
Im San Francisco der 50er Jahre haben es Homosexuelle nicht leicht. Ein Outing bedeutet den Ausschluss aus der Gesellschaft, Schikane und Prügel von der Polizei stehen auf der Tagesordnung. Clubs, in denen sich queere Menschen treffen können, sind zwar mittlerweile erlaubt, doch die Polizei führt regelmäßig Razzien durch, um „unsittliches Verhalten“ aufzudecken. Kein leichtes Pflaster für einen heimlich homosexuellen Polizisten wie Evander Mills.
„Lavender House“: Der erste Fall von Evander Mills
Das Leben von Evander „Andy“ Mills ist am Ende. Eigentlich hatte er seine Kontakte als Polizist genutzt, um über anstehende Razzien informiert zu sein, doch das konnte nicht ewig gut gehen. Schließlich wurde Andy mit einem Mann in einem Club erwischt. Nur einen Tag später hat er alles verloren. Nicht nur wurde er umgehend aus dem Polizeidienst entlassen, sogar seine Wohnung wurde ihm gekündigt. Eigentlich will sich Andy nur betrinken und dann ins Meer stürzen.
In dieser Stimmung findet ihn Pearl Velez. Sie hat einen Auftrag für ihn und überzeugt Andy, mit ihr zu kommen. Denn drei Wochen zuvor ist Iris Lamontaine gestorben, Matriarchin eines Seifenimperiums. Tatsächlich ist Pearl Iris‘ Witwe. Sie lebt mit ihrer Familie in Lavender House. Fast alle Bewohner des Anwesens sind queer, ein sicherer Hafen für Homosexuelle, die hier frei leben können. Aber eben nur hier. Pearl glaubt nicht, dass Iris eines natürlichen Todes gestorben ist. Andy soll herausfinden, ob sie ermordet wurde und wer dahintersteckt.
Agatha Christie trifft auf queeres Setting
Abgesehen vom queeren Hintergrund, der eine große Rolle spielt, ist „Lavender House“ ein Krimi in bester Agatha Christie Manier. Ein abgeschiedenes Anwesen, eine tote Matriarchin, eine geschlossene Gruppe von verdächtigen Personen. Dass die Tat von Außenstehenden begangen sein könnte, kann Andy schnell ausschließen. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten sein, weitere Hinweise auf den Ablauf der Geschichte würden nur den Lesespaß verderben.
Besonders interessant wird der Krimi durch das Leben von Evander Mills. Zum einen stößt er als homosexueller Ermittler auf Probleme, die andere Detektivfiguren nicht haben. Hinzukommt sein eigenes Hadern mit dem unfreiwilligen Outing, seine berechtigte Angst vor ehemaligen Kollegen und die Ungewissheit, wie sein Leben nun überhaupt weitergehen kann.
Ein weiterer Punkt unterscheidet Evander Mills von anderen Detektivfiguren wie Hercule Poirot oder Sherlock Holmes. Denn anders als die Klassiker hat Andy keinen Sidekick. Wir erleben die Handlung aus seiner Sicht und erfahren dabei auch seine Gedanken und seine Schlussfolgerungen. Das kann für Fans des Genres beim Lesen ein besonderes Vergnügen ausmachen. Denn während wir beim Lesen der Abenteuer von Sherlock Holmes lange im Dunklen bleiben, warum der Meisterdetektiv gerade wie vorgeht, sind wir bei Evander „Andy“ Mills immer im Bilde.
„Lavender House“: Ein Anwesen voller Schauspielerinnen und Schauspieler
Lavender House ist nicht nur der Titel des Buchs, sondern auch der Name des Anwesens, auf dem der Großteil der Handlung stattfindet. Seinen Namen kann das Haus von den vielen Lavendelpflanzen haben, die dort wachsen, aber auch von den Lavendel-Ehen, die hier gelebt werden. Eine Lavendel-Ehe ist eine Scheinehe, die häufig dazu diente, um die Homosexualität der Ehepartner zu vertuschen.
Obwohl die Personen, die hier leben, ihre Sexualität nicht verbergen müssen, spielen sie doch alle eine Rolle. Diese Ambivalenz der Figuren wird in der Erzählung unter anderem deutlich, als Andy nach und nach die Zimmer der Personen betritt, denn sie alle stehen im Kontrast dazu, wie Andy die jeweilige Person einschätzt.
Solcherlei Erzählkniffe machen das Buch zu einem absoluten Lesevergnügen. „Lavender House“ ist ein Muss für Fans des Genres. Wer Agatha Christie mag, wird Lev AC Rosen lieben.
Ein kleiner Spoiler am Ende: Wenig überraschend gelingt es unserem Detektiv am Ende, den Fall aufzuklären. Und so gründet er eine Detektei, die sich um die Belange der queeren Bevölkerung kümmert, die von der Polizei keine Hilfe erwarten kann. Wir können uns also freuen über die weiteren Fälle, die Evander Mills noch bearbeiten wird. Im englischen Original sind bereits drei weitere Fälle erschienen, auf die deutsche Übersetzung müssen wir noch warten.
"Lavender House"
von Lev AC Rosen
- übersetzt von Jeanette Bauroth
- 311 Seiten
- Secound Chances
- ISBN: 978-3-98906-091-3
- 25 Euro
Weitere, interessante Buchtipps auf nordbayern.de:
Stephen King ist zurück - und mit ihm eine bekannte Hauptfigur: „Kein Zurück“
Detektiv-Fans aufgepasst: Ist das der neue Sherlock Homes?
100 Jahre „Der große Gatsby“: Ein großes Jubiläum für einen großen Roman
„Das fehlende Glied in der Kette“: Das Debüt zweier Legenden