NÜRNBERG - Die Cannabis-Legalisierung in Deutschland nimmt Fahrt auf. Sogenannte "Social Clubs" sollen dabei eine Schlüsselrolle spielen, denn: Legales Hanf wird es vorerst nur dort geben. Ein Nürnberger Anbauverein könnte besonders früh seine erste Ernte einfahren.

Antonio Russo hat den Optimismus nie verloren. Jahrelang hat er für die Gras-Legalisierung demonstriert, Politiker bearbeitet, ist an der bayerischen Prohibitionsdoktrin fast verzweifelt. Vor allem aber hat der Nürnberger den ersten "Cannabis Social Club" der Stadt gegründet, einen dieser Anbauvereine, die wohl noch im Jahr 2024 eine Schlüsselrolle bei der Freigabe von Hanf spielen werden. Ab Sommer soll die einst verteufelte Droge über die "Social Clubs" abgegeben werden. Und wenn es nach Vorstand Russo geht, baut er schon bald Cannabis-Pflanzen für seinen Verein an - und das im größeren Stil.

Legaler Grower zu werden ist alles andere als banal. Seit Jahren bereiten sich Hanf-Aktivisten auch in Nürnberg auf die Eventualität einer Legalisierung vor. Jetzt ist es soweit. "Wir hatten schon tiefergehende Gespräche mit einem Bio-Bauern aus der Nähe von Forchheim in der Fränkischen Schweiz", erklärt Russo. "Der ist auf uns zugekommen und hat große Lust, loszulegen." Heißt: Schon bald könnte legales Cannabis für den Freizeit-Konsum aus Franken kommen, zumindest für den Nürnberger "Social Club". Nach den Plänen der Ampel-Koalition sollen die Anbau-Kollektive so funktionieren: Bis zu 500 Menschen können sich zusammenschließen und nach staatlicher Lizenzierung für die eigenen Mitglieder jeweils 50 Gramm pro Kopf und Monat produzieren - Profit dürfen sie dabei aber nicht machen.

Cannabis-Legalisierung: So will der Nürnberger "Social Club" durchstarten

In der Praxis ist die Sache aber komplizierter, denn die gewaltige Investition für selbst angebautes Cannabis muss auch der Nürnberger "Social Club" erst einmal stemmen. "Heutzutage arbeitet man mit Mutterpflanzen, die nicht blühen dürfen - und dafür braucht man Gewächshäuser, die man abdunkeln und dann zusatzbeleuchten kann", erklärt Russo. Bei dem Forchheimer Bauern sei das nicht der Fall, und deswegen brauche man neben der Aufzuchtanlage dort einen sogenannten Grow-Container - also große Boxen, in denen die Pflanzen bis zur Blüte versorgt werden. "Das wäre mit unserem Kapital zumindest besser stemmbar als eine große Halle, die sofort hunderttausende Euro verschlingt."

Die Container sind voll ausgestattet, über eine Hydro-Steinwolle wird eine Nährlösung ausgebracht, die nur alle zwei Wochen gewechselt werden muss. "Im Prinzip läuft das alles automatisiert, da haben sich Wissenschaftler und Botaniker ganz viel Gedanken gemacht, damit die Legalisierung in der Form überhaupt möglich ist." Denn eigentlich soll mit der Entkriminalisierung von Cannabis ja der Schwarzmarkt ausgetrocknet werden. Und genau dafür braucht es Russo und seinen "Social Club", denn ohne ausreichend saubere Ware verdienen erneut dubiose Dealer und illegale Großhändler.

Erste Cannabis-Ernte schon 2025?

Russo, der Optimist, macht sich keine Illusionen. Er weiß, dass er noch jede Menge Geduld braucht. "Wenn man hört, was Markus Söder so sagt, rechnen wir fest damit, dass der Widerstand in Bayern groß sein wird", sagt er. Die CSU-Regierung im Freistaat wettert seit Jahren gegen die geplante Legalisierung. "Wir werden dieses Gesetz extremst restriktiv anwenden", kündigte der Ministerpräsident an. Wer mit Cannabis Spaß haben wolle, der solle Bayern schleunigst verlassen.

Rein theoretisch könnte das Gesetz, das den "Social Clubs" den legalen Anbau ermöglicht, ab dem 1. Juli greifen - zumindest dann, wenn sich Bundesregierung und Länder nicht gegenseitig blockieren. "Aber selbst wenn es dann losgehen könnte, müssen erst noch die Lizenzen verteilt werden. Da gehe ich sehr optimistisch gerechnet von drei Monaten aus", sagt Russo. "Wenn es so käme, könnten wir im Oktober mit dem Anbau beginnen und dann realistisch Anfang 2025 die erste Ernte einfahren." Nur: Die Erfahrungen aus anderen Ländern machen nicht gerade Hoffnung. "Malta hat beispielsweise die 'Social Clubs' vor zwei Jahren entkriminalisiert und es gibt gerade mal einen Verein, der eine Lizenz erhalten hat."

"Es wird liberaler, da bin ich mir sicher"

Russo will von Schritt zu Schritt denken. Jetzt gehe es erst einmal darum, ein Vereinsheim zu finden, das auch als legale Cannabis-Abgabestelle für die Mitglieder tauge. Gesucht werden bis zu 100 Quadratmeter für gut 1000 Euro monatlich, fernab von Schulen, Spielplätzen und Kitas, so, wie es der Gesetzgeber vorsieht. 150 Menschen sind Teil des Nürnberger "Social Clubs", gut 350 weitere stehen auf einer Warteliste. "Wir könnten jederzeit skalieren", sagt der Vereinsvorstand, der aber nichts überstürzen will.

Russo spürt die Aufbruchsstimmung. Im vergangenen April erlebte auch sein "Social Club" einen Mitglieder-Ansturm, nachdem Gesundheitsminister Lauterbach angekündigt hatte, dass die legale Abgabe zunächst nur über die Anbauvereine möglich sein wird - und nicht, wie zunächst geplant, über kommerzielle Anbieter wie lizenzierte Geschäfte und womöglich auch Apotheken. Die Euphorie aber flaute schnell ab. "Jetzt, mit dem neuen Gesetz, sind alle so ein bisschen aus dem Winterschlaf augewacht." Klar ist: Es wird viele, viele "Social Clubs" brauchen. "Ein Verein in Nürnberg reicht nicht, wir werden hunderte haben müssen, um die Nachfrage bedienen zu können", sagt Russo, der Mitstreiter ermutigt, selbst zu gründen.

Langfristig wird es aber nicht ohne lizenzierte Fachgeschäfte gehen. "Es wird liberaler werden, da bin ich mir sicher. Wir haben den Fuß in der Türe", sagt Russo, der das Positive an der Zögerlichkeit der Bundesregierung sieht. "Die USA haben beispielsweise direkt komplett legalisiert und am Ende waren es Pharmakonzerne, die mit Millionenbudgets den ganzen Markt an sich genommen haben." Über die Social Clubs hätten nun kleinere Grower die Chance, sich zu beweisen, sich einen Kundenstamm und Vertrauen aufzubauen. "Das ist doch die deutlich schönere, in jedem Fall aber weniger kapitalistische Variante. Ich bin jedenfalls dafür, dass sich jeder Gras leisten kann. Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft braucht es da nicht."