
Exakt 36 Schritte sind es vom Anfang dieser Gasse bis zu ihrem Ende. Start ist am Nürnberger Klarissenplatz, an dem das Neue Museum steht. Dessen geschwungener Glasfassade gegenüber, im linken Eck des Platzes, geht es wenige Treppenstufen nach unten. Dort beginnt die Gasse, führt vorbei am Hintereingang des Ibis-Hotels mit seinen vielen Satellitenschüsseln und einem Mobilfunkladen zur belebten Königstraße.
In Windeseile also hat man sie passiert, die neue Richard-Lindner-Gasse. Nürnberg dürfte kaum eine kürzere und kaum eine schäbigere Straße haben als diese. Sie ist so unbedeutend und so unscheinbar, dass dieses traurige Stück Niemandsland bislang ganz ohne Namen auskam, was keinen gestört hat.
Ausgerechnet diesen Ort nun nach einem der größten Künstler der Stadt zu benennen, das ist peinlich und unangemessen. Auf der Resterampe des Stadtplans zu landen, hat ein Weltstar der Kunst, ein moderner Klassiker wie Richard Lindner (1901-1978) nicht verdient.
Der jüdische Maler und Grafiker hat seine Jugendzeit in Nürnberg verbracht, wo seine Mutter ein Geschäft für Miederwaren führte, und sein Vater als Kaufmann tätig war. Ihr Sohn studierte an der Nürnberger Kunstgewerbeschule. 1933 verließ er Deutschland und gelangte über Stationen in Paris, Lyon und Lissabon 1941 in die USA.
Er zählt zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts und zu den Hauptvertretern der New Yorker Pop-Art. Ab Anfang der 1950er Jahre machte Lindner steile Karriere: Bereits 1954 hatte er seine erste Einzelausstellung in einer New Yorker Galerie, 1960 bekam er eine Kunstprofessur, 1962 erwarb das Museum of Modern Art in New York das erste Gemälde Lindners.
Sein Bild "Telephone" ist einer der Schätze im Neuen Museum in Nürnberg. Das Werk ist so wichtig und unverzichtbar für das Haus, dass es immer ausgestellt und bei allen Wechseln in der Dauerausstellung nie ins Depot gelegt wird. Für 290000 Mark wurde das Bild 1975 erworben. Es war der bis dahin teuerste Kunstankauf der Stadt Nürnberg. Neben zahlreichen Grafiken besitzt das Neue Museum auch noch das "Doppelporträt Ludwig II" Lindners. Seine Gemälde sind Ikonen der Kunst und Aushängeschilder des Nürnberger Museums.
Natürlich war die Nähe zu dem Haus, wo seine Werke hängen, ausschlaggebend für die Benennung der Gasse nach dem Künstler. Im März 2018 hatte die CSU-Stadtratsfraktion in Person des heutigen Oberbürgermeisters Marcus König den Antrag zur Namensgebung gestellt. Im April 2020 wurde der Beschluss im Stadtrat gefasst, nun steht Richard Lindners Name Weiß auf Blau am Ein- und Ausgang zur Gasse. "Wir haben davon nichts gewusst und es erst kürzlich entdeckt", heißt es aus dem Museum. Ein echter Schild-Bürgerstreich!



