Hamburg/Nürnberg - Stimmen aus dem rechten Lager zweifeln die Zahl der Teilnehmer an den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus an. Die Vorwürfe schlagen vor allem in den sozialen Netzwerken hohe Wellen - doch sie entbehren jeder Grundlage. Ein Faktencheck.

Hunderttausende Menschen demonstrierten in der vergangenen Woche in zahlreichen Städten gegen Rechtsextremismus. Doch einige Mitglieder und Anhänger der Partei wollen es wohl nicht wahrhaben, dass sich derart viele Menschen ihrer politischen Agenda entgegenstellen - sie zweifeln die Zahl der Teilnehmer an den Demonstrationen an. Angeblich seien Bilder bewusst manipuliert worden, um die Menschenmenge größer erscheinen zu lassen, als sie es tatsächlich war. In den sozialen Netzwerken kursiert zudem ein Inserat auf einem Online-Portal, mit dem angeblich gezielt Demonstranten für die Kundgebung in Hamburg angeworben worden sein sollen - gegen Bezahlung.

Aufnahmen der Demonstrationen manipuliert?

In Hamburg und München wurden die Kundgebungen wegen des großen Andrangs vorzeitig abgebrochen - die Bilder der überfüllten Straßen wurden vielfach geteilt. Jetzt behauptet unter anderem Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der Thüringer AfD, dass die Bilder manipuliert seien. "Bestellte Massen demonstrieren gegen die AfD. Doch bei den in den Medien veröffentlichten Bildern fallen inzwischen zahlreiche Fälle von Bildmanipulationen auf. Warum haben sie das nötig?", schrieb Höcke auf X. Dazu teilte er ein Bild der Hamburger Demonstration, auf dem die Demonstrierenden angeblich im Fluss Alster stehen würden.


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Eine Frage der Perspektive

Das angeblich gefälschte Foto stammt von der Deutschen Presseagentur (dpa). Es zeigt den Hamburger Jungfernstieg und die Menschenmassen darauf. Auf einem weiteren Foto sieht es so aus, als stünden die Demonstrierenden in der Kleinen Alster statt auf der Fläche davor. Höcke wirft daher Medien wie der "dpa" vor, das Bild manipuliert zu haben, damit die Menschenmasse größer wirke. Diese Behauptung wird aktuell in rechten Kreisen verbreitet, wie die "Tagesschau" berichtet. Die "dpa" jedoch widerspricht der Anschuldigung unter Höckes Post.

Der irreführende Effekt, dass Menschen in der Kleinen Alster stünden, kommt durch eine andere Perspektive auf die Brücke. Erkennbar ist der andere Aufnahmewinkel am Hintergrund, wie den Gebäuden oder dem Fernsehturm. Das zweite Bild zeigt Hamburg aus einer deutlich niedrigeren Höhe, weshalb das Wasser durch die Menschenmassen verdeckt wird.

Basierend auf dem Bild pic.twitter.com/bR63QvCz2g des @Senat_Hamburg eine (grobe) Animation, um das Prinzip der Perspektive nochmals zu verdeutlichen: pic.twitter.com/o7mOgVtnOk

— Michael Butscher 📯 (@mbutscher) January 21, 2024

Es gibt keine Hinweise darauf, dass das Bild manipuliert sei, berichtet die "Tagesschau". Weitere Bilder und Aufnahmen der Demonstration aus unterschiedlichen Blickwinkeln und von verschiedenen Fotografen bestätigen, dass der Jungfernstieg voller Menschen war. Die Demonstration wurde anschließend aufgrund der großen Teilnehmerzahl von der Polizei abgesagt.

Keine künstlich generierten Bilder aus Köln

Auch zu den Bildern von der Demonstration aus Köln gibt es Manipulationsvorwürfe. Bei Drohnenaufnahmen vom Heumarkt behaupten laut der "Tagesschau" einige rechte Accounts, die Bilder seien über eine künstliche Intelligenz generiert worden. Auch diese Behauptung erwies sich als falsch.

Dieses Bild hat @Lennartpagel von der Demonstration gegen Rechtsextremismus in Köln gemacht: pic.twitter.com/fm9iIUnQlT

— Stefan Leifert (@StefanLeifert) January 17, 2024

Der Urheber des angeblich generierten Fotos zeigt auf seinem Account verschiedene Perspektiven des überfüllten Heumarkts. Auf allen Bildern ist die große Menschenmenge zu sehen. Auch die Bilder zahlreicher weiterer Nachrichtenagenturen decken sich mit denen des Fotografen. Die Polizei gab an, dass etwa 30.000 Menschen vor Ort gewesen waren.

Demonstranten via Inserat angeworben? Portal "JOBWRK" klärt auf

Die Vorwürfe der manipulierten Bilder lassen sich also leicht widerlegen - doch es gibt weitere Versuche von rechts, die Zahl der Protestierenden geringer erscheinen zu lassen, als es tatsächlich der Fall war. Auf "X", vormals Twitter, tauchten zahlreiche Posts auf, die auf eine Stellenanzeige verwiesen. Vermeintlich brisant: Via Annonce seien gegen Bezahlung Teilnehmer für die Anti-AfD-Kundgebung in Hamburg gesucht worden - mit dem Ziel, die Demonstration voller wirken zu lassen. Tatsächlich existiert die besagte Ausschreibung auf dem Portal JOBWRK, dort heißt es: "Statist:innen (m/w/d) als 'Demoteilnehmer' für eine Videoaufnahme" in Hamburg gesucht. "Spielalter" 18-35 Jahre, 60 Euro Gage.

Was die User nicht wissen - oder nicht wissen wollen: Das Inserat stammt bereits aus dem Jahr 2022. Die vermehrten Spekulationen in den sozialen Netzwerken, dass es sich bei der Anzeige um einen gezielten Anwerbungsversuch von "falschen" Demonstranten gegen die AfD handele, veranlassten JOBWRK sogar zu einer Aktualisierung der alten Annonce. Dort heißt es nun: „Dieses Inserat wurde am 13.10.2022 veröffentlicht, mit Bewerbungsschluss am 18.10.2022 und steht in keinem Zusammenhang mit den Demonstrationen in Hamburg am 19.01.2024. JOBWRK ist keine Casting- oder Vermittlungsagentur. Für den Inhalt ist ausschließlich der Auftraggeber verantwortlich.“ Wie "SWR3" berichtet, seien mit dem Inserat lediglich Statisten für einen Film gesucht worden, in dem eine Demonstration gezeigt wurde.

Selbst rechter Blogger räumt fehlende "Belege" ein

Für den rechten Blogger Boris Reitschuster ist die Annonce trotzdem Aufreger genug, um der ihr einen ganzen Artikel zu widmen: Auf seiner Homepage schreibt er, Leser hätten ihn auf das Inserat aufmerksam gemacht. Er greift die Spekulationen in den sozialen Netzwerken auf, dass es sich um eine gezielte Anwerbung vermeintlicher Demonstranten handeln würde, und bezeichnet diese Spekulationen als "logisch". Allerdings muss Reitschuster selbst einräumen: "Belege dafür, dass die Anzeige in irgendeinem Zusammenhang mit der (...) 'Demo' steht, gibt es nicht." Ein "technisch versierter Leser" habe ihn darauf hingewiesen, dass im Quellcode der Seite tatsächlich das Jahr 2022 als Erscheinungsdatum vermerkt sei.

Doch so leicht will Reitschuster nicht locker lassen: "Andere Leser verwiesen indes darauf, dass man das Datum des Quellcodes auch nachträglich ändern könne", schreibt er. Die offizielle Richtigstellung des Portals JOBWRK, in der es heißt, dass die Anzeige bereits 2022 online gegangen ist, erwähnt der Blogger nicht. Dafür bezeichnet Reitschuster die Demonstrationen selbst - ohne Angaben von Quellen oder Argumenten - als "von der Regierung selbst zu ihrer eigenen Unterstützung und zur Ablenkung von den echten Protesten" initiiert. Die Kundgebungen seien lediglich als "'Demo gegen rechts' getarnt".

Reitschuster: Verschwörungstheorien und Fake-News während Corona

Boris Reitschuster war vor allem während der Corona-Pandemie durch die Verbreitung von Verschwörungstheorien bekannt geworden. Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, wurde er im März 2022 aus der Bundespressekonferenz (BPK), einer journalistischen Vereinigung, ausgeschlossen. Aus Reihen des Vereines wurden immer wieder Vorwürfe erhoben, dass Reitschuster die Pressekonferenzen der BPK als Plattform für die Verbreitung von Verschwörungsmythen missbraucht habe. Letztendlich waren sein Umzug und die damit einhergehende Verlegung seines Geschäftssitzes nach Montenegro ausschlaggebend für seinen Ausschluss, da diese nicht mit den Richtlinien der BPK vereinbar sind.

Die Plattform "Correctiv", die auch das geheime Treffen von Mitgliedern der AfD und der Werteunion enthüllt hat, berichtet über mehrere Fälle von Desinformation, deren sich Reitschuster während der Corona-Pandemie schuldig gemacht habe. So habe er fälschlicherweise berichtet, dass Ärzte Totenscheine fälschen würden, und dass - unter Berufung auf "führende Gesundheitsexperten" - die Sterberate in Israel wegen der Corona-Impfungen stark gestiegen sei.