
Vor zwei Wochen wurde die Katze aus dem Sack gelassen: Das Haus Rafael in Erlangen schließt zum Jahresende. Die Caritas Erlangen/Erlangen-Höchstadt betreibt die Übergangseinrichtung für Menschen mit Psychose und Sucht oder mit psychischer Erkrankung in der Hammerbacherstraße, neben dem Pflege- und Seniorenheim Roncallistift. Im Haus Rafael werden stationäre Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt mit dem Ziel der sozialen und beruflichen Wiedereingliederung. Seit den 1980er Jahren gibt es die Einrichtung. Zunächst befand sie sich in Büchenbach, 2007 zog sie in das neu gebaute Haus im Erlanger Süden um. 24 Plätze gibt es in dem Haus selbst, hinzu kommen sieben WG-Plätze in Außenwohngruppen.
Nun soll es das Haus bald nicht mehr geben. Die Homepage wurde bereits aus dem Netz genommen, noch bevor die Bewohner am 10. Juni von der Geschäftsleitung über die Schließung informiert wurden.
Die Mitteilung sei ein Schock gewesen, sagt ein Rehabilitand. Komplett aus der Bahn geworfen habe ihn das, ergänzt ein anderer. Bestürzt reagiert auch Ingrid Geier, Vorsitzende des Vereins Angehörige und Freunde psychisch Kranker in Mittelfranken (ApK). "Das Haus Rafael ist eine Institution in Erlangen und der Umgebung", sagt sie. "Die Schließung sehen wir mit großer Sorge." Diese Sorge ist umso größer, da sie weiß, dass die psychischen Erkrankungen während der Pandemie auffällig zugenommen haben.
"Zu wenig geeignete Rehabilitanden"
In einer Pressemitteilung des Caritasverbandes für die Stadt Erlangen und den Landkreis Erlangen-Höchstadt heißt es, dass das Haus Rafael den Betrieb aus "wirtschaftlichen Gründen" einstellen muss. Die Rehabilitationseinrichtung könne den von der Rentenversicherung neu auferlegten Maßnahmen zukünftig nicht mehr Folge leisten. Ein wesentlicher Grund hierfür sei die Anhebung der Fördervoraussetzungen und die damit einhergehende Vorgabe, nur noch Maßnahmen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation zu finanzieren. Da diese Richtlinien seitens des Caritasverbandes wirtschaftlich und strukturell nicht zu realisieren seien, müsse die Arbeit des „Haus Rafael“ niedergelegt werden.
In den letzten Wochen und Monaten sei ausgiebig versucht worden, eine alternative Finanzierungsgrundlage für die Erhaltung der Einrichtung ausfindig zu machen, heißt es in der Pressemitteilung weiter. „Eine Weiterführung des Betriebes mit den Bezirken als alleinige Kostenträger scheiterte jedoch an der Anzahl geeigneter Rehabilitanden für diese Maßnahme“ wird Markus Beck, Geschäftsführer des Caritasverbandes, zitiert. Für ein Gespräch mit den Erlanger Nachrichten steht er nicht zur Verfügung, sondern verweist an Pia Herrmann, Spartenleitung Psychiatrische Versorgung. "Wir haben keinen gemeinsamen Weg zwischen allen Beteiligten gefunden, das Haus neu aufzustellen", sagt sie. Die Beteiligten: Das seien die Mitarbeiter, der Träger, der Bezirk, die gesetzlichen Vorgaben. Auch die Rentenversicherung und die Krankenkassen gehören dazu.
Alle Möglichkeiten ausgeschöpft?
Dass von Seiten des Trägers wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, um die Einrichtung zu erhalten, darüber werden im Umfeld der Einrichtung allerdings Zweifel laut. Die Antworten auf eine Nachfrage der Erlanger Nachrichten bei der Pressestelle des Bezirks Mittelfranken können diese Zweifel nicht beheben.
Ende 2020/Anfang 2021 habe es beim Sozialreferat des Bezirks einen Kontakt gegeben, bei dem es um die Zukunft des Hauses ging, heißt es. "Dann hat man bei uns nichts mehr gehört." Am 31. Mai sei dann ein Schreiben eingegangen, in dem die Schließung bekannt gegeben wurde. Danach habe es noch einen Kontakt gegeben, wo es hieß, dass der Träger wieder auf den Bezirk zukommen wird.
"Nicht leistbar": ein Arzt rund um die Uhr
Die Übergangseinrichtung, in der - wie die Caritas selbst formuliert - Menschen "an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teilnehmen", habe die medizinische Rehabilitation aber nicht als Schwerpunkt, sondern vielmehr die soziale Rehabilitation, sagt Pia Herrmann. Für den Schwerpunkt "medizinische Rehabilitation" müsse man laut Rentenversicherung rund um die Uhr einen Arzt im Haus haben. Das, so Herrmann, würde heißen, dass die Caritas drei Ärzte anstellen müsste - und dies sei nicht leistbar.
Für 18 Menschen ist das Haus Rafael derzeit noch das Zuhause, das ihnen Stabilität verleihen und den Weg aus ihrer Krankheit zurück ins normale Leben ermöglichen soll. Durch ihre Erkrankung sind sie angeschlagen, labil, manche auch suizidgefährdet. Von einer "Hau-Ruck-Aktion" wird im Umfeld der Einrichtung im Hinblick auf die Schließung gesprochen. Man sei dabei, geeignete Anschlussmaßnahmen für die Rehabilitanden zu finden, sagt Herrmann. Niemand werde auf der Straße sitzen gelassen.
Eine Psychologin, mehrere Sozialpädagogen und Arbeitstherapeuten stehen den Rehabilitanden im Haus Rafael normalerweise zur Seite. Doch aus dem Umfeld ist zu erfahren, dass mehrere Mitarbeiter bereits Ende August gehen. Deshalb macht sich die Befürchtung breit, dass schon im September Schluss sein könnte statt wie angekündigt Ende Dezember. Die Leitung hatte das Haus Rafael bereits Anfang des Jahres verlassen, seitdem gibt es laut Herrmann eine Interimsleitung.
"Für mich sehr belastend"
Die Arbeitstherapien werden bei der Caritec in Erlangen durchgeführt. „Unsere Verträge sind auf zwei Jahre ausgelegt“, sagen mehrere Rehabilitanden im Gespräch mit diesem Medienhaus. Nun sei unklar, wie es weitergehe. Seit dem Gespräch mit der Geschäftsleitung habe sich bei den Bewohnern des Hauses Rafael eine panikartige Stimmung breit gemacht. „Es ist für mich sehr belastend“, sagt ein Bewohner. Er spricht damit aus, wie es allen geht. Das Zuhause auf Zeit ist bald weg - und all das, was helfen sollte. Erst noch im April war ein Rehabilitand aufgenommen worden. "Ein Härtefall", sagt Pia Herrmann, man habe deshalb eine Ausnahme gemacht, auch wenn man seit Jahresanfang eigentlich niemanden mehr hätte aufnehmen sollen, "wenn man weiß, dass man da nicht weitermacht". Man lasse die Verträge auslaufen.
Der Rehabilitand, der im April aufgenommen wurde, habe daheim seinen Job und seine Wohnung aufgegeben, damit er die Therapie anfangen kann, ist aus dem Kreis der Rehabilitanden zu vernehmen. Jetzt habe er erfahren, „dass es aufhört“. Aber: Hier komme doch jeder her in der Hoffnung, „dass es besser wird und dass einem geholfen wird“.
Defizit im sozialen Netz
Sehr betroffen über die Schließung äußert sich auch die Erlanger Bezirksrätin Gisela Niclas (SPD). "Es ist zu bedauern, dass aus dem sozialen Netz ein großes Stück herausgeschnitten wird und im Moment noch nicht klar ist, wie das Defizit ausgeglichen wird." Im Sozialausschuss des Bezirkstages hat sie eine Dringlichkeitsanfrage hinsichtlich der Schließung gestellt. Die Plätze seien Bestandteil des festgelegten Bedarfskonzeptes zur Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen im Sozialraum Erlangen-Höchstadt und darüber hinaus, argumentiert sie. Die Antworten soll es in der Septembersitzung geben.