Nürnberg - Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat erstmals die Auswirkungen von KI-Anwendungen auf das menschliche Gehirn untersucht.

Wer regelmäßig ChatGPT zum Schreiben nutzt, riskiert langfristige kognitive Einbußen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT), die erstmals die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz (KI) auf das menschliche Gehirn untersuchte.

Die Forschungsgruppe um Dr. Nataliya Kosmyna vom MIT Media Lab ließ 54 Teilnehmerinnen und Teilnehmer über vier Monate hinweg Essays schreiben: mit ChatGPT, Suchmaschinen oder ganz ohne Hilfsmittel. Dabei haben sie kontinuierlich die Gehirnaktivität mittels Elektroenzephalografie (EEG) gemessen. Die EEG misst die elektrische Aktivität des Gehirns über Elektroden auf der Kopfhaut und macht die Kommunikation zwischen Milliarden von Nervenzellen als wellenförmige Muster sichtbar.

Alarmierende Ergebnisse

Das Ergebnis ist eindeutig: „Die Gehirnkonnektivität skalierte systematisch mit der Menge externer Unterstützung nach unten“, berichten die Wissenschaftler. Das bedeutet: Je mehr Hilfe jemand in Anspruch genommen hat, desto weniger kommunizierten die Gehirnregionen miteinander. Während Teilnehmende ohne Hilfsmittel die stärksten neuronalen Netzwerke zeigten, zeigten ChatGPT-Nutzende die schwächste Gesamtkopplung im Gehirn auf.

Besonders alarmierend: 83,3 Prozent der ChatGPT-Nutzenden konnten nicht eine Passage aus ihren selbst verfassten Essays zitieren. Bei den anderen Gruppen schafften das hingegen nahezu alle Teilnehmenden.

„Diese Ergebnisse zeigen, dass die Abhängigkeit von einem Large-Language-Model (LLM) die Fähigkeit der Teilnehmenden, genaue Zitate zu produzieren, erheblich beeinträchtigt“, so die Forschenden.

Nutzerinnen und Nutzer, die KI verwendeten, hatten zudem ein „gestörtes Verhältnis“ zu ihren eigenen Texten. Während 16 von 18 Teilnehmenden der Kontrollgruppe vollständiges Eigentum an ihren Essays beanspruchten, zeigten ChatGPT-Nutzerinnen und Nutzer „fragmentierte und konflikthafte Eigentumswahrnehmungen“. Viele gaben an, nur 50 bis 90 Prozent des Textes als ihr eigenes Werk zu betrachten.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen vor „kognitiven Schulden“. Einem von den Forschenden selbst ins Leben gerufenen Zustand. Er beschreibt einen Zustand, in dem die wiederholte Verwendung externer Systeme (wie KI-Systeme) die für unabhängiges Denken erforderlichen Denkprozesse ersetzt. „Kognitive Schulden verschieben mentale Anstrengung kurzfristig, führen aber zu langfristigen Konsequenzen wie verringertem kritischen Denken, erhöhter Anfälligkeit für Manipulation und verringerter Kreativität“, erklären die Forschenden in der Facharbeit.

Selbst wenn ehemalige ChatGPT-Nutzer wieder ohne KI schrieben, blieben sie in erlernten Sprachmustern gefangen und zeigten schwächere Gehirnaktivität als Menschen, die nie KI genutzt hatten.

Auch ein „Echo-Kammer“-Effekt war nachweisbar

Zusätzlich verstärkt ChatGPT problematische „Echo-Kammer“-Effekte. „Das LLM reduzierte zweifellos die mentale Anstrengung, diese Bequemlichkeit kam jedoch mit kognitiven Kosten“, warnen die Forschenden. Die KI verringere die Neigung der Nutzenden, Inhalte kritisch zu bewerten und einzuordnen.

Menschliche Lehrkräfte erkannten KI-generierte Essays sofort an ihrer „konventionellen Struktur und Homogenität“, während ein KI-Bewertungssystem diese Unterschiede nicht erfassen konnte.

Die Studie liefert einen möglichen, deutlichen Fingerzeig in Richtung Bildung. „Diese Erkenntnisse unterstützen ein Bildungsmodell, das die KI-Integration verzögert, bis Lernende ausreichend selbstgesteuerte mentale Anstrengung unternommen haben“, empfehlen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Die Forschenden fordern Langzeitstudien, „um die langfristigen Auswirkungen der LLMs auf das menschliche Gehirn zu verstehen, bevor LLMs als etwas anerkannt werden, das ausschließlich positiv für die Menschen ist“.