bewusst für das Tradwife-Modell entschieden haben, von Isolation, emotionaler und finanzieller Abhängigkeit und Enttäuschung, die idealisierte Vorstellung vom glücklichen Leben als Hausfrau - oft begleitet von perfekt inszenierten Bildern in sozialen Medien - kollidiert dann irgendwann einfach doch meist mit der Realität.
Widerspruch in sich
Apropos Realität: Das Geschäftsmodell der Tradwife-Influencerinnen ist im Grunde genommen ein Widerspruch in sich, denn während sich diese Frauen als Haus- und Ehefrauen inszenieren, die von ihren Männern (auch in finanzieller Hinsicht) abhängig sind, betreiben sie ein Online-Business, durch das sie teilweise nicht nur finanziell auf eigenen Beinen stehen, sondern sogar deutlich mehr verdienen als ihr Mann.
Und auch nicht ganz unwichtig: Wenn die Ehefrau nicht gerade eine gutverdienende Tradwife-Influencerin ist, sollte das Jahreseinkommen eines Mannes in Deutschland, der als Alleinverdiener das Leben einer Familie mit einer Frau und zwei Kindern finanzieren will (Miete für eine 4-Zimmer-Wohnung, normale Lebenshaltungskosten, Freizeitaktivitäten, Schaffung eines kleinen finanziellen Polsters und hin und wieder ein Urlaub), bei mindestens rund 90.000 Euro brutto liegen. Sonst könnte die vermeintliche Tradwife-Idylle noch sehr viel schneller in sich zusammenfallen als bei Lauren Southern.