
Seit einiger Zeit häufen sich die Berichte über Orcas, die Segelschiffe oder Yachten angreifen. Speziell vor Spaniens Küsten scheint eine Population der großen Meeressäuger das "Schiffe-versenken" regelrecht zum Nationalsport erhoben haben. Kürzlich sollen Segler in der Straße von Gibraltar sogar mit Feuerwerkskörpern auf Orcas geschossen haben, um ihr Boot zu verteidigen. Ganz anders verlief dagegen die Begegnung eines deutschen Ehepaars in der Nordsee mit einem der Wale.
Schreckmoment
Wie "yacht" berichtet, trafen die Segler im Skagerrak, einem Teil der Nordsee zwischen Jütland, Norwegen und der nördlichen Westküste Schwedens, auf einen einzelnen Orca. Zwar erlebte das Paar vor dem Hintergrund des medialen Echos der vermehrt auftretenden Angriffe einen kurzen Schreckmoment, der Orca, den die beiden sichteten, hatte allerdings keinerlei Absichten, das Boot zu attackieren.
Um das Tier nicht zu reizen oder neugierig zu machen und um so wenig Geräusche wie möglich zu erzeugen, schalteten die deutschen Segler nach Informationen von "t-online" den Autopiloten aus und ließen sich treiben.
"Magisches Schauspiel"
Das Schauspiel, das sich den seetüchtigen Eheleuten anschließend bot, entschädigte sie mehr als genug für den kurzen Schreckmoment. Mit der Kamera fingen sie das riesige Tier ein, wie es in einiger Entfernung zu ihrem Boot ausgelassen aus dem Wasser sprang.
Die Begegnung sei einfach nur "ein magisches Schauspiel" gewesen. Zweimal sei der Wal so durch die Wasseroberfläche gebrochen. Ein Erlebnis, das die beiden wohl nie mehr vergessen werden. Woher der einsame Orca kam, den sie in Anlehnung an den Film "Free Willy" auf den Namen "Willy" tauften, ist nicht geklärt.
Warum greifen Orcas Schiffe an?
Vorneweg: Bis heute ist laut "ADAC-Skipperportal" weltweit kein einziger Fall dokumentiert, in dem ein Schwertwal in freier Wildbahn einen Menschen angegriffen oder gar getötet hat. Seit Juli 2020 kommt es in der Straße von Gibraltar und vor der iberischen Atlantikküste bis nach Nordspanien allerdings immer wieder zu Orca-Attacken auf Boote. Wie die "stiftung-meeresschutz" schreibt, sind davon hauptsächlich Segelboote unter 15 m Länge betroffen. Motor- oder Fischerboote seien dagegen nur selten Ziele gewesen. Die Orcas zerstörten dabei meist gezielt das Ruder, um die Segelschiffe zu stoppen.
Warum die intelligenten Tiere plötzlich begannen, Boote zu demolieren, wird kontrovers diskutiert. Hinweise auf aggressives Verhalten sehen Forscher indessen nicht. In Fachkreisen spricht man daher nicht von "Angriffen", sondern von "Interaktionen". Gründe für das atypische Verhalten könnten Nahrungskonkurrenz mit Fischern oder zu intensive Whalewatching-Aktivitäten sein. Unter Umständen war auch ein Konflikt mit Fischern der Auslöser: Sehr zu deren Unmut bedienen sich die Schwertwale ganz gerne mal an den an Langleinen geköderten Thunfischen.
Schiffe-versenken - neues "Kulturgut" bei Orcas?
Offenbar avanciert das "Schiffe-versenken" inzwischen zu einer Art "Kulturgut" bei den iberischen Orcas. Die erwachsenen Tiere bringen das Verhalten den Jungen bei. Mehrmals seien Jungtiere während der "Interaktionen" dabei gewesen und hätten den Adulten zugesehen.
"Vieles spricht dafür, dass wir es hier mit einer kulturellen Entwicklung zu tun haben. Eine Kultur, die darin besteht, bestimmte Boote zu stoppen. Sie wissen genau, was sie dafür machen müssen. Es ist eine mehr als erstaunliche und faszinierende Intelligenzleistung und gleichzeitig ein Dilemma.", sagt der Biologe Ulrich Karlowski von der Deutschen Stiftung Meeresschutz. "Das Ganze hat sich anscheinend verselbstständigt. Der ursprüngliche Auslöser spielt wahrscheinlich keine Rolle mehr. Sie machen das, weil sie es können und weil es ihnen in irgendeiner Form Freude bereitet. Vielleicht trainieren sie mit diesen mehr als ungewöhnlichen Aktionen auch den sozialen Zusammenhalt oder es sind Koordinationsübungen, ähnlich wie beim Fußballtraining in Kleingruppen.", erklärt der Wissenschaftler weiter. "Es ist unbedingt notwendig, nicht-invasive Lösungen zu finden, damit Segler Begegnungen mit den vom Aussterben bedrohten Gibraltar-Orcas nicht mehr fürchten müssen."
