Nürnberg - Autofahren ohne Fahrer: Wenn da ein Unfall passiert, sorgt das für Schlagzeilen - doch die Technik macht weniger Fehler als der Mensch. Deutschland bekommt nun ein Gesetz, das den rechtlichen Rahmen des automatisierten Fahrens regelt. Experten haben schon recht genaue Vorstellungen davon, wann und wo solche Fahrzeuge zum Einsatz kommen.

Die Zukunft rückt näher: Der Bundestag hat ein Gesetz verabschiedet, das die Zulassung des automatisierten Fahrens in Deutschland regelt. Doch ist die Erinnerung noch frisch an den tödlichen Unfall im April mit einem Tesla in Texas: Das Fahrzeug prallte gegen einen Baum, der Polizei zufolge saß offenbar niemand am Steuer. Und so wird die öffentliche Debatte oft stärker durch Unfälle geprägt als durch Erfolge und Chancen. Machen Rückschläge die Fortschritte zunichte, oder steht die neue Ära des Autofahrens unmittelbar bevor? Und wie sicher wird sie sein?

Wann und wo es richtig losgeht, das ist aus Sicht der meisten Fachleute vor allem eine wirtschaftliche Frage. „Der Einsatz automatisierter Fahrzeuge wird zuerst dort erfolgen, wo ein klarer Kostenvorteil oder Kundennutzen realisierbar ist“, so die Einschätzung von Prof. Markus Lienkamp vom Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik an der Technischen Universität München. „So wäre beispielsweise die Verbindung zweier Logistikzentren mittels automatisierter LKW ein denkbares Szenario. Aber auch der Einsatz von Robotaxis oder automatisierten Bussen zur Personenbeförderung.“

Schon seit 2015 wird das automatisierte Fahren auf einer digitalen Teststrecke zwischen Ingolstadt und München auf der A9 erforscht, der erste fahrerlose Elektrobus war 2017 im niederbayerischen Bad Birnbach im Einsatz. In Karlsruhe fahren im Rahmen eines Forschungsprojekts nun gleich drei Minibusse autonom im normalen Straßenverkehr mit – allerdings nur mit Tempo 20 auf ausgewählten Strecken, und zur Sicherheit ist immer ein Fahrer an Bord. Trotz solcher Pilotprojekte im innerstädtischen Verkehr sieht Lienkamp den entscheidenden nächsten Schritt in der Automatisierung des Güterverkehrs.

Der Stadtverkehr ist heikel

Ramin Tavakoli Kolagari von der Technischen Hochschule Nürnberg rechnet ebenfalls damit, dass das autonome Fahren in absehbarer Zeit noch kein großes Thema für die deutschen Innenstädte sein wird: „Für das Fahren auf der Autobahn sind die Fahrzeuge aktuell schon geeignet, für komplexere Strecken wie Überlandfahrten oder den allgemeinen Stadtverkehr nicht, da kommen nur gut abgrenzbare Bereiche in Frage“, sagt der Professor mit dem Fachgebiet Softwareentwicklung für sichere und autonome Fahrzeugsysteme. Während auf der Autobahn relativ wenige Regeln beachtet werden müssen, ist die Situation in Innenstädten wesentlich komplizierter – und die Art der Verkehrsteilnehmer auch viel unterschiedlicher.

„Die aus meiner Sicht zentrale Herausforderung liegt im Nachweis hinreichender Sicherheit“, betont Prof. Christoph Stiller, Leiter des Instituts für Mess- und Regelungstechnik am Karlsruher Institut für Technologie: „Nach allem, was man dem heutigen Stand der Forschung entnehmen kann, ist es sehr wahrscheinlich, dass automatisches Fahren in einigen Jahren viel sicherer sein wird als unser heutiger Straßenverkehr. Insofern muss eine Zulassung verantwortungsbewusst vorangetrieben werden, denn sowohl eine verfrühte als auch eine verspätete Einführung kostet unnötig Menschenleben.“

Ziel: Null Verkehrstote im Jahr 2050

Bei der Sicherheit gibt es die „Vision Zero“, erklärt Tavakoli: „Damit wird das EU-weite Ziel bezeichnet, im Jahr 2050 Null Verkehrstote auf den europäischen Straßen zu haben. Wir wollen unsere Mobilität nicht mehr mit Toten erkaufen – momentan machen wir das ja.“ Auch wenn Unfälle mit zumindest teilweise automatisierten Fahrzeugen Schlagzeilen produzieren, dürfte sich dem Nürnberger Wissenschaftler zufolge doch insgesamt die Sicherheit erhöhen, wenn der Mensch die Kontrolle über Lenkrad und Bremse abgibt: „90 Prozent aller Unfälle sind durch menschliche Fehler zu erklären. Und die Analyse von mittlerweile Millionen von Kilometern, die mit dem Autopiloten gefahren wurden, zeigt: Es gibt weniger Unfälle im Vergleich mit den von Menschen auf Autobahnen verursachten Unfällen.“

Allerdings wird es trotz des technischen Fortschritts auch in Zukunft weiterhin Unfälle geben: „Auch wenn ein Auto zu hundert Prozent sicher autonom fährt, alle Regeln einhält, sich mit einer cleveren Infrastruktur und anderen autonomen Autos austauscht, so gibt es auf den Straßen immer noch Verkehrsteilnehmer, die nicht Teil dieses Verbunds sind – Radfahrer, Fußgänger oder ballspielende Kinder zum Beispiel“, erläutert er im Gespräch mit der Redaktion. „Diese Menschen können Fehler machen. Wenn es dann zu einem Unfall kommt, sind die Opfer immer die schwächsten Verkehrsteilnehmer – und diejenigen, die nicht zu den Nutznießern der Vorteile des autonomen Fahrens gehören.“

Die höchste Stufe des autonomen Fahrens ist der Level 5, das bedeutet Fahrten ohne eine Aufsichtsperson, die im Notfall eingreifen könnte. Im komplexen Mischverkehr von Innenstädten ist das für Tavakoli derzeit aber schwer vorstellbar. „Selbst wenn es möglich wäre, stellt sich die Frage, ob wir das brauchen und ob das unser gesellschaftliches Ziel sein sollte.“ Die ungelösten Probleme im Stadtverkehr und auf Überlandfahrten zeigen sich in den Prognosen zur Einführung des autonomen Fahrens auf Level 5: Die Vorhersagen verschieben den fraglichen Zeitpunkt immer weiter in die Zukunft. „2015 hatte McKinsey noch damit gerechnet, dass ab 2030 rund 15 Prozent aller Neuzulassungen vollautonom sein würden. Der ADAC kam zusammen mit dem Prognos Forschungsinstitut 2018 in einer umfassenden Studie zu dem Ergebnis, dass das in allen Verkehrsszenarien vollständig autonom von Tür zu Tür fahrende Fahrzeug nicht vor 2040 zu erwarten wäre.“

Im Notfall ist die Reaktionszeit recht lang

Das aktuelle Gesetz, dem der Bundesrat noch zustimmen muss, klammert die Stufe 5 vorerst aus: Es soll eine rechtliche Basis für das automatisierte Fahren im Level 4 bieten. Diese Stufe ermöglicht Fahrten in ausgewiesenen Straßen, bei denen man nicht das Steuer halten muss. „Es gibt aber die Rolle einer Aufsicht, also eines menschlichen Aufpassers, der das Auto in einen sicheren Zustand setzen muss, wenn das Auto signalisiert, dass es unsicher ist“, erklärt der Nürnberger Wissenschaftler. „Ganz explizit kann das auch jemand sein, der nicht im Auto sitzt, sondern zugeschaltet ist.“ So kann diese Person zum Beispiel im Büro einer Spedition sitzen und von dort die Fahrten der Lieferfahrzeuge überwachen. Die Übernahme der Steuerung kann etwa bei einem Ausfall des Systems nötig sein, aber auch bei einer Änderung der gewünschten Route, beim Fehlen einer Fahrbahnmarkierung oder einer unerwarteten Markierung an einer Baustelle. „Das Problem ist die Reaktionszeit bei der Übernahme der Steuerung, die ist meist recht lange“, sagt Tavakoli.

Enttäuschender Gesetzentwurf

Neben der Verkehrssicherheit nennt der Gesetzentwurf noch weitere Ziele: Verkehrseffizienz, positive Umwelteffekte sowie die Ermöglichung der Technologieentwicklung in Deutschland. Der Beitrag des geplanten Gesetzes zu diesen Zielen sei jedoch „enttäuschend gering“, kritisiert Tavakoli. „Verkehrseffizienz und positive Umwelteffekte sind in dem Gesetzentwurf überhaupt nicht bedacht. Es ist nicht abzusehen, dass Emissionen reduziert werden, im Gegenteil. Es sind Leerfahrten erlaubt, und das macht es prinzipiell möglich, ein Auto loszuschicken, in dem sich lediglich ein Brief befindet.“ Im Transportwesen ist der Fahrer die teuerste Ressource - wenn er wegfällt, ist eher mit mehr Verkehr zu rechnen. Um die Technologieentwicklung in Deutschland zu stärken, kommt das Gesetz Tavakolis Einschätzung nach zu spät: „Die Technologie ist in Deutschland längst da, und sie wurde trainiert auf kalifornischen Straßen und in China. Die deutschen Hersteller haben ihre Fahrzeuge dort eingeschifft und längst genügend Erfahrung gesammelt, um in Kalifornien mit Tesla zu konkurrieren.“

Was Tavakoli zufolge im Gesetzentwurf noch nicht zu erkennen ist, das ist eine Vision. Autonomes Fahren werde eher als eine teure Sonderausstattung einzelner Hersteller betrachtet, statt Mobilität neu zu denken. „Besser wäre für echte Verkehrssicherheit ein umfassendes und durchdachtes Konzept, das sämtlichen Mischverkehr vermeidet.“ Hier sieht er den Gesetzgeber gefordert: Es müssten Verkehrsbereiche geschaffen werden, die vollständig autonom gesteuert würden, und auf denen die „riskanten“ Fahrten in hohen Geschwindigkeiten und mit großer Last vonstatten gingen. "Dies würde dann die Verkehrsbereiche, in denen eine Durchmischung unvermeidbar wäre, entlasten und weniger riskant gestalten", erklärt der Nürnberger.

Der Fokus sollte daher weniger auf Innenstädten und Landstraßen liegen, sondern stärker auf den besser geeigneten Bereichen wie Fahrten auf Autobahnen und Anwendungen für den Warentransport, für Shuttle-Services oder Nutzfahrzeuge. „In den nächsten zehn Jahren kann ich mir auch Fahrten ohne Aufsichtsperson vorstellen – aber nur auf ausgewählten Strecken“, betont Tavakoli. „Es wird auch da Unfälle geben, aber weniger als im heutigen Verkehr, und man wird daraus lernen.“