
Aus mehreren Schreiben des Bundesfinanzministeriums an den ehemaligen Finanzstaatssekretär Michael Meister (CDU) geht hervor, dass das Ministerium offenbar viel zu wenig gegen Steuerbetrug bei chinesischen Paketen vorgeht. Das Schreiben liegt der Wirtschaftswoche vor.
Jeden Tag treffen hunderttausende Sendungen von chinesischen Onlineshops wie Temu oder Shein in Deutschland ein. Stichproben ergaben, dass ein Großteil der Pakete mit einem deutlich zu niedrigen Warenwert ausgezeichnet sind. Die Zollfreigrenze in Deutschland liegt aktuell bei 150 Euro. Ist der Warenwert höher als die Freigrenze, fallen zusätzlich zur Einfuhrumsatzsteuer weitere Zollgebühren an.
2023 wurde die Grenze laut Meister von über 2,3 Milliarden Sendungen aus China unterschritten, dieses Jahr könnte sie noch weiter ansteigen. Geht man davon aus, dass der Wert bei 65 Prozent der Pakete zu niedrig angegeben wurde, beläuft sich der Schaden dem ehemaligen Finanzsekretär zufolge auf einen zweistelligen Millionenbetrag.
Zwei Tricks verursachen riesige finanzielle Schäden - und die EU lässt sich Zeit
Eine SWR-Recherche ergab, dass die chinesischen Unternehmen vor allem auf zwei Tricks setzen. Zum einen werden Bestellungen mit einem Warenwert von mehr als 150 Euro auf zwei Pakete aufgeteilt, sodass jedes die Zollfreigrenze unterschreitet. So können die Gebühren offenbar umgangen werden.
Zum anderen nutzen Plattformen wie Temu das "Import-One-Stop-Shop"-Verfahren, eine Sonderregelung für die Umsatzsteuer. Vereinfacht gesagt nutzt der Onlineshop Lücken des europäischen Steuer- und Zollsystems aus, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen.
Das Zollrecht der Europäischen Union ist nicht auf eine derartige Sendungsflut aus Nahost eingestellt. Doch eine baldige Reform des Zollrechts ist nicht geplant. Die EU-Kommission plant eine Anpassung für 2028, Teile davon sollen erst bis 2036 umgesetzt werden.
Mangelhafte Qualität und schlechte Sicherheitsstandards
Bis dahin würden Deutschland weitere Milliarden durch die Lappen gehen. Und das Land weiterhin mit allerhand Billigprodukten und Müll geflutet werden. Denn die Qualität der Artikel lässt oft zu wünschen übrig und entspricht nicht immer den deutschen Qualitätsanforderungen.
Die Zeitschrift "Ökotest" hat 21 Produkte auf der auf Textilien spezialisierten Seite Shein bestellt und im Labor überprüfen lassen. Bei zwei Produkten lagen die Chemikalienmengen über den gesetzlichen Grenzwerten, bei acht Artikel war die Schadstoffbelastung so hoch, dass die Kleidungsstücke abgewertet wurden. Keines der bestellten Produkte erreichte eine bessere Note als "ausreichend", auch weil nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Textilien unter Zwangsarbeit hergestellt worden sind. Vor der Shopping-Plattform Temu warnen mittlerweile sogar Verbraucherschützer.
Viele der nach Deutschland importierten Waren dürfen ironischerweise in China gar nicht verkauft werden. Die Artikel werden zum Teil nur für den Export hergestellt. Deutschen Anforderungen entsprechen die Artikel zwar ebenfalls nicht, doch das zu kontrollieren erweist sich als schwierig. Auch, weil viele der Waren über das EU-Ausland nach Deutschland kommen. Sind die Sendungen erst einmal innerhalb der EU, dürfen sie nicht mehr kontrolliert werden.
Wie geht Deutschland mit dem Problem um?
Das zuständige Bundesfinanzministerium scheint indes keine großen Anstalten zu machen, das Problem in naher Zukunft in den Griff zu bekommen. Auf Anfrage von Michael Meister teilt Finanzstaatssekretärin Katja Hessel mit, dass es sich bei der EU-Zollreform um ein umfassendes und komplexes Regelwerk handle. Die bisher vorgesehenen Übergangsfristen seien zum Teil bereits jetzt sehr knapp bemessen und nicht ausreichend.
Das Finanzministerium um Christian Lindner scheint jedenfalls nicht daran interessiert zu sein, die Reform zu beschleunigen. Stattdessen werden seit Anfang des Jahres 80 Zollbeamte aus ihren Bereichen abgezogen, um das Bundesfinanzministerium zu bewachen. Das geschah bisher immer durch einen Wachdienst. Für Meister ein Dorn im Auge: "Es passt nicht zusammen, dass der Bundesfinanzminister auf der einen Seite Zollbeamte aus der Zollabfertigung und der Zollfahndung für die Bewachung des BMF abzieht, während sein Haus auf der anderen Seite erklärt, dass man derzeit nichts anderes machen könne, als auf die EU-Zollreform zu warten."