Nürnberg - Es herrscht wieder Krieg im Nahen Osten: Mit einem breit angelegten Angriff hat die Hamas Israel überrascht. Eine schier ausweglose Lage, kommentiert NN-Chefredakteur Michael Husarek.

Seit Monaten ist die Lage im Nahen Osten spannungsgeladen. Auf der einen Seite haben israelische Siedler palästinensische Zivilisten im Westjordanland attackiert, wohlwissend, dass das auch mit rechtsradikalen Ministern besetzte Kabinett von Netanjahu nicht intervenieren würde. Israels Armee tat vielmehr ein Übriges, indem ein ums andere Militäroperationen ausgeübt wurden. Und im Gazastreifen hat vor allem die desaströse wirtschaftliche Lage zu einer Stimmung beigetragen, die am ehesten mit dem Begriff ausweglos beschrieben werden kann.

(231007) -- TEL AVIV, Oct. 7, 2023 -- This photo taken on Oct. 7, 2023 shows a building hit by a rocket in Tel Aviv, Isr
Ein durch Luftangriffe beschädigtes Gebäude in Tel Aviv. © IMAGO/Gideon Markowicz/JINI, IMAGO/Xinhua

All diese Punkte dürfen keinesfalls als Rechtfertigung für den brutalen Überfall der Hamas-Milizen auf Israel herangezogen werden. Für diesen mörderischen Angriff gibt es keine Legitimation. Allerdings verwundert es sehr, dass angesichts der latenten Unruhen Israels der ansonsten bestens informierte Geheimdienst derart überrascht wurde. Vielleicht war es die umstrittene Justizreform und die damit verbundene innenpolitische Fixierung, die der Hamas das Überraschungsmoment am jüdischen Feiertag Simchat Tora ermöglichen konnte.

Massive Raketenangriffe aus Gazastreifen auf Israel
Palästinenser verlassen einen Kibbuz in der Nähe des Zauns zum Gazastreifen. Die islamistische Hamas hat vom Gazastreifen aus Israel massiv aus der Luft, am Boden und von See aus angegriffen. «Bürger Israels, wir sind im Krieg», teilte Israels Ministerpräsident Netanjahu mit. © Hassan Eslaiah, dpa

Was nun passiert, dürfte einem vorhersehbaren Muster folgen: Israel wird sich mit aller militärischen Kraft wehren, Ministerpräsident Netanjahu hat den Kriegszustand bereits ausgerufen, ein israelischer Repräsentant sprach davon, die Hamas habe "die Tore zu Hölle" aufgestoßen. Im Nahen Osten sprechen somit fast auf den Tag 50 Jahre nach Ausbruch des Jom-Kippur-Krieges erneut die Waffen. Die Situation, die jetzt schon brandgefährlich ist, kann - das steht zu befürchten - weiter eskalieren: Wie werden sich die Israelfeinde an der libanesischen Grenze verhalten, lautet eine der bangen Fragen.

Massive Raketenangriffe aus Gazastreifen auf Israel
Blick auf ein Kraftwerk außerhalb von Ashkelon hinter dem Rauch aufsteigt. Die islamistische Hamas hat vom Gazastreifen aus Israel massiv aus der Luft, am Boden und von See aus angegriffen. © Ohad Zwigenberg, dpa

Es ist ein verabscheuungswürdiger, terroristischer Anschlag, den die Hamas in den Morgenstunden des Samstag ausgelöst hat. Mehrere Tausend Raketen wurden auf unschuldige Zivilisten abgefeuert, weit über 100 Tote und ein Zigfaches an Verletzten sind die Folge. Und es steht zu befürchten, dass es dieses Mal einen längeren Krieg geben könnte, als dies 1973 der Fall gewesen war. Damals vergingen nur wenige Wochen bis zur Waffenruhe. Am Ende könnten Tausende Menschen ihr Leben verlieren.

Wie auch immer dieser Konflikt verlaufen wird: Solange radikale Palästinenser das Selbstbestimmungsrecht Israels nicht akzeptieren, bleibt der Nahe Osten ein Pulverfass. Und solange Terroristen an den Erfolg kriegerischer Attacken glauben, wird es keinen Frieden für die Menschen in Israel, gleich ob sie sich der jüdischen, der palästinensischen oder welche Gruppierung auch immer zugehörig fühlen, geben. Alle Friedensbemühungen der vergangenen Jahre sind letztlich kläglich gescheitert. So lautet der traurige Befund zu Beginn des nächsten Nahost-Krieges.