
In den letzten Wochen vor dem Ende des Schuljahres finden sie statt, die Zeugniskonferenzen. Gerade beraten Klassen- sowie Fachlehrkräfte gemeinsam über die Beurteilung jedes einzelnen Schülers und jeder Schülerin. Kein einfaches Unterfangen in einem Schuljahr, das zu großen Teilen im Homeschooling stattfand, von Schule zu Schule anders verlief und in dem weit weniger benotete Leistungsnachweise die Basis bilden. Es fehlen valide Zahlen.
Deshalb kann es sogar sein, dass in dem ein oder anderen Fach in Grund- oder Mittelschulen anstelle der Ziffer Striche zu sehen sind. Seine Grundschullehrkräfte hat das Kultusministerium im Schreiben vom 10. Juni an den Paragrafen 15 der Grundschulordnung hingewiesen: Sollten die Leistungsnachweise nicht ausreichen bzw. konnten sie nicht erbracht werden, könnte nach pädagogischem Ermessen auch keine Zeugnisnote vergeben werden. Dann wird im Jahreszeugnis folgende Bemerkung zu finden sein: "Im Fach ... war die Bildung einer belastbaren Jahresfortgangsnote nicht möglich."
Wie gut ist Bayern auf das neue Schuljahr vorbereitet?
Auch in der Mittelschulordnung findet sich eine solche Regelung. Die Pressestelle des Kultusministeriums betont: "Diese Regelungen sind fester Bestandteil der Schulordnungen und keine Anpassung auf den Unterrichtsbetrieb in diesem Schuljahr." Dagegen sagen Verbände wie der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband BLLV sowie der Nürnberger Lehrerinnen- und Lehrerverein NLLV, das Kultusministerium habe für Grundschulen erst auf deren Drängen zugestanden. dass auf die Note verzichtet werden könne.
Anders verhält es sich bei Realschulen und Gymnasien. Hier sei, so das Kultusministerium, "die Festsetzung einer Zeugnisnote in den allermeisten Fällen möglich. Die Entscheidung über das Vorrücken wird auf dieser Basis getroffen."
Die Frage allerdings ist: Welche Relevanz können Noten nach diesem Schuljahr überhaupt haben? "Viel wichtiger als die Aussagekraft der Zeugnisnote sind die begleitenden Gespräche, die Eltern und Lehrkräfte unbedingt und intensiver als sonst führen sollten", rät etwa Michael Schwägerl vom bayerischen Philologenverband.
Reinhard Zehnter, Leiter der Staatlichen Schulberatung Mittelfranken, stimmt ihm zu: "Nehmen Sie Gesprächstermine in Anspruch. Fach- und Klassenlehrkräfte können am besten einschätzen, was Ihr Kind für das neue Schuljahr mitbringt und ob das reicht. Beratungslehrkräfte oder Schulpsychologen und Schulpsychologinnen helfen darüber hinaus. Zum Beispiel, ob ein Schulartwechsel sinnvoll ist oder wenn es psychische Probleme gibt. Sie beraten neutral, vertraulich, kostenlos und ergebnisoffen."
In Bayern ist für jede Schule je ein Schulpsychologe/eine Schulpsychologin (Mittelfranken: 170 / Bayern 960 Personen) sowie eine Beratungslehrkraft (Mittelfranken: 370 / Bayern: 1800 Personen) zuständig. Der Kontakt zur jeweiligen Schule vor Ort ist über die Homepage der Schule einsehbar. Hier geht es auf die Seite der Staatlichen Schulberatung in Bayern.
Falls feststeht, dass das Ziel der Jahrgangsstufe nicht erreicht wurde, gibt es in diesem Jahr viele Möglichkeiten: Schüler und Schülerinnen könnten freiwillig wiederholen, selbst zum zweiten Mal; sie könnten am Förderprogramm "gemeinsam.Brücken.bauen" teilnehmen oder in betreffenden Fächern eine Nachprüfung absolvieren, die gegen Ende der Sommerferien in den Schulen stattfinden; sie könnten auf Probe vorrücken, wenn die Zeugniskonferenz zustimmt. "Ich gehe davon aus, dass Lehrkräfte in diesem Jahr eher großzügig entscheiden", sagt Reinhard Zehnter.
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Denn schwerer noch als der Leistungsrückstand wiegt die verloren gegangene Sozialkompetenz. Darin sind sich alle Gesprächspartner einig. "Viele haben soziales Verhalten komplett verlernt", sagt Claus Binder, Personalrat der Stadt Fürth und Leiter der Mittelschule Soldnerstraße. "Ich schätze, zehn Prozent der Jugendlichen sind in den sechs Monaten Distanzunterricht total versumpft."
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NLLV-Mitglied Claudia Nußmann kritisiert, dass nicht wenigstens in den zweiten und dritten Grundschulklassen komplett auf Noten verzichtet wurde. Denn auch hier müssen die Kinder vor allem erst einmal den Schulbetrieb neu lernen, ankommen und wieder zusammenfinden. Lehrkräfte wiederum brauchen Zeit, um etwa abzuklären, welche Kinder eine Lese- und Rechtschreibschwäche haben. All das konnte bislang nicht beobachtet werden. "Diese Beobachtungen können nur in der Schule gemacht werden. Aber das passiert gerade nebenher - oder gar nicht. Die Bildungsungerechtigkeit, die immer größer wird, bereitet mir große Bauchschmerzen."
Klassenfahrten, Ausflüge, Wandertage, Gruppenarbeiten - gemeinsames Erleben sollte jetzt und auch im nächsten Schuljahr im Fokus stehen, sagt Mittelfrankens oberster Schulberater Reinhard Zehnter. Seine erschreckende Wirkung hat der Blaue Brief ohnehin längst verloren. "Als ich vor 14 Jahren in der Staatlichen Schulberatungsstelle angefangen habe, war hier am Zeugnistag die Hölle los", erinnert sich Zehnter. "Das ist heute zum Glück überhaupt nicht mehr so. Weil alles schon vorher besprochen wurde."
