
Üblicherweise beginnt diese spezielle Geschichte aus dem Markt Buttenheim im Landkreis Bamberg mit der immer etwas ominös umschriebenen "Dame aus Milwaukee", sehr gelegentlich fällt auch ihr Name: Betty Gruenwald. Viel mehr geben die Archive nicht her, die meisten Zeitzeugen leben nicht mehr. Wer etwas länger sucht und dabei auf die freundliche Hilfe des Zufalls vertraut, kann die Geschichte mit diesem Satz beginnen: "Ja, es waren komische Zufälle, die zu einem so schönen Ergebnis geführt haben."
Das sagt: die Dame aus Milwaukee. Sie heißt heute Betty Steeger, lebt in Dortmund, ist 86 Jahre alt und sehr vital. Zu Besuch in Buttenheim war sie auch schon und hat sich sehr über das schöne Levi-Strauss-Museum gefreut, das es ohne ihre – damals unbewusste – Mithilfe gar nicht geben würde. "Ein bisschen verrückt", sagt sie, "ist die Geschichte schon."
Die Tochter mit zerschlissenen Jeans
Sie beginnt 1983 in Milwaukee. Weil die Tochter von Betty Gruenwald gern zerschlissene Jeans trägt, will die Mutter mehr darüber wissen, und was lag näher, als mit dem Erfinder der Jeans anzufangen. Wo der hergekommen war, wusste man in Amerika. Also schickte sie jenen oft zitierten Brief nach Buttenheim, in dem sie um ein paar Unterlagen zu Levi Strauss bat – das würde, dachte sie, ganz gut zu einer kleinen Ausstellung über deutsche Auswanderer passen, die Betty Gruenwald zum jährlichen "German Fest" vorbereitete.
Im Buttenheimer Rathaus war die Verwunderung groß. Dort kannten sie zwar Levi Strauss, den weltberühmten Erfinder der Blue Jeans, bloß: Was hatte der denn mit Buttenheim zu tun? "Zum Glück", sagt Betty Steeger, "war Herr Kauer sofort sehr interessiert." Fritz Kauer fand zwar in der Gemeinde keine Unterlagen mehr, aber das Staatsarchiv Bamberg konnte helfen – und, tatsächlich, Buttenheim hatte einen großen Sohn, ohne davon die geringste Ahnung gehabt zu haben.
Vielleicht auch hier?
"Als Bürgermeister freue ich mich natürlich sehr, dass so eine weltweit bekannte Persönlichkeit wie Jeanskönig Levi Strauss, dessen Hosen vielleicht auch hier getragen werden, in Buttenheim das Licht der Welt erblickte", schrieb also Fritz Kauer an Betty Gruenwald, die, in München geboren, selbst zur großen deutschen Auswanderer-Gemeinde im US-Bundesstaat Wisconsin gehörte. Ihr Vater war im Krieg gefallen, sie war 16 Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter, die ein neues Leben beginnen wollte, 1950 nach Milwaukee zog.
Löb Strauß, geboren 1829 in Buttenheim als Sohn des jüdischen Hausierers Hirsch Strauß, war es gut 100 Jahre zuvor ähnlich gegangen. Der Vater war früh gestorben – sein Grab findet man auf dem jüdischen Friedhof etwas außerhalb des Dorfes –, die Familie lebte in Armut und Enge im Untergeschoss des Hauses in der Marktstraße 33, bis seine Mutter Rebecca mit Löb und dessen zwei Schwestern 1847 nach New York übersiedelte, wo bereits zwei ihrer Söhne lebten.
Die berühmteste Hose der Welt
Der Rest der Geschichte ist bekannt. Löb Strauß wurde Levi Strauss, er folgte dem Goldrausch nach San Francisco – nicht als Glücksritter, sondern als Textilhändler, die Goldsucher brauchten strapazierfähige Hosen. Der robuste Baumwoll-Hanffaserstoff, die Nieten, das Indigo-Blau: Fertig waren die Waist Overalls, wie sie zunächst hießen, und über Nacht ein Welterfolg. Die Levi´s 501 wurde die berühmteste Hose der Welt. Als Levi Strauss 1902 starb, hinterließ er ein Vermögen von sechs Milliarden Dollar. Das ist natürlich nur die Kurzfassung.
Tanja Roppelt trägt Jeans. Privat, sozusagen aber auch dienstlich. Sie ist, seit dem ersten Tag, die Leiterin des Levi-Strauss-Museums, das im Jahr 2000 in Levis Geburtshaus einzog. Es ist eines der ältesten Häuser der schönen Gemeinde, erbaut 1687, es stand vor dem Abriss, als der Brief von Betty Gruenwald eintraf. Heute ist es wunderbar renoviert und ein Blickfang wie das Schloss und die eindrucksvolle Pfarrkirche St. Nikolaus, die auf Anordnung Kaiser Karls des Großen erbaut wurde – als sogenannte Slawenkirche. Im Frühmittelalter siedelten slawische Stämme im Regnitzgrund, die der Kaiser zu missionieren gedachte.
Die digitale Jeans
Auf mehreren Etagen des liebevoll kuratierten Museums wird die Geschichte von Levi Strauss lebendig – bis in die digitale Gegenwart hinein, tatsächlich gibt es längst das in die Hose integrierte Smartphone. Die Besucher, erzählt die in Baunach bei Bamberg aufgewachsene promovierte Geographin Tanja Roppelt, kommen aus aller Welt, bis zu 15 000 sind es pro Jahr.
Man sieht eine von Papst Franziskus für das Museum signierte Hose oder – in der Abteilung DDR – die Jeansjacke, die Lothar Moritz in einem Westpaket nach Leuna geschickt bekam. Internationale Künstler stellen im Museum aus, gerade arbeitet Tanja Roppelt an einer Themen-Schau zum ehemals reichen jüdischen Leben in Buttenheim. Man kann hier sogar heiraten, etwa zwei Dutzend Paare tun es jährlich.
Die Zusammenarbeit mit dem Konzern in San Francisco ist eng, Levi´s gehört zu den Förderern des Museums. "Es ist ein Wissenstransfer, der sich mit Geld nicht bezahlen lässt", sagt Bürgermeister Michael Karmann, der vor zwei Jahren gemeinsam mit Tanja Roppelt die Leví’s-Zentrale besuchte und beeindruckt war, "wie sehr wir willkommen waren, obwohl wir ja nur aus einem kleinen Dorf kamen". "Unser Alleinstellungsmerkmal" nennt Michael Karmann das Museum, manchmal, sagt er, "überlegt man dann schon, was Levi wohl heute zu seiner Buttenheimer Heimat sagen würde."
Die besonderen Goldgräber
Und Goldgräber gibt es ja noch immer, sogar hier im Fränkischen – oder zumindest Schatzsucher, wobei diese speziellen Schätze noch viel, viel älter sind als die Jeans, rund 180 Millionen Jahre älter. Etwas außerhalb der Gemeinde – hinter den beiden einladenden Bierkellern der Löwen- und der Sankt-Georgen-Bräu – liegt die Tongrube, auch hier trifft man eine Berühmtheit: den Schneckenhannes.
Der heißt bürgerlich Johann Schobert, ist 63 Jahre alt, pensionierter Dreher – und seit Jahrzehnten fast täglich in jener Grube unterwegs, in der die Firma Liapor Ton abbaut. Seinen Namen findet man in unzähligen wissenschaftlichen Publikationen, die "Palaega johann-schoberti" zum Beispiel, eine fossile Assel, ist nach ihm benannt, wie Dutzende andere Fossiien, die er in Buttenheim gefunden hat – "ich kann sie gar nicht mehr alle aufzählen", sagt der Schneckenhannes.
"Ein gutes Auge"
"Er hat Erfahrung und sein sehr gutes Auge", sagt Alexander Nützel über Johann Schobert, ein "Glücksfall" sei der Scheckenhannes, "für uns sind solche Sammler unverzichtbar." Alexander Nützel, aufgewachsen in Rothenburg ob der Tauber, ist Professor für Paläontologie und kuratiert die Bayerische Staatssammlung in München, wo es einen "Schobert-Schrank" gibt. Nützel, der die Grube seit seinen Kindetagen kennt, gehört zu den vielen Professoren aus aller Welt, mit denen der Scheckenhannes einen engen Austausch pflegt, Johann Schobert zeigt gern die Bilder von Koryphäen aus Japan, den USA, Indien. Sie alle führte er durch die Grube, man versteht sich – "obwohl ich nur Fränkisch kann und ein bisschen Deutsch", wie Schobert sagt.
Johann Schobert, ein sehr netter Gastgeber, hat in sein Steinreich, wie er es nennt, eingeladen, im Keller seines Hauses in Hirschaid sitzt er oft stundenlang am alten russischen Mikroskop, das er in der Grube gegen ein paar schöne Ammoniten eingetauscht hat. Er filtert winzige Haifischzähnchen aus dem Staub, in den Regalen: Saurierwirbel, armdicke Knochen, winzige Muscheln (die "Nicaniella schoberti" misst nur zwei Millimeter), Seeigel, Krebse, Schnecken. Was man hört: Neben dem Fränkischen und dem Deutschen beherrscht Johann Schobert das Lateinische fließend.
Woher der Forschername kommt
Über eine Mineralienbörse, die er mit seinen drei Kindern besuchte, entdeckte er 1994 seine Leidenschaft, seinen Forschernamen hat ihm seine Frau gegeben – er freut sich, wenn ihn auch die Kinder und Jugendlichen, die in am Wochenende Scharen zur Tongrube kommen (die Genehmigung dazu erteilt die Firma Liapor auf Anfrage), als den Schneckenhannes erkennen. Nach besonders schönen Tagen trinkt er gern ein Bier auf einem der alten Keller.
Die hat Betty Steeger auch schon besucht. Zurückgekehrt nach Deutschland ist sie der Liebe wegen, ihren Mann lernte sie kennen, als der mit seiner Musikgruppe durch die USA zog. Nach Buttenheim zu kommen, sagt sie, sei sehr berührend gewesen, bloß Jeans trägt sie schon immer eher ungern. "Ich bin ja", sagt Betty Steeger und lacht, "etwas robuster gebaut." Die Dame aus Milwaukee – eine, sagt Tanja Roppelt, "ganz wunderbare Frau".
