
„Wer checkt, der checkt“, hört man unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen dieser Tage häufig. Es bedeutet, dass jemand versteht, was gemeint ist – insbesondere dann, wenn es nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. Ein Beispiel: Nehmen wir an, eine weltbekannte Modemarke verkauft ein T-Shirt, das den Namen eines New Yorker Stadtviertels als Schriftzug auf der Brust prangen hat. So weit, so gut – auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick könnte der Schriftzug aber nicht nur für den Ort per sé gelten, sondern für die dortige politische Szene, eine rechte Subkultur, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wer checkt, was es mit dem Viertel tatsächlich auf sich hat, der checkt, was das Problem an dem T-Shirt ist.
Übrigens, das Beispiel ist tatsächlich real, nicht fiktiv: Der schwedische Moderiese verkauft weiße Oversize-Shirts mit dem ausgewaschenen Aufdruck „Dimes Sq.“, der über ein rotes Graffiti läuft, weltweit – und auch in anderen Farbkombinationen und Designs. Präsentiert wird das Shirt im Onlineshop von einem jungen Mann mit Boxer-Haarschnitt, schwarzer Sonnenbrille und Baggy Jeans.
Dimes Square - was ist das?
Der Schriftzug „Dimes Sq.“ steht kurz für „Dimes Square“, einen kleinen Straßenzug in Manhatten. Das scheint auf den ersten Blick nicht unüblich, listet H&M in seinem Sortiment doch zahlreiche T-Shirts und Hoodies, die bestimmten Städten oder Stadtteilen gewidmet sind – von Paris über Soho bis hin zu Dimes Square. Das Problem: Dimes Square ist nicht nur ein Ort, sondern auch eine rechte Subkultur, die ihren Ursprung in der linken Szene hat und nach und nach weiter rechts wandelte.
Die Szene entstand im Umfeld des Podcasts „The Red Scare“, in welchem zwei kunstaffine It-Girls über Sprachregelungen, Identitätsdebatten und Genderdiskurse sprechen – eben jene Themen, an denen sich diverse Milieus stören. Inzwischen meint „Dimes Square“ eine Gruppe hipper New Yorker Künstler und Medienschaffender, die durch ihre politische Haltung geeint sind und rechte Positionen salonfähig machen. Sie zitieren rassistische Studien, sympathisieren mit rechten Entscheidungsträgern, feierten den Wahlsieg von Donald Trump, laden rechtsintellektuelle Verlage zur Lesung und verspotten gendergerechte Sprache.
„Dimes Square“ steht damit eben nicht nur für eine beschauliche Mikronachbarschaft in New York, sondern für eine politische Haltung, die sich allmählich im Mainstream breit macht – und unter anderem in der Mode präsent ist.
H&M bezieht Stellung - und kündigt Konsequenzen an
Das T-Shirt von H&M kann also als Skaterfashion und Streetwear interpretiert werden, aber auch pure Ignoranz, politisches Statement oder gar kalkulierte Provokation. In den sozialen Medien wird das Shirt jedenfalls kontrovers diskutiert – und darüber spekuliert, ob H&M weiß, was es da verkauft.
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Nein, ist die Antwort. Die Antwort, die das Unternehmen auf Anfrage von Watson mitteilte: Der Designprozess lasse sich „regelmäßig von verschiedenen Städten, Stadtvierteln und deren einzigartiger kultureller Atmosphäre weltweit inspirieren, um die Vielfalt urbaner Ästhetik widerzuspiegeln“. Die Referenz sei vom Kreativteam „als Verweis auf die geografische Lage und die kreative Energie dieses Ortes gewählt“ worden. Gegenüber der GQ stellte H&M zudem klar: „Alle anderen Interpretationen dieses Drucks sind nicht beabsichtigt.“
Das schwedische Modeunternehmen distanziert sich einem Statement zufolge „ausdrücklich von jeglichen unbeabsichtigten politischen oder ideologischen Konnotationen“. Außerdem kündigte H&M an, die Hinweise ernstzunehmen und künftig vorsichtiger zu sein – etwa indem die interne Prozesse überarbeitet werden, um derartige Referenzen zu vermeiden. Anders gesagt: Damit H&M künftig checkt, was es zu checken gibt – auch wenn es nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist.