
Das Buttermachen sei so toll gewesen, sagt Ingeborg Lau. Wenn die 74-Jährige davon erzählt, fangen ihre Augen zu leuchten an - nicht nur, weil ihr der selbstgemachte Brotaufstrich so gut geschmeckt hat, sondern auch, weil die Gruppenaktion endlich mal wieder ein Stück Normalität in den Alltag zurück gebracht hat. Einfach mal mit den Nachbarinnen zusammensitzen, gemeinsam etwas tun oder über Gott und die Welt reden - was vorher in dem Haus des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Erlenstegen selbstverständlich war, war über Wochen hinweg nicht möglich.
Annette Müller, stellvertretende Einrichtungsleiterin des Albert-Schweitzer-Stifts, weiß noch genau, wann es los ging. "Zum Jahreswechsel hatten wir den ersten Corona-Fall." Sämtliche Mitarbeiter und alle Bewohner - die meisten leben noch relativ selbstständig im "Betreuten Wohnen" in eigenen Wohnungen - wurden daraufhin getestet und vorübergehend ein Besuchsverbot verhängt.
Unter denen, die erkrankten, waren auch Ingeborg Lau und ihr Mann. "Das war eine sehr schlimme Zeit", sagt Lau, die ihren Partner an die Krankheit verloren hat. Dass sie ihn nur kurz vor seinem Tod noch einmal sehen konnte, macht der Nürnbergerin schwer zu schaffen. Drei Wochen lang waren die beiden getrennt, "wenigstens habe ich mich noch von ihm verabschieden können". Auch dass er, seinem Wunsch entsprechend, im Heim sterben durfte, ist für sie ein Trost. "In unserem Haus wird alles getan, was machbar ist", sagt Lau.
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Das gilt auch für die schrittweise Rückkehr in einen halbwegs normalen Alltag. Seit Kurzem können die Bewohner wieder zu zweit im hauseigenen Restaurant speisen, auch Besucher sind dort willkommen. Sogar ein kleines Fest habe vor wenigen Tagen schon stattfinden können, sagt Müller. "Man kann jetzt wieder ein bisschen aufatmen", findet Franz Baumann, ein Nachbar von Ingeborg Lau.
Dennoch kann in den Senioreneinrichtungen von einer Normalität, wie sie vor Corona üblich war, noch keine Rede sein. Nach wie vor sind außerhalb von Einzelzimmern oder eigenen Wohnungen FFP2-Masken Pflicht, Besucher dürfen nur mit negativem Test ins Haus. Erst seit wenigen Tagen nimmt die Bayerische Infektionsschutzordnung vollständig Geimpfte und Genesene von der Testpflicht aus. "Sehr gut" sei diese Neuerung, weil sie auch die Mitarbeiter entlaste, sagt der Chef des städtischen NürnbergStifts, Michael Pflügner. Er wünscht sich eine breite Debatte darüber, wie die Heime mit der aktuellen Situation umgehen sollen.
Mit einer Arbeitsgruppe, der auch mehrere Mediziner des Klinikums Nürnberg angehörten, hat Pflügner eine Diskussionsgrundlage dafür erarbeitet. Das Papier enthält Handlungsempfehlungen, die jetzt in den Häusern des NürnbergStifts in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt umgesetzt werden sollen - von Besuchsregelungen bis hin zur Organisation von Gruppenaktivitäten. Im Blick haben die Autoren aber auch ein sogenanntes "Geriatrisches Assessment". Denn die Pandemie hat nicht nur unmittelbar viele Opfer gefordert, zwei Drittel der in Nürnberg an Corona Verstorbenen waren Bewohner von Pflegeheimen. Sie hat auch bei denen, die sich nicht infiziert haben, viele Spuren hinterlassen.
Depressionen und Muskelabbau
"Die Menschen haben gelitten", betont Pflügner. Depressionen, Muskelabbau, die Verschlimmerung einer Demenz - auch das seien Folgen der Pandemie, die beachtet werden müssten. Deshalb brauche es Checklisten, mit denen die Beschwerden erfasst werden können und zusätzliche Therapien, um die Mobilität der Menschen wieder zu verbessern und ihre Psyche zu stabilisieren. Das Papier, so Pflügner, solle aber auch dabei helfen, die allgemeine Verunsicherung aufzulösen. Noch immer ist die Angst da, dass die Infektion wieder ausbrechen könnte, mögliche Lockerungen sollten deshalb auch aus Sicht der
Nürnberger Experten an die Impfquoten geknüpft sein. Sie fordern sogar eine Impfpflicht für die Mitarbeiter, zum Schutz der Bewohner, für die die Erkrankung so oft tödlich verläuft. Mittlerweile gebe es etliche Leerstände in den städtischen Heimen, so Pflügner - auch, "weil vielleicht das Vertrauen in die Heime gelitten hat".
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Für Senioren und Angehörige, die geimpft sind, wünschen sich die Fachleute eine Lockerung bei Maskenpflicht und Abstandsgebot. "Warum", so fragt Pflügner, "soll jemand, der geimpft ist, nicht Mama oder Papa wieder umarmen dürfen?" Denn auch die Nähe sei substantiell fürs Wohlbefinden. Noch aber lassen die Vorgaben des Freistaates hier keine Änderung zu. Auch im Albert-Schweitzer-Stift sind FFP2-Masken deshalb weiter in allen öffentlichen Räumen Pflicht. "Das gibt uns eine gewisse Sicherheit", sagt Annette Müller. "Nicht angenehm, aber richtig" finden es Lau und Baumann, die es sich gerade auf der Terrasse mit Blick in den parkähnlichen Garten gemütlich gemacht haben.
Hier sind keine Masken nötig, in der warmen Frühlingssonne ist die Pandemie für einen Moment ganz weit weg. Doch auch wenn er jetzt geimpft sei, trauere er dem verlorenen Jahr noch nach, sagt der 90 Jahre alte Baumann. "Ich weiß ja nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt. Und nachholen kann ich leider nichts."